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Jeder beruft sich auf Konzilstexte

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FURCHE: Herr Bischof, wie ha­ben Sie seinerzeit das II. Vati­kanische Konzil erlebt?

BISCHOF DIETER KNALL: Ich habe das Konzil mit großer An­teilnahme, um nicht zu sagen Über­raschung, erlebt. Das I. Vati­kanische Konzil hat die römisch­katholische Kirche so stark auf den Papst hin ausgerichtet, daß man aufgrund der dem Papst zugespro­chenen Machtfülle, Lehrbefugnis und auch Jurisdiktionsgewalt nicht unbedingt hätte annehmen müssen, daß Konzile in Zukunft überhaupt noch in Erwägung gezogen werden. Wir fühlten uns da mit den katholi­schen Christen gemeinsam über­rascht.

Es gab eine Öffnung, die Öffnung zur Welt und zu den anderen Kir­chen. Der Gedanke, daß man sich ökumenisch öffnet, ist ja vorher in der römischen Kirche nicht da gewesen. Daß sich der Ökumeni­sche Rat der Kirchen 1948 in Am­sterdam konstituierte, hat auf römisch-katholischer Seite durch Pius XII. heftige negative Reaktio­nen hervorgerufen. Die römisch­katholische Kirche könne da nicht mitmachen, sie könne sich nicht als eine Kirche unter anderen ver­stehen, sondern sie sei die christ­liche Kirche schlechthin. So kann man verstehen, wie groß der Wan­del gewesen ist. Es darf uns aber nicht blind machen dafür - das haben wir ja in der nachkonziliaren Zeit bis zum heutigen Tag erlebt -, daß die Auslegung der Konzilstex­te unterschiedlich sein kann. Jeder beruft sich heute auf das Konzil und alle nehmen Aussagen des Konzils für sich in Anspruch, kon­servative Gruppen und fort­schrittlichere Gruppen.

Die Entwicklung geht wieder ein wenig arg ins Konservative zurück. Nun erleben wir, daß es Probleme innerhalb der römisch-katholischen Kirche gibt, deren Bewältigung nicht in den Griff bekommen wird. Es haben schon diejenigen recht, die sich bewußt machen, von wo der Papst herstammt und welcher Katholizismus da anzutreffen ist.

FURCHE: Sie haben die Aus­einandersetzungen innerhalb der katholischen Kirche angesprochen. Es gibt natürlich auch verstärkt Probleme in der Ökumene, auch im sogenannten konziliaren Prozeß. Man hat den Eindruck, daß zwi­schen Basel und Seoul die katholi­schen Kirche ein bißchen auf Di­stanz gegangen ist...

KNALL: Ich würde Ihnen grund­sätzlich zustimmen. Von Rom geht derzeit eine Weise aus, die stark zentralistisch denkt und auch Konzilsergebnisse und -aus-wirkungen nun wiederum überholt.

Nach Basel sind wir gemeinsam gegangen, europaweit. Dort haben wir etwas erlebt was uns bisher seit der Reformation nicht geschenkt war, daß wir in Basel gemeinsame Texte erarbeitet und gemeinsam gesprochen haben, alle christlichen Kirchen Europas. Die nächste Runde in Seoul, die Weltkonferenz zum konziliaren Prozeß, ist uns nicht mehr in dieser Gemeinsam­keit geglückt. Dabei will ich offen sagen, daß an dieser etwas trauri­gen Sache in Seoul nicht nur die römisch-katholische Kirche allein die Verantwortung trägt. Ich übe Kritik auch an den Kirchen des Ökumenischen Rates, weil auch der Ökumenische Rat sich in dieser Frage übernommen hat

FURCHE: Welche Wünsche ha­ben Sie, wie es in der Ökumene weitergehen sollte, wo müßte man jetzt ansetzen?

KNALL: Ich würde zunächst sagen, daß uns aufgefallen ist, daß die meisten der neuernannten Bi­schöfe keine ökumenische Erfah­rung in ihr Amt mitgebracht haben, praktisch mit dem Amt' sich dieser Herausforderung gegenüber sahen und manchmal ein wenig den Ein­druck erweckt haben, als seien sie noch nicht im Sattel, um dieser Herausforderung wirklich gerecht werden zu können. Ich würde mir wünschen, daß hier sehr unbefan­gen auch stärker das Element der Beteiligung des Volkes, geradewenn es um Bischofswahlen geht, zum Tragen kommt. Das ist jetzt ganz ausgeblendet, selbst dort, wo schmale Rechte für ein Domkapitel noch vorhanden sind, wird in letz­ter Zeit versucht, das wegzu­bekommen. Denken Sie an die Be­setzung des Bischofsstuhles in Köln, Salzburg, Chur.

Ein weiterer Wunsch wäre, daß dieser Aufbruch, der uns miteinan­der glücklich gemacht hat, nicht als eine Episode betrachtet wird, die der Vergangenheit angehört, son­dern als eine Herausforderung der Welt an uns Kirchen.

FURCHE: Es wurde Ihnen un­längst der Hinweis an Katholiken, es gäbe ja auch noch eine andere große christliche Kirche im Land, als eine Art Abwerbungsversuch vorgeworfen. Können Sie präzisie­ren, wie Sie das damals gemeint haben?

KNALL: Ich bin von außen her angeschrieben und bedrängt wor­den: Ist jetzt nicht die Stunde ge­kommen, angesichts dieser Ausein­andersetzungen in der römisch­katholischen Kirche, daß die evan­gelische Kirche sich als die bessere Kirche anbietet? In dieser Heraus­forderung habe ich mich geäußert und habe versucht klarzumachen, daß ein Konfessionswechsel eine persönliche Glaubensentscheidung voraussetzt und daß es solche Glau­bensentscheidungen bis in die Gegenwart hinein gibt. Es gibt einen Wechsel aus der evangelischen in die katholische Kirche - wie zum Beispiel Christa Meves - und aus der katholischen in die evangeli­sche Kirche - wie unlängst ein bekannter Jesuit. Es ist eine Glau­bensentscheidung, in welcher Kir­che man das Glaubenszeugnis deut­licher erkennen kann. Das habe ich nicht verschwiegen.

Mit dem Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich sprach Heiner Boberski.

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