7028095-1989_19_11.jpg
Digital In Arbeit

Grundanliegen des Konzils

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt gegenwärtig Tendenzen, die Forderung nach einer Neuevangelisierung und das Zweite Vatikanuni gegeneinander auszuspielen. Weil infolge des Zweiten Vatikanums die Entchristlichung in Europa so weit fortgeschritten sei, sei eine neue Evangelisierung nötig.

In Wirklichkeit war die Evangelisierung, auch wenn dieses Wort damals noch nicht in Gebrauch war, ein Grundanliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Dies bestätigt auch Papst Paul VI. in seinem Apostolischen Schreiben “Evange- lii nuntiandi“, zehn Jahre nach Abschluß des Konzils.

Nach diesem Schreiben lassen sich die Anliegen des Konzils “in einem Wort zusammenfassen: Die Kirche des zwanzigsten Jahrhunderts besser zu befähigen, das Evangelium der Menschheit des zwanzigsten Jahrhunderts zu verkünden“. (Nr 2)

Daß dies keine später hinzugefügte Interpretation ist, läßt sich durch viele Texte des Konzils selbst nachweisen. So unterstreicht die Dogmatische Konstitution über die, Kirche:

“Da Christus das Licht der Völker ist, ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Synode, alle Menschen durch seine Helligkeit zu erleuchten… indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet… Die Bedingungen der gegenwärtigen Zeit geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, geht es doch darum, daß alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande einander immer enger verbunden werden, auch ihre volle Einheit in Christus erlangen“ (Nr. 1).

Auch die beiden Erklärungen über die Religionsfreiheit und über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen beinhalten keinen Verzicht auf die Weitergabe des Evangeliums an alle

Menschen und Völker. Nach dem Verständnis des Konzils ist die Kirche wesentlich missionarisch. Die Evangelisierung bleibt eine vordringliche Aufgabe.

Das Konzil soll die Hindernisse ausräumen, die dieser Aufgabe entgegenstehen, und neue Wege weisen. Ich möchte, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, stichwortartig einige Punkte nennen, die in diese Richtung weisen:

1 Die Überwindung der Trennung von Glauben und Leben. “Diese Spaltung zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen Leben vieler ist zu den größten Verirrungen unserer Zeit zu rechnen“ (Kirche in der Welt von heute, Nr 43).

•Zurück zu den Quellen. Nicht zufällig hat das Konzil zwei Konstitutionen über Bibel und Liturgie verfaßt und alle christlichen Gemeinschaften aufgefordert, sich auf ihre Ursprünge zu besinnen.

•Die Zuwendung zu den Menschen. Der Beginn der Konstitution über die Kirche in der Welt von heute gibt eine Grundtendenz des ganzen Konzils an: “Freude und Hoffnung, Bedrängnis und Trauer der Menschen von heute, besonders der Armen undBedrängten aller Art, sind zugleich auch Freude und Hoffnung, Trauer und Bedrängnis der Jünger Christi.“ (Nr. 1)

•Aggiomamento - “Verheuti- gung“ oder auch Anpassung an die Zeit- und Lebens Verhältnisse. Es geht hier um die sehr schwierige Frage der Abschaffung von Lebensweisen und Traditionen, die nicht mehr zielführend oder gar zum Hindernis geworden sind, und um die Einführung neuer, die den eigentlichen Zielen christlicher Lebensführung angemessener sind.

•Angesichts des Mißbrauchs von Macht und der Wertschätzung der Freiheit fordert das Konzil den Verzicht auf Gewalt. “Man muß sich jedoch bei der Ausbreitung des religiösen Glaubens und bei der Einführung von Sitten und Gebräuchen allzeit jeder Art der Betätigung enthalten, die den Anschein erweckt, als ob es sich hierbei um Zwang oder um unehrenhafte oder unberechtigte Überredung handelte, besonders wenn es weniger Gebildete oder Arme betrifft“ (Erklärung über die Religionsfreiheit Nr. 4).

•Das Konzil respektiert auch alle Werte, die es außerhalb der Kirche auchin anderen Religionen gibt, und ist bereit, Schuld einzugestehen, die die Kirche im Laufe der Geschichte selbst auf sich geladen hat. Es erleichtert auf diese Weise jenen Menschen den Zugang zum Glauben, die sich an gegenteiligen Haltungen der Kirche gestoßen haben, weil dies ihrem Gerechtigkeitssinn widersprach.

Bei all dem war für das Konzil wie auch für Papst Johannes XXIII. der Inhalt der christlichen Botschaft nicht in Frage gestellt.

Ein Christentum, dem nicht mehr widersprochen wird, hat seine Existenzberechtigung verloren. Wir müssen bloß dafür sorgen, daß uns der Widerspruch zu Unrecht trifft. Es gibt einen Widerspruch, der uns zu Recht trifft: Wenn unser Handeln und unsere Worte nicht übereinstimmen…

Die uns aufgetragene eigentliche Last ist, daß wir das Erbarmen Gottes verkünden müssen und dabei unser erbarmungsloses eigenes Herz schlagen hören. Das ist die große Last. Wir dürfen dann nicht unser Konzept zusammenklappen und sagen, ich gehe weg. Denn, wenn ich nur das verkünde, was ich kann, brauche ich gar nicht erst anzufangen. Der Apostel Paulus sagte schon: Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde.

Was wir in der Kirche zur Zeit wirklich schlecht machen, ist, daß wir dauernd über uns reden vmd nicht über Gott. Wir drehen uns dauernd um uns selbst, und nicht um den Gott, der uns trägt, der uns liebt und der für uns sorgt. Dabei fällt mir ein, was der Herr zu den weinenden Frauen von Jerusalem am Kreuzweg sagte: Weint nicht über mich, sondern weint über euch und eure Kinder.

In neun Jahren als Bischof von Berlin habe ich… festgestellt, wie sehr sich beide gesellschaftliche Systeme von der Wurzel her ähneln. Es gibt eine gewisse Grund- befindlichkeit im Osten wie im Westen. Ich will das einmal mit solchen Wörtern wie Säkularis- mus, Atheismus, Hedonismus bezeichnen… Ich glaube, daß die

“Die Hauptaufgabe des Konzils liegt darin, das heilige Überlieferungsgut (depositum) der christlichen Lehre mit wirksameren Methoden zu bewahren und zu erklären… Doch ist es nicht unsere Aufgabe, diesen kostbaren Schatz nur zu bewahren, als ob wir uns einzig für das interessieren, was alt ist, sondern wirwollen jetzt freudig vmd furchtlos an das Werk gehen, das unsere Zeit erfordert.“

Seit dem Zweiten Vatikanum hat sich viel in Kirche und Welt verändert. Es gibt in manchen Ländern auch eine Reihe von Symptomen einer fortschreitenden Entchristlichung. Trotzdem können die Bemühungen um eine neue Evangelisierung heute beim letzten Konzil anknüpfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung