"Ich denke eher PASTORAL"

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Nähe und Barmherzigkeit sind Leitworte, denen sich auch Benno Elbs verpflichtet weiß - nicht zuletzt im Umgang mit dem Scheitern. Der Feldkircher Bischof im FURCHE-Gespräch.

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Nähe und Barmherzigkeit sind Leitworte, denen sich auch Benno Elbs verpflichtet weiß - nicht zuletzt im Umgang mit dem Scheitern. Der Feldkircher Bischof im FURCHE-Gespräch.

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Er ist der jüngste Bischof Österreichs. Und steht der jüngsten Diözese des Landes vor: Vor eineinhalb Jahren wurde Benno Elbs zum vierten Bischof von Feldkirch ernannt. Bei der Präsentation seines Buches "Im Stallgeruch der Schafe" in Wien stellte sich Elbs den Fragen der FURCHE. Nachstehend ist dieses Gespräch, das am 6. November im Theatermuseum stattfand, dokumentiert.

DIE FURCHE: Seit dem Beginn des Pontifikats von Franziskus steht die katholische Kirche wieder stärker im Blickpunkt. Aber für viele ist noch nicht ganz klar, wie die Dinge zu deuten und einzuordnen sind, inwieweit wir es hier wirklich mit einem fundamentalen Wandel der Kirche zu tun haben, oder ob es hier mehr um Änderungen auf der symbolischen Ebene geht. Auch die Bischofssynode hat darauf noch nicht wirklich geantwortet.

Benno Elbs: Durch die Art und Weise, wie Papst Franziskus sein Amt wahrnimmt, hat sich ein Klimawandel vollzogen. Auf der einen Seite stehen da ganz radikal die Zuwendung zum Menschen und der Blick auf Jesus Christus im Mittelpunkt. Auf der anderen Seite ist von Bedeutung, dass der Papst strukturelle Veränderungen vornimmt, durch neue Beratungsgremien wie den Kardinalsrat, der auch die Aufgabe hat, den Organisationsapparat zu verändern. Und die meines Erachtens größte auch weltpolitische Veränderung sind die Zeichen, die er setzt - etwa die Reise nach Lampedusa, wo er das Thema Flüchtlinge fokussiert. Für einen Vorarlberger besonders wichtig ist das Vorhaben einer heilsamen Dezentralisierung. Das kommt in seinem Schreiben "Evangelii gaudium" deutlich zum Ausdruck: wichtig ist für Franziskus, dass die Bischöfe ihre Funktionen wahrnehmen.

DIE FURCHE: Waren diese Veränderungen bei der Familiensynode in Rom schon sichtbar?

Elbs: Ja - mit einem kleinen Aber. Ja, weil diejenigen, die dabei waren - Kardinal Schönborn hat uns bei der Bischofskonferenz ausführlich berichtet -beeindruckt waren von der Art und Weise, wie über die Dinge gesprochen wurde. Das mag zwar banal klingen, aber diese "Kultur des offenen Wortes" ist wichtig - gerade für die Kirche.

DIE FURCHE: Und das kleine Aber ...

Elbs: ... ist die Geschwindigkeit. Vorarlberger sind immer etwas ungeduldig. Wenn man die Synode als geistlichen Prozess im Sinne des Ignatius von Loyola sieht, dann wird man wieder versöhnt. Eigentlich ist es schon großartig, es fängt an mit einer weltweiten Befragung - das muss einem erst einmal jemand nachmachen! Dass die Diskussion jetzt noch ein Jahr geht, ist ein geistlicher Prozess, der meines Erachtens sehr bedeutsam ist. Wenn der Papst in seiner Schlussrede sagt, dass man geduldig sein muss, dann will ich auch geduldig sein.

DIE FURCHE: Kardinal Kasper hat in seinem berühmten Referat vor den in Rom versammelten Kardinälen Ende Februar 2014 sinngemäß gesagt: Wenn sich durch diese Synode nicht etwas erkennbar ändert, dann ist sie vergebene Liebesmüh gewesen. Glauben Sie an substanzielle Änderungen?

Elbs: Davon bin ich überzeugt. Zentral ist, dass das Thema Familie stark in den Mittelpunkt gestellt wird. Das ist in der heutigen Gesellschaft ganz wichtig: Wo bin ich daheim, wo ist meine Familie? In der Glücksforschung ist das dazugehören Dürfen ein wichtiger Punkt. Die entscheidende Frage ist, wie das Leben für eine Familie möglich ist: finanziell, strukturell, im Kontext der Arbeit und der vielfältigen Aufgaben. Die Synode hat dann ihr Ziel erreicht, wenn sie gesellschaftliche Veränderungen bewirkt.

DIE FURCHE: Aber das sind ja nicht die Streitpunkte. Darauf können sich innerkirchlich alle einigen.

Elbs: Es gibt viele Auffassungsunterschiede von der Familie heute in anderen Ländern, ja in ein und derselben Partei -es gibt sehr verschiedene Vorstellungen von Familie.

DIE FURCHE: Sie schreiben in Ihrem Buch im Bezug aufs Sabbatgebot "Wenn es um den Menschen geht, dann fährt Jesus bei Rot über die Kreuzung. Wenn es also um den Menschen geht, um seine Not, dann werden auch viele Gesetze und Vorschriften relativ und verlieren ihre Bedeutung." Sie geben in Ihrem Buch dazu keine konkreten Handlungsoptionen. Aber wenn wir über die Synode reden, wo könnten sich Vorschriften oder Gesetze ändern?

Elbs: Ich meine das sehr ernst - nicht aus eigener Erfahrung, ich fahre nicht so oft bei Rot über die Kreuzung. Aber dass die Fragen und Sorgen des Menschen im Mittelpunkt stehen, ist das Entscheidende. Ein wichtiges Thema bei der Synode ist etwa der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Da ist für mich ganz klar: nicht so sehr eine Gesetzesveränderung ist die Lösung, sondern der pastorale Umgang mit Situationen, wo sich Menschen in einer Notsituation befinden - im Scheitern, in einer Situation, die sie bedrückt. Da gibt es für mich zwei Leitworte: Nähe und Barmherzigkeit.

DIE FURCHE: Was könnte "bei Rot über die Ampel fahren" im Fall der wiederverheirateten Geschiedenen bedeuten?

Elbs: Da würde ich "bei Rot über die Ampel" nicht verwenden. Für so dramatisch halte ich das nicht. Es gibt für mich in dieser Frage zwei Brennpunkte in der Ellipse, um die sich die Diskussion rankt: Das eine ist die unauflösliche Ehe, die ja biblisch begründet ist. Und der zweite Punkt ist die konkrete Situation des Menschen in seiner Not, in seinen Fragen. Wenn man diese beiden Pole im Blick hat, dann findet man in der Einzelsituation die Lösung, in der ein Mensch gut leben kann. Ich bin eher pastoral denkend. Im Endeffekt geht es darum, das Ziel - das Ideal - im Auge zu behalten und gleichzeitig die konkrete Situation ernst zu nehmen. Ein christlicher, pastoraler Umgang im Sinne Jesu heißt, auf die Situation ganz unmittelbar einzugehen. Es geht darum, im Einzelfall eine Lösung zu finden. Auch das Gebet ist hier eine wertvolle Hilfe. Eine Generallösung wird es kaum geben, weil die Kirche nie das Ideal der Ehe außer Kraft setzen will und kann. Andererseits will ich auch nie jemanden, der in einer schwierigen Situation ist, verurteilen.

DIE FURCHE: Aus vielen Seiten Ihres Buches lugt Papst Franziskus hervor. Aber die ersten Seiten und Kapitel des Buches erinnern auch sehr stark an Benedikt XVI. Sie beklagen dort den Relativismus und die Orientierungslosigkeit, Sie sprechen wörtlich auch von einer "Diktatur des Pluralismus" ...

Elbs: ... aber ich kritisiere diese Dinge nicht! Es ist nur eine Wahrnehmung, in der ich auch eine Chance sehe. Ich glaube, es gibt eine Art Diktatur des Pluralismus, dass Menschen, die für etwas stehen, oft gezwungen werden, immer für alle Seiten offen zu sein. Wenn das die Logik der modernen Gesellschaft ist, dann ist die Frage, wie kann ich in dieser Logik den Glauben leben? Und dann erkenne ich, der wesentliche Weg ist, als glaubwürdiger Christ zu leben und ansteckend zu sein, Freude auszustrahlen. Wie der Papst sagt: Das Problem vieler Christen ist, dass sie wie eine in Essig eingelegte Pfefferoni aussehen. Das ist nicht ansteckend. Es geht darum, das Positive zu leben und andere Menschen einzuladen, das Gleiche zu tun.

DIE FURCHE: Sie sind aber trotzdem tendenziell kulturkritisch, vor allem was die westlichen Wohlstandsgesellschaften betrifft?

Elbs: Wenn man es wertet, ist es kritisch. Wenn man es wahrnimmt, ist es einfach nur realistisch. Ich würde es eine kulturrealistische Wahrnehmung nennen. Manchmal kommt mir zwar der Gedanke, es wäre leichter gewesen, vor 40 Jahren Priester zu sein. Aber ich bin gerne heute Priester. Am meisten schätze ich die Freiheit einer Gesellschaft, in der man denken und sagen kann, was man auf dem Herzen hat -das ist ein unwahrscheinliches Geschenk. Diese "Kultur des offenen Wortes", um es mit dem Papst zu sagen, schätzen viele Teilnehmer an der Synode.

DIE FURCHE: Sie wollen also in Ihrem Buch auch die Kehrseiten dieser Freiheit, dieser pluralistischen Gesellschaft aufzeigen ...

Elbs: Ja.

DIE FURCHE: Ein Motiv von Franziskus, das Sie anführen ist die "Rückkehr zur Einfachheit". Sie schreiben da: "Denn so vieles wird heute verkompliziert, in der Pastoral, in der Wirtschaft, im Zusammenleben der Menschen. Experten, Spezialisten und Gurus verbreiten ihre Meinungen und Lehren ... Der einzelne Mensch findet sich oft nicht mehr zurecht ..." Und dann plädieren Sie für eine Rückkehr zu einer einfachen Lebens- und auch Denkweise. Ein politisch Beobachtender bemerkt aber auch in der Politik oder im Umgang in unserer Gesellschaft, dass es viele Leute gibt, die einem einfache Lösungen versprechen. Auch in der Religion ist das so - dort nennt man das Fundamentalismus. Was ist der Unterschied zwischen dem, was Sie an Einfachheit propagieren, und dem, was die Rattenfänger an einfachen Lösungen vorgaukeln?

Elbs: Beim Wort "Experten" bin ich immer etwas allergisch. Hier kommt meine bäuerliche Herkunft durch. Die Frage ist: Um was geht es im Leben, wenn es drauf ankommt? Und da wird es relativ einfach. Eine Mitarbeiterin ist gestorben, morgen ist die Beerdigung. 35 Jahre alt, zwei kleine Kinder. Am Sterbebett hat sie mir erzählt, ihr größter Wunsch sei, ihrem älteren Sohn zu Weihnachten noch die Schokoladenkekse zu backen, die er so liebt. Drei Tage später ist sie gestorben. Was ist wichtig? Bei dieser Frage brauche ich keine Experten. Es geht ums Lieben, Geliebtwerden und um das Thema Hoffnung. Das ist nicht "einfach" im Sinne von "primitiv", sondern "einfach" im Sinne einer Konzentration auf die entscheidenden Dinge im Leben: Was bleibt, wenn wir gehen? Das ist die Reduktion auf die Einfachheit: Lieben und geliebt werden - und Hoffnung. Mit Einfachheit meine ich nicht Rattenfängerei. Aber sich jeden Tag die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen, macht einen krank. Manchmal jedoch tut eine "heilsame Unterbrechung" gut, das ist ja auch eine Kurzdefinition für die Religion, wie der Theologe Johann Baptist Metz sagt. Daher ist auch Religion so wichtig: dass man unterbricht und nachdenkt, worauf es eigentlich ankommt. Die Antwort darauf ist einfach, obwohl sie in der Sache natürlich unwahrscheinlich kompliziert und schwerwiegend ist.

DIE FURCHE: Gibt es auch eine politische Botschaft, die aus dem Christentum kommt?

Elbs: Der Papst schreibt in "Evangelii gaudium": Politik ist "eine der wertvollsten Formen der Nächstenliebe". Das ist ein toller Satz. Ist aus christlicher Sicht dieses Ideal der Nächstenliebe der Menschen untereinander in eine Polis, in eine Kommunität zu übersetzen? Da wird es kompliziert: Sobald mehrere Menschen zusammenkommen, begegnen sich viele Freiheiten und Bedürfnisse. Die Kunst der Politik, die Kunst der Organisation eines Gemeinwesens, ist, dieses Zusammenleben so zu gestalten, dass jeder Mensch sein Glück und seinen Sinn finden kann.

DIE FURCHE: Sollten Sie als Bischof nicht auch so jemand sein, der viele Menschen und deren Anliegen unter einen Hut zu bringen versucht?

Elbs: Nein. Weil ich mein Bischofsamt nicht so verstehe, dass ich andere unter einen "Hut" bringen muss. Der Papst hat bei einer Einführung neuer Bischöfe gesagt: Ihr seid keine Manager, sondern Hirten. Wenn jemand das Hirtenprinzip im Blick hat, dann ist das - frei nach dem Pastoralpsychologen Hermann Stenger - definiert durch die Liebe zu den Menschen: dass er die Herde beim Namen kennt, dass er sich selber zu erkennen gibt - die Echtheit, die Authentizität - und dass er bereit ist, sich zu bücken, also dem Menschen zu dienen. Mit dieser Haltung muss ich die Menschen nicht zusammenhalten, sondern ich bin in der Gruppe von Menschen einer, der diese Aufgabe hat. Diese Aufgabe hat aber jeder und jede, der oder die für andere Menschen, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft usw. verantwortlich ist. Jeder kann "Hirte" oder "Hirtin" sein.

DIE FURCHE: Zurzeit findet auch in Österreich eine Debatte um den Islam statt, nicht zuletzt aufgrund der Vorgänge in der islamischen Welt. In Ihrer Diözese leben nach Wien die meisten Muslime. Welche Erfahrung haben Sie im Miteinander mit Muslimen?

Elbs: Wir haben in Vorarlberg eine hohe Gesprächskultur, was den interreligiösen Dialog betrifft. Wir hatten mit Elisabeth Dörler, die vor einem Jahr leider jung verstorben ist, eine Islambeauftragte, die sehr intensive Beziehungen aufgebaut hat. Es finden viele Gespräche und Begegnungen statt. Zum Beispiel das Projekt "Zeig mir, was dir heilig ist", wo man sich gegenseitig eingeladen hat. Der Islamische Friedhof in Vorarlberg ist wesentlich von unserer Islambeauftragten mitkonzipiert worden. Es gibt gute Beziehungen, auch in Krisen. Ich bin der Überzeugung, ohne Frieden zwischen den Religionen gibt es keinen Frieden in der Welt. Es gibt keine Alternative zum Dialog.

(Mitarbeit: Anja Melzer)

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