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Wege zu den Menschen suchen

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Christen gibt es nur mehr wenige. Kirchen wurden zu Kaufhäusern und Moscheen. Amsterdams Kirche jammert dennoch nicht, sondern geht den Menschen entgegen.

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Christen gibt es nur mehr wenige. Kirchen wurden zu Kaufhäusern und Moscheen. Amsterdams Kirche jammert dennoch nicht, sondern geht den Menschen entgegen.

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Wer Amsterdam als Tourist betritt, dem begegnet eine überaus bunte und lebendige Stadt. Die Straßen sind voll mit jungen Leuten, und es scheinen alle Nationen und Hautfarben vertreten zu sein. Vor allem die Innenstadt, durch die Grachtengürtel klar abgegrenzt und schnell überschaubar, wirkt klein und gemütlich - mit ihren Straßencafes und Geschäften. Bei aller Gemütlichkeit und Freundlichkeit dieser Stadt bemerkt der Tourist aber auch schnell die Schattenseiten der Gesellschaft: Prostitution, 1 )rogenszene, Obdachlose und Asylanten prägen das Stadtbild mit. Es scheint, als wäre in Amsterdam alles offensichtlicher, nicht so versteckt wie in Wien: das Leben der Stadt und ihre Probleme.

Wie geht es der Kirche in einer Stadt wie Amsterdam? Das Umfeld der katholischen Kirche - historisch, politisch und soziologisch - ist völlig anders als in Osterreich. Die katholische Kirche war in den Niederlanden nach der Reformation lange Zeit verboten und existierte nur als Geheim-kirche im Untergrund (Zeugnis davon geben noch heute einige Geheimkirchen, zum Beispiel die Kapelle des Begi-nenhofs im Zentrum). Unter der Besetzung Napoleons änderte sich das, und es kam' zu einer regelrechten katholischen Emanzipation.

Das Verhältnis zwischen der protestantischen Staatskirche und der katholischen Kirche ist von Stadt zu Stadt verschieden; in Amsterdam gibt es derzt von rund 700 000 Einwohnern 140 000 Katholiken und 80 000 Protestanten unterschiedlicher Richtungen. Die katholische Kirche war also immer nur eine unter vielen. Ökumenische Zusammenarbeit ist heute eine Selbstverständlichkeit, auch eine Überlebensfrage. Denn das Problem der Kirche heute ist nicht die Konkurrenz der anderen Kirchen, auch nicht der anderen Religionen (60 000 Moslems, 2000 Hindus...), sondern die Säkularisierung. Immerhin sind von 700 000 Amsterdamern 400 000 - also mehr als die Hälfte! -an keine Religion oder Kirche angeschlossen.

Die Kirche ist also heute im Leben der Stadt nur mehr ein Randphänomen. Sie ist in den Medien kaum vertreten. Es gibt keinen Religionsunterricht an den Schulen. Die Kirchenhäuser sind längst nicht mehr voll, man kann sich die großen Gebäude und ihre Erhaltung kaum mehr leisten. Es gibt keine Kirchensteuer. Viele Kirchen wurden abgerissen oder verkauft und in Moscheen, Konzert-, Ausstellungs- oder Partyräume oder gar Kaufhäuser verwandelt.

Wie reagierte die Kirche auf diese schwierige Situation? Bereits in den 60er Jahren beriet man Maßnahmen für die Zukunft der Kirchen in der City. Im Auftrag der Diözese erstellte ein kirchliches Sozialinstitut Prognosen für alle Kirchen der Innenstadt. Man berücksichtigte die Bevölkerungsstruktur und -bewegungen im Zentrum, den Denkmalswert der Kirchen, ihre finanzielle Situation und ihre Funktion und territoriale Bedeutung in der City. Das Ergebnis der Untersuchung war, daß mindestens vier der elf Kirchen der Innenstadt zugesperrt werden müßten.

Aus seelsorglicher Sicht war damit aber nichts gelöst., denn keine der Einzelpfarren hatte für sich allein Zukunft. So wurde dann an einem Pastoralplan für die Innenstadt Amsterdams gearbeitet, der 1969 vorgelegt wurde. Darin wurde explizit der evangelische Auftrag der Kirche im Leben der City herausgestellt. Für die vielfältigen Bedürfnisse der Menschen sollte es ein spezialisiertes Angebot der Ihnenstadtseelsorge geben. Der Plan sah die Aufhebung aller Einzel-pfarren vor, statt dessen wurden Seelsorgestellen für jeden Stadtteil errichtet, die auf die Bedürfnisse und Fragen der Menschen vor Ort reagieren sollten, besonders der Gläubigen, die den Kontakt zu den bestehenden Kirchen längst verloren hatten. Das territoriale System der Pfarren war in der Innenstadt ohnehin nicht mehr zu halten, da sich die Menschen ihre Kirche und ihre Gemeinde selbst wählten.

Deshalb haben seit diesen großen strukturellen Veränderungen gerade jene Kirchen überlebt, die zu einem eigenem und deutlichen Profil gefunden haben, sei es in der Liturgie, in der Bildungsarbit, im gesellschaftlichen Engagement oder in der Gemeinschaft. Man kann diese Kirchen in der City heute keinem territorialen Pfarrsystem zuordnen, sondern man nennf sie „stijlkerken”., das heißt „Stilkirchen” oder „Mentalitätskirchen”.

In den beinahe dreißig Jahren seit der Entstehung des pastoralen Planes hat sich einiges getan, einiges ist anders geworden als geplant. Heute besteht neben einzelnen „Stilkirchen” eine Vereinigung mit dem Namen „B.K. City-Kerk”, die sich verantwortlich weiß für alle katholischen Bewohner der Innenstadt. Die City-Kerk besteht aus fünf 'Feilen: Das „Houten Huis” und das „Pastoralcentrum Jordaan” sind Zentren der Stadtteilseelsorge. Beide haben mittlerweile lebendige Gemeinden aufgebaut. Ein dritter Teil ist die Nikolauskirche, die durch ihren liturgischen Stil viele Gottesdienstbesucher anzieht. Auch die letzten beiden Teile der City-Kerk haben spezielle Aufgaben: die Altenseelsorge, die in Form von Hausbesuchen durch ein großes Team von Freiwilligen erfolgt, und die „Offene Tür”, eine ökumenische Anlaufstelle für Information, Beratung und Gespräch. Letztere wird in Anspruch genommen von Touristen, Asylsuchenden, Obdachlosen, Menschen mit allen möglichen sozialen Problemen oder Glaubensfragen.

Was die City-Kerk heute auszeichnet (und es war ein langer Lernprozeß bis dahin), ist die strukturelle Zusammenarbeit. Die gesamte Bildungsarbeit wird von allen Teilen gemeinsam getragen und organisiert und findet in allen drei Orten der City-Kerk statt. Auch eine „Arbeitsgruppe Diakonie” für die ganze Innenstadt ist gebildet worden; eine für Öffentlichkeitsarbeit ist im Entstehen. Finanzen und Matrikeln werden gemeinsam verwaltet.

Für die Liturgie gibt es ein Rotationssystem der „pastores” (das sind alle angestellten Priester und Pastoralassistenten), wodurch auch kleine Gemeinden ohne eigenen Priester zu regelmäßigen Eucharistiefeiern kommen. Alle „pastores” der City-Kerk haben monatliche Team-Treffen, wo pastorale Probleme oder Zukunftsfragen gemeinsam besprochen werden können. Zusätzlich gibt es den Pastoralrat, bei dem Vertreter auch aller ande ren Kirchen der In nenstadt teilnehmen, auch der fremdsprachigen Gemeinden und der Seelsorge für Drogensüchtige, die in Amsterdam besonders wichtig ist. Durch die regelmäßigen Treffen und den Austausch wird ein Konkurrieren der einzelnen Kirchen vermieden. Die überregionalen Probleme, mit denen die einzelnen, oft kleinen Gemeinden sonst überfordert wären, können gemeinsam in Angriff genommen werden.

Alle diese Strukturen sind langsam gewachsen, letztlich nicht durch irgendwelche Überlegungen von oben herab, sondern immer durch einen Mangel oder eine Not. Die Strukturen helfen, die vorhandenen Kräfte für die gemeinsame Sache optimal einzusetzen. Gemeinsame Sache ist der Dienst der Kirche an den Menschen, ihr Auftrag in der Gesellschaft. Wenn die Gesellschaft multikulturell ist und plural in den Weltanschauungen, von Mobilität und Individualismus geprägt, wie das in einer City eben ist, so muß die Kirche mit viel Phantasie neue Strategien entwickeln, um überhaupt gehört und gesehen zu werden.

Einige solcher pastoraler Strategien der Amsterdamer City-Kerk sind:

■ Die „Offene Tür”: leicht zu finden, einladend zum Hineinstolpern. Je nach Anliegen ruht man einfach nur aus oder findet jemanden, der zuhört, oder wird für praktische Hilfe weiterverwiesen an entsprechende Stellen der Caritas oder der Stadt.

■ Offene Kirchentüren, zugängliche Kirchen, nicht nur am Sonntag vormittag, wo die Stadt wie ausgestorben ist.

■ „Niedrigschwelli-ge Aktionen” der einzelnen Gemeinden, wo niemand vereinnahmt wird: zum Reispiel Kaffeetrinken in der Kirche nach dem Gottesdienst, Lesegruppen, Bildungsangebote, offene Abende...

■ „Aufsuchende Seelsorge”: Hausbesuche nicht nur bei Alten oder Kranken, sondern bei Menschen, die neu zugezogen sind, die selbst keinen Kontakt zur Kirche haben, aber an religiösen Fragen interessiert sind, oder nicht den Mut oder die Informationen haben, um selbst den Weg in die Kirche und die Gemeinden zu finden.

Besonders diese aufsuchende Seelsorge ist kennzeichnend für eine Grundhaltung der City-Kirche von Amsterdam. Es ist eine Kirche, der es nicht allein um das Retten des eigenen Schiffes geht, die nicht ständig jammert, daß die Menschen nicht mehr kommen, sondern eine Kirche, die Wege zu den Menschen überlegt, die ihnen entgegenkommt, die sie abholt, wo sie sind.

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