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Die Kirche und die Fremden

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„Die Kirche und die Fremden" -das ist kein neues Thema, doch es bedeutet nicht, daß die Kirche damit nicht auch ihre Probleme hat.

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„Die Kirche und die Fremden" -das ist kein neues Thema, doch es bedeutet nicht, daß die Kirche damit nicht auch ihre Probleme hat.

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„Der Herr beschützt die Fremden" heißt es zwar schon in einem Psalm, aber der Referent für Fremdsprachige Gemeinden in der Erzdiözese Wien, Pfarrer Paul Varga, macht sich nicht allzuviele Illusionen über den Altruismus seiner Mitmenschen. „Die Kirche bietet dasselbe Bild wie das durchschnittliche Österreich: einerseits die Angst vor den Fremden, andererseits auch die Bereitschaft zur Hilfe, die Offenheit und die Solidarität. Zwischen Kirche und Nicht-Kirche gibt es da keinen Unterschied" - so Pfarrer Varga im Originalton. Deshalb bemüht er sich um Sensibilisierung der christlichen Kirchen für die Flüchtlinge und hat eine Diözesantagung für Priester, Diakone, Pastoralassistenten, Ordensleute, Mitarbeiter in der Caritas und für alle Interessierten, organisiert. Am 15. Juni, dem internationalen „Tag des Flüchtlings", findet sie im Kolpinghaus, Wien 10, Sonnwendgasse 22, von 9—17 Uhr statt.

Ziel dieser Tagung ist die Transpa-rentmachung des Stellenwerts der Kirche in der neuen Welt Europas und das Annehmen der Herausforderung, die damit verbunden ist. Die Angst vor den Fremden soll abgebaut und damit die Aufnahme von Flüchtlingen in Klöstern und Pfarrhöfen erleichtert werden. Im Zuge dieser Tagung werden die 20 ausländischen Gemeinden in Wien vorgestellt werden. Diese Gemeinden sind Vorboten der neuen Welt, des neuen Europa, Bindeglieder zwischen Österreich und den Fremden, zugleich die wichtigste Hilfe in der Aufnahme und Integration der Ausländer. Denn nur eine multikulturelle Kirche als Voraussetzung zur Begegnung der Völker kann ihre Zukunftschancen in einem neuen Europa und in einer neuen friedlichen Welt nützen.

Angesichts der aktuellen Situation in den Krisengebieten des ehemaligen Jugoslawien - 1,6 Millionen Menschen auf der Flucht, 70 Prozent davon Kinder - starteten ORF, Caritas und Rotes Kreuz eine Hilfsaktion unter dem Titel „Nachbar in Not". Die Grundüberlegung dieser Aktion war folgende: Spender werden aufgerufen, LKW-Züge mit den notwendigsten Hilfsgütern für diese bedürftigen Menschen zu finanzieren. Die vollbeladenen Lastkraftwagen werden von Caritas und Rotem Kreuz in die Krisenregionen geschickt, und da diese beiden Organisationen über das notwendige Know-how und einen entsprechenden Verteilungsapparat verfügen, sind sie für diese Aufgabe geradezu prädestiniert. Hörfunk und Fernsehen berichten fortlaufend über diese Aktion beziehungsweise über Verwendung und Verteilung der Hilfsgüter. Auf diese Weise soll ein „Konvoi der Nächstenliebe" mit Medikamenten, Lebensmitteln, Dek-ken et cetera täglich in die Krisengebiete rollen.

Konkrete Beispiele für die Anwendung dieser Nächstenliebe finden wir in besonderem Ausmaß bei derFücht-lingsarbeit in den einzelnen Pfarren. Da gibt es Gastarbeiterclubs, Deutsch-Sprachkurse, Lernnachhilfe für ausländische Kinder, Quartierbeschaffung, individuelle Beratung bei den unterschiedlichsten Problemen und vieles mehr.

In der Pfarre Neumargarefhen wurde im Jahre 1990 in der Christmette die Idee geboren, ein Flüchtlingskonto zu eröffnen. Seit dieser Zeit zahlt die Pfarrgemeinde regelmäßig kleinere und größere Beträge ein und hat dieses Konto inzwischen zu einer stattlichen Summe anwachsen lassen. Davon wird zum Beispiel medizinische Fachliteratur gekauft, die jenen Flüchtlingen zur Verfügung gestellt wird, die in Österreich ihre Nostrifikation durchführen müssen, oder es werden davon Straßenbahnfahrscheine, Stempelmarken für Gesuche, Schulhefte, Schreibgeräte und dergleichen angeschafft. Angesichts der dramatischen Entwicklung in Bosnien-Herzegowina hat die Pfarrgemeinde Neumargarethen spontan 5.000 Schilling von dem Flüchtlings-konto abgehoben und für den Ankauf von Medikamenten, Kinderspielsachen und lebensnotwendigen Hilfsgütern verwendet, die in das Krisengebiet geschickt wurden.

Letzten Endes sind die Flüchtlinge und Ausländer für die Kirche und für ganz Österreich ein innerer und äußerer Gewinn, denn die Chancen, die im Gedankengut einer multikulturellen Gesellschaft verborgen liegen, sind vielfältig und zukunftsträchtig. Der verstärkte Kontakt zwischen verschiedenen Kulturen eröffnet ganz neue Möglichkeiten einer konstruktiven Zusammenarbeit und besseren Lebensgemeinschaft. Internationale Solidarität wäre dann kein leeres Wort mehr.

Im Sinne einer europäischen Gemeinschaft und eines näheren Zusammenrückens aller Länder der ganzen Welt müssen auch die geistigen Grenzbalken fallen und einem neuen Lebensgefühl von Freiheit und Frieden in multikultureller Harmonie Platz machen.

Die Verfasserin ist Mitarbeiterin des ORF-Hörfunks und an mehreren Sendungen im Rahmen des ORF-Schwerpunkts „Flüchtlinge" am 15. Juni beteiligt.

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