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Uber Religion noch streiten?

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Früher hat man um die Religion gestritten.” Dieser unlängst gehörte, eher zornig als resigniert gemeinte Satz resümiert ein gutes Stück der Entwicklung sowohl der Bedeutung der Konfessiona-lität wie des Verhältnisses der Kirchen und ihrer Angehörigen zueinander.

Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, setzten neue Bemühungen ein, die protestantischen und orthodoxen Kirchen in einem „Rat” zu vereinigen. Wichtiger war aber, daß man von kirchlicher Seite die Feindbilder der Jahre zwischen 1938 und 1945 beiseite schob und mit Hilfsmaßnahmen für notleidende Opfer des Krieges begann; 1948 konnte dann in Amsterdam der „Ökumenische Rat der Kirchen” gegründet werden. Papst Pius XII. sah in diesem Zusammenschluß nichts Positives. Er hat Katholiken ausdrücklich die Mitarbeit untersagt. Das war noch die Position einer absoluten Unterscheidung zwischen der eigenen Kirche und den anderen - wenn die eigene die Wahrheit besaß, dann mußten die anderen irren!

Aber nicht nur aus Rom gab es Störfeuer. Eine Reihe protestantischer Gruppierungen - und erst recht die orthodoxen Kirchen - blieben zunächst abseits. Erst allmählich wurde aus der Gründung von 1948 ein Weltkirchenrat, der den Verdacht abstreifte, eine Super-Kirche sein zu wollen.

1961 traten ihm die meisten orthodoxen Kirchen bei, 1962 begann das 2. Vatikanische Konzil, das im Katholizismus eine Wende einleitete. Was sich schon vorher unter der Oberfläche angebahnt hatte, nämlich eine effektive Zusammenarbeit von Gemeinden, Institutionen und Kirchen, wurde nun auch offiziell mitgetragen. 1958 entstand der „Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich”, 1965 kam es zur Errichtung einer offiziellen Gesprächskommission zwischen der Katholischen und der Evangelischen Kirche in Österreich. Diese Entwicklung ging auch nach dem Konzil weiter, wodurch lästige Streitpunkte wie die Konditionaltaufe beseitigt sowie verschiedene kirchliche Handlungen wie die Trauung konfessionell gemischter Paare geregelt werden konnten (ökumenische Trauungen).

Es blieb aber die Frage: Was ist die erstrebte „Einheit”, wie kann sie erreicht werden? Geht es bei der Ökumene um strukturelle Einheit oder um innere Gemeinschaft? In diesen Fragen gibt es nach wie vor grundsätzliche Uneinigkeit. Dazu kommt: Das intensive Gespräch mit anderen hat zu einer Vertiefung der eigenen kirchlichen Identität geführt - ein gewisser Konfessionalismus ist wieder hochgekommen; das Wissen um die Geborgenheit in der eigenen Kirche wurde vielen neu bewußt, allerdings nur denen, die man landläufig als „kirchentreu” anspricht.

Bei den anderen - und das werden immer mehr - ist die Sehnsucht nach dem Ende der getrennten Wege groß - oder auch nur die Gleichgültigkeit gegenüber Glaube und Kirche. Das vertiefte Identitätsgefühl im Kern hat keine Entsprechung bei den meisten Angehörigen der Kirchen. Und es ist zudem durch einen simplen Fundamentalismus angefochten, der traditionalistisch eingestellt ist und exklu-dierende Tendenzen hat. Da macht man sich nicht mehr die Mühe, nach den differenzierten Inhalten des Verständnisses von Bibel und Bekenntnis zu fragen, da stellt man nicht Fragen, sondern verweist auf den „sicheren” Besitz der „Wahrheit”.

Das macht die Frage der Zusammenarbeit mit anderen in der Kirche und in anderen Kirchen schwierig. Wenn man besser weiß als der andere, was seine Glaubensüberzeugung ist, zerstört man jede Gemeinsamkeit. Wenn man maximalistisch „seine” Wahrheit und - die angeblich unabdingbaren - Forderungen seiner Konfession durchsetzt, ohne zu fragen, was damit dem anderen zugemutet wird, dann bedeutet das ein Aushöhlen beziehungsweise ein Zerbrechen der Orientierung aufeinander hin.

Natürlich stehen im Hintergrund der Spannungen unaufgearbeitete Fragen, von denen das Verständnis des

„Amtes” in der Kirche mit seinen Voraussetzungen (etwa die gegenwärtige Form des Papsttums) und seinen Konsequenzen (welche Leitungsformen braucht die Kirche) wahrscheinlich am wichtigsten ist, weil daraus viele andere Probleme folgen.

Nun gibt es zwei Schreckensszenarien. Das eine malen die Statistiker an die Wand: Kirche und der Glaube werden bedeutungslos. Dann wird folglich auch die Frage der Zusammenarbeit und des Verhältnisses zwischen den Konfessionen bedeutungslos - ausgenommen bleibt lediglich ein kleiner Kern von „Interessierten”. Oder es kommt wieder zum Streit zwischen den Kirchen. Das wäre Nahrung für die hämischen Angriffe gegen Kirche und Glaube, wie sie derzeit an der Tagesordnung sind.

Gibt es aber eine dritte Möglichkeit? Sie ist in dem Maße gegeben, als die innere Glaubwürdigkeit kirchlicher Existenz die Achtung vor anderen Glaubenshaltungen bei gleichzeitigem Bekenntnis zum eigenen Weg zu Christus ausdrückt, als die Forderung nach der „Einheit in Organisation und Disziplin” zugunsten der Bereitschaft in den Hintergrund tritt, in den verschiedenen Strukturen das Gemeinsame zu suchen, bestehende Kontaktgruppen zu echten Entscheidungsträgern werden zu lassen. Diese sollten die Frage nach der allmählichen Stärkung des Gemeinsamen im Glauben in immer neuen Anläufen zu bewältigen suchen, indem von den Kirchen Fragen der sozialen und geistigen Entwicklung - unter Wahrung der jeweils eigenen Identität - in Bezugnahme aufeinander und gemeinsam aufgegriffen werden.Ob das geht? Vielleicht wäre das ein „österreichischer” Weg, der vorerst von theologischen Grundsatzerklärungen und strukturellen Maßnahmen frei bleibt, der aber dafür doch ein ganzes Stück weit dafür sorgen könnte, daß man von der „Religion” zwar redet, sie also als wichtig ansieht (auch in der Öffentlichkeit), daß man um sie aber nicht streitet.

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