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Keine deutschen Katholikentage mehr?

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Der deutsche Katholizismus 1950 stellt ein riesiges Feld dar, auf dem neue Versuche, verheißungsvolle Ansätze und Begegnungen ihren Lebensraum haben, ebenso wie konservative Kräfte der Vergangenheit. Alfons Mertes, Bonn, gab davon in seinen Ausführungen „Durchblick in eine neue Welt“ (Nr. 41 der „Furche“) ein deutliches Bild. Ruhe und Bewegung, Aktion und Gegenaktion, eine Fülle verschiedenartiger Dinge kennzeichnen die heutige Situation dieses Katholizismus. Er besitzt große neue Chancen — und vergibt da und dort auch eine dieser Chancen. Unter dieser Perspektive will der Aufsatz von M. G a 11 i S. J. in der Schweizer „Orientierung“ vom 30. September „Ende oder Wende der deutschen Katholikentage?“ eine umfassende Betrachtung zu Passau 1950, verstanden werden; sie kann um so weniger mißverstanden werden, als der Autor sich namentlich nach dem Kriege durch sein Wirken für die deutschen Katholiken Verdienste erworben hat.

Die Vorgeschichte des Passauer Katholikentages führt mitten hinein in eine der größten innerkatholischen deutschen Auseinandersetzungen:

Man hatte sich in Bochum bekanntlich erstaunlich weit auf das Geäst konkreter Forderungen und neuer Formulierungen hinausgewagt. Das hatte zur Folge, daß außer der katholischen auch die übrige Welt weit über Deutschland hinaus aufhorchte. Es hatte den Anschein, die Katholiken würden sich an die Spitze eines sozialen Neubaues der Welt begeben. Bochum hatte große Hoffnungen geweckt. Der Elan einer geradezu revolutionären Bewegung war spürbar geworden. Das hatte aber auch zur Folge, daß gegen die Actio die Re-actio antrat, und es zeigte sich bald, . daß die Katholiken selbst keineswegs geschlossen hinter den Bochumer Beschlüssen standen. Ein zum Teil redit häßliches und gewiß nicht christliches Intrigenspiel setzte ein und dauerte fast das ganze Jahr fort, wodurch dem christlichen Ansehen ohne Zweifel viel geschadet wurde. Dazu kam, daß auch die kirchlichen Behörden nidit durchwegs von Bochum begeistert waren. Die Kirche ist eine Weltmacht, die nicht nur alle Völker, sondern auch alle Zeiten umspannt. Sie liebt nicht den radikalen Umbruch und dialektisch überspitzte Formulierungen. Die Dämpfer sind bekannt, die zuerst einzelne Bischöfe, dann der Papst selbst den Forderungen für das Mitbestimmungsrecht aufsetzten. Sie betrafen gewiß mehr die theoretische Begründung, auf die Bochum wenig Wert gelegt hatte, als die konkrete Forderung selbst. Sie dienten aber — gewiß gegen ihre Absicht — der Reaktion zu dem Versuch, den Elan von Bochum endgültig zu brechen.“

Um der inneren Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, stellte man den Katholikentag in Passau unter das Motto: „Zuerst das Reich Gottes“. Ein lobenswertes Unternehmen, das leider im Programm nicht eingehalten wurde. Die Vertretertagung in Altötting, wo in den Arbeitskreisen das Wesentliche zu leisten gewesen wäre, bot ein problematisches

Bild. Religiöse Übungen und Vorträge engten die Zeit der Arbeit sehr ein. „Dadurch entstand“ — sagt der kritische Beobachter der „Orientierung“ — „ein zwiespältiger Eindruck: ,Sind wir zu Exerzitien oder zur Arbeit gekommen?' So hörte man allenthalben ein wenig mißfällig äußern.“ Die Beratungen der Arbeitskreise „standen ein wenig unter der Angst von Bochum“.

„Es fehlte die notwendige Beschränkung und es fehlte die notwendige Vorbereitung . ,. Um erfolgreich zu sein, müßte man die gerade zur Stunde brennendsten Fragen, die durch dieses Gremium einer wirklichen Lösung oder Förderung zugeführt werden können, in kluger Auswahl vornehmen, mit

Ausschluß aller Dinge, die jedermann klar sind oder die von den Anwesenden doch nicht beeinflußt werden können. Das heißt, man müßte wirklich etwas wollen. Arbeitstagungen sind nicht dazu da, bereits klare und feststehende Dinge — und wenn auch in noch so schöner Formulierung — erneut anzuhören, sondern etwas zu erarbeiten. Nur so läßt sich vermeiden, daß viele unnütze Augenblicksgedanken, die kaum gesprochen, schon zerplatzen, die Zeit vertreiben.“

Für die Teilnehmer der Arbeitstagung war ein strenges Schweigegebot erlassen. „Vielleicht auch steht es nicht unter dem Schweigegebot, etwas darüber zu sagen, worüber nichts gesagt wurde. Vor den

Türen der Altöttinger Beratungszimmer zum Beispiel sprach jeder von der Frage der Wiederaufrüstung Deutschlands, hinter den Türen existierte diese Frage nicht. Und doch, wie unklar war das, was man vor den Türen zu hören bekam... Wenn man schon jedes Jahr einen Katholikentag in Szene setzt, sollte er den Fragen der Stunde nicht verschlossen sein — auch wenn sie schwierig sind und zu Streit führen können. Es warteten doch Tausende auf ein klares Wort. Der Protestantentag gab eines kurz zuvor in seiner Art. Warum schwiegen Altötting und Passau? War das nötig im Zeichen der Verinner-lichung — oder war es wider das Gespenst von Bochum, das hier die Sprache verschlug?“

Diese Kritik schließt P. Galli S. J. mit den Worten: „Es ist heute üblich, von den .Bauschäden der Kirche' zu reden, man verspricht sich davon ihre Besserung. Warum sollten nicht auch die Katholikentage einer ähnlichen Psychotherapie zugänglich sein?“

Im Schlußteil seiner Darlegungen bespricht der Verfasser die „barocke“ Feier in Passau mit ihren großartigen Manifestationen der bayrischen Volksfrömmigkeit, aber auch mit anderem: „Rational läßt sich vieles von dem, was in Passau vor sich ging, nicht begreifen und manches wohl auch nicht rechtfertigen.“ Der Autor denkt hier unter anderem „an den Segen mit dem Gnadenbild, als wäre es eine Monstranz; an den bejubelten und gefeierten .Kronprinzen' und ähnliches mehr... Wir haben manchen Deutschen in Passau getroffen, die die in Gebet und Predigt öfter vorgelegte Steigerung: die Muttergottes von Altötting ist Bayerns Patronin, ist Deutschlands Patronin, ist die Patronin der Welt, innerlich nicht mitvollziehen konnte ... Es ist vielleicht mit eines der Merkmale unserer Zeit, daß sie keinen einheitlichen Lebensund Formausdmck besitzt — nicht einmal im Religiösen. Auch die Zeiten gehen in unserer Zeit wirr durcheinander. In Passau suchte man durch eine Häufung von Hochämtern und bischöflichen Ansprachen den Menschen der Innerlichkeit zu erschließen. In Köln etwa hätte man vermutlich in nächtlicher Stunde einen gewaltigen, schweigenden, betenden Umgang veranstaltet mit anschließendem Amt. Die Fülle von Passau wäre dort unmöglich gewesen, wie auch umgekehrt ein solcher Umgang nach Passau nicht paßte.“

Ein Schlußwort von unserer Seite

Wir geben im Vorstehenden dieser Stimme des angesehenen Verfassers Gehör, nicht weil wir uns ein Urteil über den Deutschen Katholikentag anmaßen, sondern weil wir glauben, daß diese kritischen Bemerkungen an sich auch für österreichische Verhältnisse überdacht zu werden verdienen. Das ist ja die Stärke des Katholizismus in dieser Zeit, daß man in seiner Mitte klar das Zeitbedingte an manchen unserer Institutionen sieht, um es in der Zeit zu überwinden, im Blick auf Den, unter dessen Gericht und Gnade „Aufgang oder Untergang“ seiner Kirche steht.

Friedrich Heer

„Ernsteste kirchenpolitische Lage seit 1945“

Die auf dem jüngst stattgefundenen Parteitag der „Christlich-Demokratischen Union“ der Ostzone vorgebrachte Forderung nach einer „Volkskirche“ hat auf kirchenpolitischem Gebiet eine Lage herbeigeführt, die als die ernsteste seit 1945 belrachtet werden müsse, wird in Berliner katholischen Kreisen erklärt. Man habe in kirchlichen Kreisen die bereits vor dem Parteitag bekanntgewordenen Bemühungen der kommunistisch geführten SED, die Ost-CDU mit der Organisation des Kirchenkampfes zu beauftragen, nicht für möglich gehalten, weil man nicht angenommen hahe, daß die Ost-CDU sich dazu hergeben würde.

Aber das ist ohne Vorbehalt, geschehen, sowohl von den katholischen wie den protestantischen Sprechern, die sich bei dem großaufgezogenen Parteitag bemerkbar machten, der Präsident Nuschke wie der Generalsekretär der Partei Gerald Gotting und die andern, an der Spitze der protestantischen Sprecher machte sich besonders ein Pfarrer Meh-nert bemerkbar, der von der protestantischen Kirchenleitung wegen Unregelmäßigkeiten in der Kassenführung und Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der Schulspeisung seines Amtes enthoben worden war. An der Versammlung

„volksdemokratischer Geistlicher“, die im Rahmen des Parteitages stattfand und mit einer langen Entschließung in dem aus anderen Volksdemokratien schon gewohnten Stil solcher Zwitterbildungen ihren Mund recht voll nahm, nahmen allerdings nur 15 „fortschrittliche Geistliche“ teil, unter'ihnen war kein katholischer. Dafür hatte das Ausland zum Parteitag den sogenannten .Pater“

Plojhar und auch den „Pater Horak“, die bekannten exkommunizierten Minister früheren geistlichen Standes, entsandt, es fehlte auch nicht ein Vertreter der orthodoxen Kirche Rumäniens, der Abgeordnete Pfarrer Jonescu Alexandra. Die heftigsten Angriffe gingen diesmal gegen die evangelische Kirche und Bischof Dibelius. Wenn es noch Hoffnungen gegeben hat, die in der Ostzone eingeschaltet und kontrollierte CDU werde doch in dem bereits sehr zugespitzten Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Ostzone ihren Titel durch ihren offenen Einsatz für die Glaubensfreiheit rechtfertigen, so ist dieser Erwartung jetzt leider der Boden entzogen. Ihre Wortführer reden genau so halbschlächtig und sophistisch wie ihre Vorgänger, die in der Tschechoslowakei und Ungarn ihren Frieden mit der kommunistischen Staatsmacht glaubten machen zu können.

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