Diese Entwicklung ist KATASTROPHAL

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Thomas Sternberg & Gerda Schaffelhofer im Gipfelgespräch: die obersten Laien Deutschlands und Österreichs (nicht nur) zur Flüchtlingsfrage.

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Thomas Sternberg & Gerda Schaffelhofer im Gipfelgespräch: die obersten Laien Deutschlands und Österreichs (nicht nur) zur Flüchtlingsfrage.

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Seit Ende November 2015 steht Thomas Sternberg dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) vor. Der oberste Laie Deutschlands traf sich in Wien mit der Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), Gerda Schaffelhofer. Konkret vereinbarten KAÖ und ZdK eine gemeinsame Konferenz zu Flucht und Integration, die im Herbst 2016 unter dem Motto "Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen" in Kärnten stattfinden wird. Zu diesem Thema sprach auch die FURCHE mit beiden katholischen Spitzenrepräsentanten.

DIE FURCHE: Sie beide haben sich in der Flüchtlingsfrage pointiert zu Wort gemeldet. Müssen Christen zurzeit politischer sein als noch vor kurzer Zeit?

Thomas Sternberg: In gewisser Weise stimmt das. Die politische Aktivität von katholischen Männern und Frauen ist im Moment besonders gefragt.

Gerda Schaffelhofer: Man kann das Evangelium gar nicht unpolitisch lesen. Aus dem Evangelium ergibt sich der Auftrag an uns, unsere Überzeugungen in die Gesellschaft einzubringen. Das heißt nicht, dass wir uns überall Mehrheiten verschaffen können. Aber wir müssen zumindest versuchen, uns aus der christlichen Perspektive in gesellschaftliche Prozesse einzumischen und das Evangelium zur Sprache zu bringen. In Krisenzeiten sind Christen besonders gefordert. Sternberg: Es freut mich besonders, dass in Deutschland -ich denke, in Österreich ist es ähnlich -viele da nicht nur verbal eingeschritten sind: Unter den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern in der Flüchtlingsbetreuung arbeiten besonders intensiv Mitglieder unserer Gemeinden mit.

DIE FURCHE: Also auch im Handeln eine politische Äußerung.

Schaffelhofer: Das ist auch ein Prüfstein für unsere Glaubwürdigkeit: Es muss eine Übereinstimmung zwischen dem, was wir sagen, und dem, was wir tun, geben.

DIE FURCHE: Herr Sternberg, Sie haben in den letzten Wochen vor der AfD gewarnt -die AfD ist zum Katholikentag, der Ende Mai in Leipzig stattfindet, explizit nicht eingeladen.

Sternberg: Bereits die Vorgängerleitung des Katholikentags hatte entschieden, Spitzenmitglieder der AfD nicht einzuladen. Ich habe diese Entscheidung übernommen. Man kann diese Frage so oder so entscheiden. Wichtig ist für mich: Die AfD ist für mich nicht deshalb bereits eine Partei, weil sie hohe Prozentsätze bekommt. Wir müssen uns natürlich damit beschäftigen, was Menschen dazu gebracht hat, in so hohen Prozentsätzen die AfD zu wählen. Aber das heißt noch nicht, dass die AfD eine ernstzunehmende Partei bereits wäre.

DIE FURCHE: Hat Sie der Erfolg der AfD bei den jüngsten Regionalwahlen überrascht?

Sternberg: Ich hatte schon damit gerechnet, wenn auch nicht in dieser Höhe. Man muss aber auch erinnern: Wir hatten in Baden-Württemberg 1992 12,9 Prozent Stimmen für die Republikaner. Die DVU, die noch viel rechter war, kam mit 17,9 Prozent 1998 in den Landtag von Sachsen-Anhalt. Wir hatten zuletzt in Deutschland zweistellige Ergebnisse der Piraten -einer Gruppierung, von der heute niemand mehr spricht. Das heißt, es gibt auch politische Bewegungen, die offensichtlich in der Lage sind, Proteststimmen auf sich zu ziehen. In Deutschland regiert eine große Koalition: In einer derartigen Konstellation bilden sich außerparlamentarische Protestbewegungen.

DIE FURCHE: In Österreich regiert auch die große Koalition, die hat eine Verschärfung des Asylrechts beschlossen, die "Presse" titelte dazu: "Künftig kaum Chance auf Asyl." Schaffelhofer: Ich halte diese Entwicklung für katastrophal. Und bin fassungslos. Es zeigt sich, dass vieles, was uns die Regierung in den letzten Wochen vorgegaukelt hat, dass etwa Asylobergrenzen verfassungskonform sind, nicht stimmt. Wir werden da in die Irre geführt. Das stärkt die Glaubwürdigkeit dieser Regierung nicht -und zwar keiner der beiden Parteien. Dass wir jetzt noch dichter machen und dass Menschen innerhalb von einer halben Stunde an der Grenze bereits nachweisen müssen, dass sie ein Anrecht auf Asyl haben, das halte ich für überhaupt nicht praktikabel. Und es ist ein Verstoß gegen ein Menschenrecht. Dass zudem auch noch die Mindestsicherung für die wenigen, die noch kommen werden, gekürzt werden soll, halte ich für paradox. Es wird ständig von "Hängematten" gesprochen, die Flüchtlinge und andere benutzen. Das ist eine Diffamierung derer, die vor Krieg und Terror flüchten. Einmal mehr sage ich: Wir müssen lernen zu teilen: Jene Länder, die sich Wohlstand geschaffen haben, müssen einmal nachdenken, auf wessen Rücken dieser erarbeitet wurde. Ich warte auf den Politiker, der endlich den Mut hat, das zu sagen: Wir brauchen eine Art Marshall-Plan für die Hilfe vor Ort, wir brauchen aber auch hier eine neue Bereitschaft zum Teilen.

DIE FURCHE: Aber was man als Christ für ethisch geboten hält, ist oft politisch nicht durchzusetzen.

Sternberg: Die christliche Position erweist sich gerade in der praktischen Umsetzung, auch am Beschmutzen in der Praxis. Der Papst hat ja selber gesagt: Eine zerbeulte Kirche ist mir lieber als eine, die nicht da ist. Das kann heißen, dass das Prinzip der Wahrheit, auf dem unsere Überzeugungen beruhen, in die Welt der Mehrheit überzuführen ist. Man muss in der Lage sein, da seine Position zu vertreten. Es ist ein Fehler, die Lehre so rein halten zu wollen, dass es überhaupt keinen Ausfluss mehr in die praktische Politik hat. Ich gehe davon aus: Praktische Politik kann man sehr wohl mit dem Bewusstsein tun, dass es christliche Anforderungen gibt, denen ich Rechnung tragen muss.

Schaffelhofer: Es ist mir ganz wichtig, eine von einer christlichen Gesinnung getragene Politik zu haben -auch im Bewusstsein, dass ich 100 Prozent nicht erreichen kann, aber zumindest 50. Und dann schaue ich, wie schaffe ich 55 Prozent oder mehr, und bewege mich nicht weiter von der Solidarität weg, wie es in Österreich zurzeit geschieht.

DIE FURCHE: Es gibt aber verschiedene christliche Positionen. Die österreichische Innenministerin wird von sich sagen, eine christliche Politikerin zu sein, der bayerische Ministerpräsident sagt das gleichfalls von sich, und Frau Merkel versteht sich auch als solche. Was ist angesichts derart unterschiedlicher Positionen genuin christlich?

Sternberg: Das ist schwierig. Ohne auf diese einzelnen Personen einzugehen: Eine christliche Position muss nicht eindeutig sein. Trotz gemeinsamer Grundüberzeugung gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Die werden aber nicht so weit auseinanderliegen, wie es wäre, wenn die Grundüberzeugungen nicht die gleichen sind. Entscheidend ist für mich, dass die Basis auf jeden Fall die gleiche ist. Und dass man sagen kann, das überschreitet die grundlegende Idee. Und darüber kann man streiten. Ich glaube nicht, dass man sagen kann: Jemand ist ein christlicher Politiker, eine christliche Politikerin, und deshalb ist alles, was er/sie da macht, gedeckt.

Schaffelhofer: Auch ich maße mir nicht an, über irgendjemanden zu richten, ob er ein Christ ist oder nicht. Ich kann nur sagen, ob sein Handeln aus meiner Interpretation des Evangeliums heraus als christlich zu betrachten ist. Und da gibt es natürlich trotz einer Bandbreite schon ganz klare Richtwerte - etwa ob ich sage: Das Boot ist voll. Oder ob ich als Christ die Botschaft verkünde: Wir sitzen alle in einem Boot, rudern wir gemeinsam! Da müssen wir uns schon mit unseren Überzeugungen zu Wort melden und auch einiges von unseren Politikern einfordern.

Die Furche: Als Beispiel ein Blick an die griechisch-mazedonischen Grenze, wir haben alle die Bilder gesehen. Kann man als Christ sich da noch unterschiedlich positionieren? Sternberg: Man wird die Grundlagen fordern und immer wieder auf Sätze Jesu im Neuen Testament hinweisen müssen -etwa: "Ich war fremd, und ich habt mich nicht aufgenommen." Oder auf die Aussage im Alten Testamen: "Der Fremde in euren Toren soll wie ein Einheimischer gelten." Aber man sollte sich nicht so radikal positionieren, dass man nicht mehr sieht, dass es auch Probleme gibt.

Schaffelhofer: Wir sind längst nicht an der Grenze der Belastbarkeit angelangt. Dass das eine Riesenherausforderung ist, die unser Engagement erfordert, sowohl auf der politischen Ebene wie auch als Zivilgesellschaft, ist klar. Um beim Bild vom Boot zu bleiben: Wir sind in einem ordentlichen Seesturm gelandet und es schaukelt schon ganz ordentlich. Trotzdem glaube ich: Wir dürfen uns mehr zutrauen -gerade als Christen, die ja auch die Zusage haben, dass wir nicht allein sind. Noch niemand hat bei uns bislang radikale Abstriche von seinem Lebensstil machen müssen. Wir leben immer noch von unserem Überfluss. Solange das der Fall ist, brauchen wir über Grenzen der Belastbarkeit nicht zu reden. Ja, wir sind gefordert. Aber sind noch lange nicht überfordert. Auch die Notstände, die man uns einredet, und die "Gefahren für die öffentliche Sicherheit": Ich weiß nicht, wo die so groß sind, dass man in Österreich jetzt alles zumacht. Haben wir doch ein bisschen mehr Mut und Vertrauen!

Die Furche: Wir haben bislang nicht über die innerkirchlichen Streitthemen geredet. Spielen die derzeit keine Rolle mehr?

Sternberg: Die Frage ist: Wo diskutiert man diese Fragen? Meiner Meinung nach tut man das im Raum der Kirche. Da werden sie auch diskutiert werden müssen. Ich garantiere Ihnen, an dem Tag, an dem das Papstschreiben zu Ehe und Familie erscheint Die Furche: also am 8. April

Sternberg: werden wir wieder intensiv über Innerkirchliches diskutieren. Ich halte es auch für richtig, eine Wertedifferenz zu machen und zu sagen: Unsere eigenen Dinge, wie wir unsere Kirche organisieren, sind wichtig, aber nicht das Ziel. Das Ziel ist, wie wir uns in der Flüchtlingsfrage verhalten. Ob wir helfen, dass humane Mindeststandards in der Gesellschaft erhalten bleiben.

Schaffelhofer: Kirche ist ja nicht Selbstzweck, sondern hat für die Menschen da zu sein. Gerade was uns der Papst vorlebt, ist da wegweisend. Wir sind auch aufgrund unseres allgemeinen Priestertums als Laien aufgefordert, an dieser Gesellschaft mitzuarbeiten. Also am Reich Gottes, das nicht irgendwann einmal passiert, sondern das jeden Tag mit und durch uns mehr errichtet werden soll.

Die Furche: Was ist die Aufgabe eines katholischen Laien?

Sternberg: Seit drei Jahren mischt der Papst diese Kirche auf. Bei dieser Bewegung mitzumachen, wird unsere Hauptaufgabe sein. Die Furche: Dass die Kirche in unseren Breiten kleiner wird, dass vom Verschwinden der Volkskirche die Rede ist, schreckt Sie nicht? Sternberg: Ob es die Volkskirche nicht mehr gibt, ist eine schwierige Frage. Wir haben auch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Ich weigere mich, das, was noch Volkskirche ist, einfach so beiseite zu schieben. Was ich auch sehe, ist, es gibt Zuwachs an Glauben -etwa in den neuen Bundesländern, die extrem unchristlich waren. Wir haben jetzt in Leipzig den Katholikentag, und dort wächst die Kirche. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen. Der Heilige Geist ist nicht ganz weg. Wir sollten darauf vertrauen, dass nicht wir die Kirche zu machen haben. Und ich lasse mir gar nicht einreden, dass wir die Kirche kaputt gemacht hätten. Im Gegenteil.

Schaffelhofer: Als Laie will ich das Prinzip der Hoffnung leben, mich engagieren und dabei offen für das Wirken des Geistes bleiben.

Die Diskutanten

Gerda Schaffelhofer Die studierte Germanistin und Theologin ist Geschäftsführerin der FURCHE sowie der Styria Buchverlage. Seit 2012 steht sie als Präsidentin an der Spitze der Katholischen Aktion Österreich. Im Herbst 2015 wurde Österreichs oberste Laiin für eine weitere, dreijährige Amtsperiode wiedergewählt.

Thomas Sternberg Seit November 2015 steht der nordrhein-westfälische CDU-Landtagsabgeordnete an der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Nach Abschluss einer Bäckerlehre studierte Sternberg Theologie, Kunstgeschichte und Germanistik. Er leitet die Katholische Akademie Franz-Hitze-Haus in Münster.

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