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Ein Sprung über unseren Schatten

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Die Klärung ökumenischer Fragen geht vielen Menschen an der Basis zu langsam, kleine Schritte im gelebten Alltag können auch Rückwirkungen auf Maßnahmen der Kirchenleitungen haben.

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Die Klärung ökumenischer Fragen geht vielen Menschen an der Basis zu langsam, kleine Schritte im gelebten Alltag können auch Rückwirkungen auf Maßnahmen der Kirchenleitungen haben.

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Seit die Ökumene begonnen hat, unser Land zu erobern, ist die evangelische Kirche mehrfach über ihren Schatten gesprungen. Etwa dadurch, daß sie trotz ihrer Kleinheit ein tragfähiges Selbstbewußtsein entwickelt hat, das es ihr ermöglicht, mit einer so großen Kirche wie der katholischen, theologische Gespräche zu führen, gemeinsame Aktionen durchzuführen — und sich einfach dem Anspruch der anderen auszusetzen, ohne dabei Angst zu haben, daß man dabei auch verlieren könnte. Was mir aber noch wichtiger erscheint, ist: Wir können von den andren Kirchen lernen, und wir haben sogar auf so aktionistische Vorstellungen verzichten gelernt wie die: „eines Tages wird ganz Österreich evangelisch sein“.

Das klingt alles sehr zuversichtlich. Die andere Seite ist freilich die, daß sich der österreichische Protestantismus — und nicht nur er — immer noch schwer tut, auf den „guten alten Antikatholizis-mus“ verzichten zu müssen. Zu sehr hatte sich diese negative Bindung eingespielt — und war, man soll das nicht leugnen, ein starkes Band unter unseren Mitgliedern. Und wir sind auch jetzt noch dabei, unseren Leuten beizubringen, warum sie evangelisch sind, und nicht, warum sie nicht katholisch sind.

Was aber noch bedenklicher ist für kleine Kirchen: Es gibt genug Leute, die sagen — „Ja, heute ist das eh schon alles egal!“ — die konfessionellen Konturen verschwimmen. Die Gefahr einer gewissen Indifferenz ist unvermeidlich mit dem ökumenischen Impuls verbunden. Nicht katholisch zu sein ist auch heute viel strapaziöser, als katholisch zu sein — jedenfalls in Österreich: denn eine katholische Kirche ist immer ums Eck!

Die Aufgabe lautet also: Was heißt es, im ökumenischen Zeitalter evangelisch A. B., evangelisch H. B., altkatholisch, methodistisch, orthodox, altorientalisch zu sein — aber eben ohne jede negative Abhängigkeit von der — nach reformatorischer Anschauung — durchaus gleichaltrigen römisch-katholischen Kirche.

Ich selbst weiß eigentlich viel besser, warum ich evangelisch H. B. bin, seit ich im „ökumenischen Teich schwimme“. Vorher habe ich ja eher mit der Bilderbuchausgabe der anderen Konfessionen zu tun gehabt — mit dem Katholiken, mit dem Orthodoxen, aber das sind eben nur Fiktionen. Inzwischen habe ich die bunte Palette der Konfessionen kennengelernt und damit auch die Möglichkeiten, sich in dieser Ökumene zu profilieren.

Allerdings, es kommt immer darauf an, welche Ökumene man meint. Es gibt da unterschiedliche Modelle. Das evangelische beispielsweise, das darauf hinausläuft, daß jede Kirche als eine Kirche Jesu Christi anerkannt wird, und daß die Kirchen im persönlichen Umgang aber auch organisatorisch-strukturell brüderlich-demokratisch zusammenarbeiten.

Die katholische Kirche scheint einen gewissen Führungsanspruch der eigenen Konfession für unaufgebbar zu halten. Das heißt — es ist ein großer Unterschied, ob es um eine Ökumene „mit der katholischen Kirche und dem Papst“ geht oder um eine „Ökumene unter dem Papst“. Die große Frage der Zukunft ist daher wohl: Wird die katholische Kirche theologisch dazu imstande sein anzuerkennen, daß sich die anderen Kirchen generell in apostolischer Sukzession befinden und sie selbst sich daher nicht als die einzige, wirkliche, wahre Kirche verstehen kann?

Die Frage nach der Rolle der Orthodoxen ist eigentlich eine Aufforderung zur Buße — vor allem für die Kirchen der Reformation. Ich fürchte, es ist uns noch viel zu wenig gelungen, die orthodoxen Kirchen an unserem Dialog zu beteiligen. Da müssen Gesprächsbasen gefunden werden—der Vorteil Wiens wäre zu nutzen, einer Stadt, in der alle orthodoxen und altorientalischen Kirchen vertreten sind.

Der ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) ist als Forum mit verbindlichem Charakter sehr geeignet. Die Tatsache, daß die römisch-katholische Kirche im ÖRKÖ nur Beobachterstatus hat, ist eine reine Formalangelegenheit, denn sie ist im Rat eine der aktivsten Kirchen und sogar Vollmitglied des ökumenischen Jugendrates. Als negative Erfahrung des Papstbesuches sei erwähnt, daß dem Hl. Vater gegenüber die Existenz des ökumenisches Rates nicht deutlich wurde.

Doch Gott sei Dank geschieht die Ökumene auch und gerade an der Basis. Und gerade den Menschen an der Basis geht die Arbeit zu langsam voran. Als Vorsitzender des ÖRKÖ erwarte ich mir von der Basis, daß sie aktiv wird, ohne Angst zu haben, noch nicht Erlaubtes oder gar Ketzerisches zu tun. Wenn die Menschen nämlich immer nur schön brav und folgsam sind, tun sie im Grunde genommen genau das, was man ihnen hinterher vorwirft. Wenn sie aber einen gewissen Druck ausüben, daß Kirchenleitungen ihre Maßnahmen und Verlautbarungen verteidigen müssen, dann kann etwas weitergehen — in allen Kirchen.

Da ist beispielsweise die Mischehenfrage: Wenn in den Sonntagsreden viel von Ökumene die Rede ist, wieso wird die Mischehe dann kirchenrechtlich und dienstrechtlich höchstens als eine Art unvermeidliches Malheur angesehen? Patenamt, Sonntagspflicht, Pfarrerehe, Religionsunterricht, Wiederverheiratung von Geschiedenen usw. sind ebenso heikle Punkte. Wer schützt eigentlich die Christen vor den sündig-ängstlichen Machtansprüchen der Konfessionskirchen?

Die Basis soll getrost Ökumene leben, denn es ist immer mehr erlaubt, als die Leute glauben. Und dann — in Österreich hat die illegale Ökumene erfreulicherweise Tradition. Ich denke da etwa an das Beispiel meiner Großeltern. Mein Großvater war evangelisch, meine Großmutter katholisch, und sie gingen schon vor 50 Jahren abwechselnd in beide Kirchen, auch zur Kommunion. Das Illegale ihres Handelns hat sie dabei nicht geniert: „Davon haben wir den Pfarrern erst gar nichts erzählt, weil wir das alles ihnen und uns ersparen wollen. Und wir haben immer das Gefühl gehabt, daß wir ohnehin zum selben Herrgott gehen.“

Ich fände es merkwürdig, wenn jemand, der so etwas tut, das Gefühl hätte, eigentlich etwas Verbotenes, ja Schlimmes getan zu haben — denn in Wirklichkeit ist er ja unterwegs zum größeren, offeneren Glauben.

Das Wort „billig“, das in diesem Zusammenhang gern verwendet wird, provoziert mich. Wo wird denn die Religion billig? Ich glaube, eher dort, wo fast alle Kirchen ihren Mitgliedern gegenüber immer schon zurückhaltend waren — und es eher billig gegeben haben, bei der Bergpredigt beispielsweise. Da waren sich alle einig, daß das nicht so wörtlich zu nehmen sei.

Oder was eine christliche Einstellung zur Arbeit, zum Kapital, zum Krieg betrifft, da hat man es nur zu gern billig gemacht. Die alte Kirche war immerhin der Meinung, daß man nicht Christ und Soldat sein kann. Mit der konstantinischen Wende aber ist die Kirche im sozialen und politischen Bereich bedenklich großzügig geworden — auf Kosten und zum Schaden vieler ihrer Mitglieder.

Christi Tischgesellschaft ist übrigens eine sehr inhomogene Gruppe gewesen. Der Abendmahlstisch könnte von neuem zum Symbol werden: Hier bezeugen im einzelnen sehr unterschiedliche Menschen durch ihre Teilnahme, daß sie Töchter und Söhne ihres Gottes sind. Ich sehe also in unserer Zeit eine neue Tiefe und nicht einen Ausverkauf religiöser Werte.

Die nächsten Ziele und Hoffnungen der Ökumene in Österreich? Daß sich unsere katholische Kirche weiterhin nicht anstecken läßt von resignativen Stimmen in aller Welt; daß das „ökumenische Kirchenlaboratorium Österreich“ weiterhin seine Versuche machen kann, zu denen der Papst Österreichs Katholiken anläßlich seines Besuches ausdrücklich ermuntert hat.

Mir scheint wichtig, daß sich alle Kirchen dessen bewußt werden, daß eine genaue Grenzziehung zwischen möglich und unmöglich weder möglich noch nötig ist. Dann werden wir nämlich feststellen, daß die Grenze dort, wo wir sie vermutet haben, noch lange nicht erreicht ist. Nur so können wir über unseren konfessionellen Schatten springen.

Oberkirchenrat Pfarrer Mag. Peter Karner ist Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Osterreich.

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