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Kirche mit Kreisky oder Kreisky mit der Kirche?

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Die Kirche muß in der Gesellschaft einfach „da“ sein; die Nähe oder Ferne der Parteien zur Kirche werde nicht nur durch die Programme, sondern auch durch das tatsächliche Verhalten der Parteien in der Gesetzgebung bestimmt; zwischen SPÖ und Kirche habe es in letzter Zeit einige Konfliktstoffe gegeben. In einem Gespräch mit der FURCHE traf der Weihbischof des Vikariates Wien-Süd, Florian Kuntner, eine Reihe von markanten Feststellungen zum Verständnis der Kirche im Spannungsfeld der Gesellschaftspolitik. „Rechtzeitig“ vor der SPÖ-Enquete vom 18. März zum Thema „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ nahm ein hoher Würdenträger der Katholischen Kirche die Formel vom „Stück Weg“ auf, um einmal den Spieß umzudrehen: Auch Bruno Kreisky gehöre in das pastorale Bemühen der Kirche wie jeder andere Österreicher, meinte Weihbischof Kuntner...

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Die Kirche muß in der Gesellschaft einfach „da“ sein; die Nähe oder Ferne der Parteien zur Kirche werde nicht nur durch die Programme, sondern auch durch das tatsächliche Verhalten der Parteien in der Gesetzgebung bestimmt; zwischen SPÖ und Kirche habe es in letzter Zeit einige Konfliktstoffe gegeben. In einem Gespräch mit der FURCHE traf der Weihbischof des Vikariates Wien-Süd, Florian Kuntner, eine Reihe von markanten Feststellungen zum Verständnis der Kirche im Spannungsfeld der Gesellschaftspolitik. „Rechtzeitig“ vor der SPÖ-Enquete vom 18. März zum Thema „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ nahm ein hoher Würdenträger der Katholischen Kirche die Formel vom „Stück Weg“ auf, um einmal den Spieß umzudrehen: Auch Bruno Kreisky gehöre in das pastorale Bemühen der Kirche wie jeder andere Österreicher, meinte Weihbischof Kuntner...

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FURCHE: Exzellenz, Sie nehmen diese Woche an einer Enquete der SPÖ zum Thema „Katholiken und das neue Programm der SPÖ“ teil. Mit welchen Erwartungen gehen Sie zu dieser Veranstaltung?

KUNTNER: Ich gehe dorthin, weil wir im österreichischen Synodalen Vorgang beschlossen haben, alle Möglichkeiten zu nützen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch die Möglichkeiten, die eine politische Partei gibt und auch jene Möglichkeiten, wo man zu Menschen sprechen kann, die mit uns nicht einer Meinung sind... damit man dort klar den Standpunkt formulieren kann. Ich gehe dorthin, weil ich als Bischofsvikar zuständig bin für ein Gebiet, das vorwiegend industrialisiert ist, wo Menschen wohnen, die sicherlich sozialistisch wählen, die aber unserer Sorge als Seelsorger anvertraut sind. Und daher ist's mir nicht gleichgültig, welche Programme diese Menschen haben; und ich möchte auch dazu meine Meinung sagen.

FURCHE: In letzter Zeit hat man in der Öffentlichkeit den Eindruck gewonnen, die Kirche wollte sich von einer bisher vielleicht übertriebenen spirituellen Zurückgezogenheit lösen und neue Wege suchen. Ihr Name, aber auch die Namen der Bischöfe Weber, Wagner und Krätzl werden in der Öffentlichkeit ja immer wieder im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Stellungnahmen der Kirche genannt.

KUNTNER: Ich glaube, die Kirche muß sich immer mit den Vorgängen auseinandersetzen, die sich in unserer Gesellschaft abspielen. Es könnte früher der Eindruck entstanden sein, daß sich die Kirche zu sehr mit internen kirchlichen Problemen beschäftigt. Und das ist auch natürlich... schließlich hatten wir ein Konzil aufzuarbeiten. Und dieses Konzil hatte als Hauptthema die Konstitution „Christus Dominus“, was der Kirche geholfen hat, eine neue Standortbestimmung zu finden. Aber die Kirche muß einfach in der Gesellschaft „da“ sein, denn die Menschen, denen sie zu dienen hat, die kann man ja nicht teilen: einmal in politische Menschen und einmal in solche Menschen, die in die Kirche gehen. Der Mensch ist eine Einheit und es ist nicht gleichgültig, in welchem Raum dieser Mensch lebt... und was ihm von der Gesellschaft angeboten wird, was er tun darf, was er meiden soll. Daher müssen wir, dort, wo wir die Möglichkeit haben, in gesellschaftspolitischen Vorgängen Stellung nehmen.

FURCHE: Sie haben kürzlich das Wort von der „Aquidistanz“ so umschrieben, daß es auf die Parteien ankomme, wie sie zur Kirche stehen, und nicht umgekehrt. Sie haben auch gesagt, die Nähe oder Ferne zwischen Parteien und Kirche hänge von den jeweiligen Programmen, aber auch von der politischen Praxis ab. Wie ist das Verhältnis der Parteien zur Kirche?

KUNTNER: Das stimmt... ich hab' das im Palais Palffy gesagt, wo ich mit Kreisky und Taus diskutiert habe. Wir als Kirche sind der Botschaft Jesu verpflichtet. Wir haben diese Botschaft Jesu in ihrem Wert... in ihrem überzeitlichen Wert immer besser zu erfassen und haben diese Botschaft den Menschen zu verkünden. Und wie jetzt die einzelnen Programme der Parteien, aber auch ihr tatsächliches Handeln zu dieser Botschaft steht, darin sehe ich die Distanz der einzelnen Parteien zur Kirche. Aber das hängt eben nicht nur von den Programmen ab, sondern davon, wie sich die Parteien tatsächlich verhalten, wie ihre Gesetzgebung aussieht, wie sie sich unserem Anliegen gegenüber verhalten, ob sie uns entgegenkommen oder nicht entgegenkommen, ob sie bestimmte Normen entwickeln und beschließen, die der Botschaft Jesu entsprechen.

FURCHE: Nehmen wir einmal die Praxis her: Kann man sagen, daß in ihrem tagespolitischen Verhalten die SPÖ der Kirche nicht so nahe steht wie die ÖVP?

KUNTNER: Hier kann ich feststellen: In der letzten Zeit hat es zwischen der SPÖ, die derzeit die Hauptverantwortung für die Gesetzgebung trägt, und der Kirche einige Konfliktstoffe gegeben. Wir haben einfach eine andere Auffassung, was den umfassenden Schutz des Lebens betrifft. Wir gehen hier von anderen Voraussetzungen aus. Wir haben ein Gebot Gottes, daß alles Leben Gott anheimgestellt ist und daß wir daher alles tun müssen, um dieses Leben zu schützen. Daher hat uns die sogenannte Fristenlösung ganz besonders weh getan, weil wir glauben, daß hier nicht im Sinne des Gebotes gehandelt wird. Wir haben ebenso einen Auftrag Jesu, die Ehe als dauernde Lebensgemeinschaft zu sehen, und wir haben daher das Recht, vom Staat auch zu erwarten, daß er durch seine Gesetzgebung dieser Norm entspricht. Und daher sind wir nicht einverstanden, weü wir der Meinung sind, daß diese Gesetzgebung eher die Auflösung der Lebensgemeinschaft fördert, denn das Zusammensein der beiden Partner und der ganzen Familie.

FURCHE: Kann man dem entnehmen, daß die SPÖ insgesamt der Kirche ferner steht als die ÖVP oder können Sie sich vorstellen, daß es Teilbereiche in der Politik gibt, in denen die SPÖ der Kirche näher oder zumindest gleich nahe ist wie die ÖVP?

KUNTNER: Bestimmte Vorstellungen der SPÖ, bestimmte Handlungsweisen der SPÖ sind so, daß ich mich als Katholik Identifizieren kann. So etwa: Das Eintreten für die Schwachen, für die Entrechteten, die Sorge um die in der Gesellschaft zu kurz Gekommenen, das Denken über die eigene Position hinaus, über die eigene Nation hinaus, das alles sind Anliegen, die ganz, ganz tief in der Bibel verwirk-

licht sind. Daher kann ich nicht in Bausch und Bogen alles ablehnen - es gibt sicherlich auch Bereiche, wo wir gemeinsam gehen könnten.

FURCHE: Bruno Kreisky hat die Formel geprägt, er möchte alle Katholiken einladen, mit seiner Partei ein Stück Weges zu gehen. Ist diese Formulierung für die Kirche nicht etwas einseitig. Denkt nicht etwa die Kirche daran, auch die SPÖ einzuladen, einmal mit ihr ein Stück Weges zu gehen?

KUNTNER: Ja ich glaube, daß diese Formulierung, ein Stück Weg gemeinsam zu gehen, von einer Partei ganz anders gedacht ist als sie von uns gedacht ist. Wir haben hier ganz andere Positionen. Ich kann mir vorstellen, daß eine Partei daran denkt, was ihr gutes Recht ist, Wähler zu gewinnen ... und daß sie nun taktisch alles Unternimmt, um es jenen Menschen, die sie gewinnen möchte, leichter zu machen... daß hier ein rein taktisches Verhalten dahinter steht und ein taktisches Prinzip.

Für die Kirche stellt sich das Problem ganz anders. Die Kirche hat den Auftrag, dem Menschen die Frohe Botschaft zu verkünden und ihn zu begleiten ... von der Geburt bis zum Sterben. Und sie hat nie aufzuhören, zu hoffen, daß der Mensch sich auf diese Botschaft Jesu einläßt. Und selbst, wenn dieser Mensch zu einer bestimmten Zeit seines Lebens sagt: Ich will davon nichts hören, hat die Kirche ihrerseits nie aufzuhören, ihn zu gewinnen zu versuchen für diese Botschaft. Das heißt: ihm immer wieder diese Botschaft zu verkünden und ihn auch zur Praxis einzuladen, nach den Prinzipien des Evangeliums zu handeln. Daher kann die Kirche von sich aus nie sagen: Wir begleiten diesen Menschen ein Stück des Weges, sondern sie muß den ganzen Weg mit ihm gehen. Sie hat immer wieder die Bekehrung anzubieten.

FURCHE: Gilt das Gesagte auch für den Bundeskanzler und Agnostiker Bruno Kreisky? Wird die Kirche auch ihm immer wieder die Bekehrung anbieten? Kann es gelingen, auch den Parteivorsitzenden Bruno Kreisky für die Botschaft Christi zu gewinnen?

KUNTNER: Ob es ihr gelingen kann, ob es ihr gelingen wird, das weiß ich nicht, das weiß der liebe Gott allein. Aber auch der Herr Bundeskanzler ist ein Mensch - und wie ich überzeugt bin, ein Mensch mit einer unsterblichen Seele. Daher gehört auch der Herr Bundeskanzler wie jeder andere Mensch in Österreich in das pastorale Bemühen der Kirche hinein, und ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn er sich entschließen könnte, in diese Kirche einzutreten und die Botschaft des Evangeliums anzunehmen und auch danach zu leben.

Das Gespräch mit Weihbischof Florian Kuntner führte Alfred Grinschgl.

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