Amazonien - Marcellino Apurina, indigener Führer in Westamazonien, einer Region, die besonders von der Rodung betroffen ist. - © APA AFP Carl de Souza

„Evangelisieren heißt lernen“

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Leonardo Ulrich Steiner, langjähriger Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz, über die Herausforderungen Amazoniens für die Kirche.

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Leonardo Ulrich Steiner, langjähriger Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz, über die Herausforderungen Amazoniens für die Kirche.

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Im Jahr 2005 wurde der deutschstämmige Franziskaner Leonardo Ulrich Steiner als Bischof von São Felix am Amazonas Nachfolger des legendären­ Befreiungstheologen, Dichters und Indigenenfreunds Pedro Casaldáliga, der als 91-jähriger Emeritus dort immer noch lebt. 2001 ging Dom Leonardo als Weihbischof nach Brasilia. Der heute 68-Jährige war 2011–19 Generalsekretär der Brasilianischen Bischofskonferenz.

DIE FURCHE: Warum ist Amazonien so wichtig für die Welt, dass man dazu eine eigene Bischofssynode veranstaltet?
Dom Leonardo Ulrich Steiner: Amazonien ist für unsere Erde wichtig. Es ist wichtig für alle Menschen. Es ist nicht nur wichtig für Brasilien. Und es geht da nicht nur um Wald, Wasser und Tiere, sondern auch um verschiedene Kulturen von indigenen Völkern. Da sind auch Millionenstädte wie Belém und Manaus. Als wir dem Heiligen Vater eine Synode vorgeschlagen haben, hat er gesagt: Ja, das hat einen Sinn. Amazonien liegt mir am Herzen! Die Synode ist aber mehr als eine Versammlung. Sie ist der Versuch, das Gesamt von Amazonien zu erfassen. Es geht darum, über seine Kultur, seine Kirche nachzudenken. Die Synode soll auch neue Wege für die Kirche in dieser Realität suchen, aber auch wie die Kirche helfen muss, das Gesamt zu schützen. Und wie eine indigene Kirche zum Vorschein kommen kann. Es geht da um Evangelisierung in einem ganzheitlichen Sinn. Das heißt, auch über die Ökologie nachzudenken und über Menschen, von denen die Gesellschaft in Brasilien gar nicht weiß, dass sie da sind. Da soll die Synode Licht bringen – nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze Realität Amazoniens.

DIE FURCHE: Liest man die Vorbereitungsdokumente, so zeigt sich: Noch nie hat sich eine Synode so sehr mit ökologischen und auch politischen Aspekten beschäftigt.
Dom Leonardo: Das stimmt. Wir wollen Amazonien speziell im Licht von „Laudato siʼ“ reflektieren. Es gab in ganz Amazonien verschiedene Treffen mit dem Text der Enzyklika von Papst Franziskus. Die Gemeinden haben also an der Vorbereitung der Synode mitgewirkt. Das ist ein neuer Weg, auch die Indio-Dörfer wurden gehört. Wenn wir über Evangelisierung und Mission sprechen, dann sehen wir, dass die Kirche mit allen Fragen der Region zu tun hat – politisch, ökonomisch, ökologisch, kulturell. Das Evangelium schlägt uns einen neuen Modus vivendi vor, und dieser muss entdeckt werden. Ich glaube, die Synode wird da klarer machen, das Kirche auch in der Politik mehr präsent sein muss – in Fragen der Gerechtigkeit wie in der Ökologie. Das Evangelium ist für das Ganze des Menschen da. Wir sind ja nicht getrennt. Wir leben, so sagt es der Heilige Vater in „Laudato siʼ“, in einem gemeinsamen Haus.

DIE FURCHE: In einem Synodendokument heißt es, die Kirche habe in Amazonien eine geringe pastorale Präsenz, weil die Räume sehr groß und die Gemeinden sehr verstreut sind, weil es sehr wenige Priester gibt. Wie kann diese Präsenz verstärkt werden?
Dom Leonardo: Auf jeden Fall durch die Laien! Ich war ja Bischof im Amazonasgebiet, und ich war erstaunt, wie die Laien kleine Gemeinden geleitet haben. In einigen davon gab es nur einmal im Jahr einen Gottesdienst mit einem Priester. Aber die Laien haben die Gemeinden geführt. Man muss vertiefen, dass diese Gemeinden sich als Kirche verstehen, dass sie nicht meinen, allein zu sein, sondern dass sie wissen: Wir sind hier klein, aber wir gehören zur großen Gemeinde der Christen. Das gilt für ganz Amazonien. Zweitens muss man sehen, wie die Dienste und Aufgaben der Kirche da verteilt werden können. Wenn Laien Wortgottesdienste feiern, soll die Gemeinde spüren: Ja, hier sind wir Kirche, hier leben wir für eine neue Erde und einen neuen Himmel. Und Gott ist bei uns durch sein Wort. Aber diese Gemeinden müssen in Zukunft auch öfter Eucharistie feiern können.

DIE FURCHE: Es kann ja nicht das Ende des Weges sein, dass die Kirchenleitung sagt: Ihr habt halt nur einmal im Jahr eine ­Eucharistiefeier. Es muss ja überlegt werden, wie man es machen kann, dass auch in entlegenen Gebieten der Welt Christen Eucharistie feiern können.
Dom Leonardo: Über diesen Punkt muss man reden und auch Vorschläge machen. Ich spüre, dass diese Gemeinden mehr Eucharistie haben wollen. Es ist wichtig, dass die Gemeinden auch vom Leib Christi leben. Der heilige Hieronymus sagt zwar, dass das Wort Gottes auch Leib und Blut Christi ist. Aber die Gemeinde muss auch spüren, dass sie Leib Christi ist in der Eucharistie. Dass sie feiern kann, Jesu Anwesenheit als Brot und als Wein erleben zu können.

DIE FURCHE: Wird die Synode da neue Modelle auf den Weg bringen können?
Dom Leonardo: Ich hoffe wenigstens, dass diskutiert wird und der Heilige Vater Vorschläge macht. Ich erwarte mir das auch.

DIE FURCHE: Seit Längerem gibt es Vorschläge, deswegen in der Zölibatsfrage für Pries­ter flexibler zu sein. Glauben Sie, dass sich da etwas bewegen kann?
Dom Leonardo: Ich meine nicht, dass es um den Zölibat oder seine Abschaffung geht. Es geht um Kirche und darum, wie sie mehr präsent sein kann, und wie die kleinen Gemeinden sich als Kirche fühlen. Es geht darum, wie sich die Kirche in diesen Gemeinden aufbaut.

DIE FURCHE: Aber wenn mehr Priester nötig sind, damit in allen Gemeinden Eucharis­tie gefeiert werden kann, muss man überlegen, wie es mehr Priester geben kann ...
Dom Leonardo: … und da muss man darüber diskutieren und sich auf den Weg machen. Ich hoffe, dass die Synode das tun wird. Bei den Treffen, die es in den Bis­tümern Amazoniens gegeben hat, wurden schon einige Vorschläge formuliert. Da wurde ganz frei darüber diskutiert, ich hoffe, das wird auch auf der Synode der Fall sein.

DIE FURCHE: Es gab also Treffen an der Basis. Aber in Rom kommt eine Gruppe älterer Männer zusammen, die etwas beschließt und dem Papst vorlegt. Der Weg von denen, die es betrifft, bis zur Kirchenspitze ist weit.
Dom Leonardo: Die Bischöfe Amazoniens haben sich mehrmals getroffen. Als Generalsekretär der Brasilianischen Bischofs­konferenz war ich auch dabei. Und ich habe nie erlebt, dass da gesagt wurde: Darüber dürfen wir nicht reden. Die Bischöfe haben ein Gefühl für die Sehnsucht der Gemeinden. Sie gehen ja in die kleinen Gemeinden, manchmal sind sie einen ganzen Monat unterwegs. Die Ohren der Bischöfe sind groß genug, dass sie das, was sie gehört haben, dem Heiligen Vater mitbringen. Es geht aber nicht nur um diese Fragen, sondern ums Ganze der Präsenz der Kirche ...

DIE FURCHE: … auch eine politische Es gibt in Amazonien ganz gewaltige politische Probleme unterschiedlicher Art.
Dom Leonardo: Die Kirche ist in Amazonien da schon sehr präsent und hat wichtige Texte herausgegeben. Aber wir könnten noch aktiver sein. Ich glaube, wir haben die Laien nicht genug vorbereitet, an der Politik teilzuhaben. Das fehlt uns sehr. Wir sind im Moment in einer Krise der Ethik. Unsere Politiker sagen vielleicht: Wir sind katholisch. Aber sie sind nicht konsequent. Wo ist da die Ethik geblieben? Warum kümmern sie sich nicht um die Ökologie oder die Kultur der Indigenen? Auch das alles hat mit dem Glauben zu tun.

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