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Kirche und Europa

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Die Debatte über die europäische Einigung wird wieder intensiver. Die Diskussion ist nicht mehr auf Politiker- und Dplomatenebene beschränkt, sie erfaßt auch breite Kreise der Bevölkerung. Daß die Kirche zu diesem Thema ein Wort zu sagen hat, ist selbstverständlich und angesichts der scheinbar stagnierenden Fortschritte dringend notwendig: Bei der Frühjahrskonferenz der Deutschen Bischofskonferenz, die Anfang März in der Nähe von Essen stattfand, nahm das Thema Kirche-Europa breiten Raum ein. Fast gleichzeitig tagten in Gallneukirchen die Vertreter der 108 nichtkatholischen Kirchen und beschäftigten sich mit „Europa nach Helsinki”. Und unmittelbar vorher befaßten sich auch die belgischen Bischöfe mit dem Thema. Der Titel ihrer gemeinsamen Erklärung lautete: „Neue Impulse für Europa”.

Der Vorsitzende der Kommission Weltkirche in der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Franz Hengsbach (Essen), analysierte in seinem Referat „Kirche und Europa” die Thematik von der Basis her. Seine Ausgangsfrage war: „Warum europäische Einigung”? Das entscheidende Motiv - erklärte Bischof Hengsbach - sei nach wie vor die Verständigung und Aussöhnung unter den Völkern, der Abbau von Spannungen und die Verhinderung von Konflikten. Er betonte weiter: „Die nationalen Volkswirtschaften sind heute maßgeblich von der Weltwirtschaft abhängig. Darum können Arbeitsplätze, Wohlstand und soziale Sicherheit nur in einem größeren Verbund ermöglicht werden.”

Der Referent kam dann auf die Entwicklung der dritten Welt zu sprechen, die auf technische und wirtschaftliche Hilfe und das „Know how” der Industrienationen angewiesen sei. Ein weiteres Argument für Bischof Hengsbach: „Das freie Europa muß gegenüber der Bedrohung durch den Weltkommunismus gestärkt werden.”

Was hat die Kirche überhaupt mit der europäischen Einigung zu tun? Bischof Hengsbach zitierte Papst Paul VI., der im Jänner anläßlich der feierlichen Einweihung des neuen Europahauses in Straßburg eine Bot schaft an die 19 Mitgliedsstaaten des Europarates gesandt hatte. Darin stellt der Papst fest, daß die Kirche weder Instrument der Einigung noch die Einigung Europas ein Mittel zur Evangelisierung sein könne. Er unterstreicht aber die große Verantwortung Europas vor der ganzen Welt Die politische Einigung Europas sei also eine unmittelbare Aufgabe der Völker und ihrer Vertreter, nicht die der Kirche. Wohl aber müsse die Kirche diese Bemühungen unterstützen und die allmählich heranreifende politische Einigung mitzugestalten versuchen. Für Bischof Hengsbach sieht das in der Praxis so aus:

• Die Bemühungen um die Einigung Europas müssen moralisch unterstützt werden.

• Die Kirche hat dafür Sorge zu tragen, daß das Christentum die entscheidende geistige Grundlage in Europa bleibe.

• Die Kirche muß darauf achten, daß die Katholiken und vor allem die ka tholischen Politiker ihre Verantwortung für die Gestaltung Europas erkennen und wahrnehmen.

• Die Ki-rche sieht es auch als ihre Aufgabe, die Europäische Gemeinschaft daran zu erinnern, daß sie bei all ihren Bemühungen für eine europäische Einigung das übrige Europa und insbesondere die osteuropäischen Länder nicht vergißt.

Zusammenfassend meinte Bischof Hengsbach: „Gerade unsere eigene europäische Geschichte mahnt uns immer wieder, trotz aller Schwierigkeiten an diesem Einigungswerk mitzuwirken.” Denn nur durch die Überwindung und Begrenzung nationaler Ansprüche sei - getragen von den christlichen Staatsmännern de Gaspe- ri, Schumann und Adenauer in der Nachkriegszeit-ein großer Schritt zur Aussöhnung und Verständigung getan worden. Dieser Weg sei die beste Garantie dafür, daß sich die unheilvolle Geschichte nicht mehr wiederholt.

„Die Kirche will ihren Beitrag zum Aufbau einer von den Grundwerten des menschlichen Zusammenlebens und der sozialen Gerechtigkeit geprägten europäischen Gemeinschaft leisten. Gerade angesichts so mancher Wirren in der Welt ist Europa aufgerufen, seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden. Nicht als Lehrmeister der übrigen Welt, sondern in echter Solidarität”, betonte Dr. Hengsbach. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, den Wohlstand mit den anderen zu teilen. Nur so könne die Kirche einen Beitrag zur Beseitigung der Ungerechtigkeit in der Welt leisten und gerade hier sei sie auch mit ihrem Vorbild und mit ihrem Wort gefordert.

Kardinal Joseph Höffher (Köln), der sich mit dem gleichen Thema auseinandersetzte, ging intensiv auf die Frage einer geistigen Grundlage für Europa ein. Was er in seinem Diskussionsbeitrag und in einer Pressekonferenz im einzelnen erörterte, formulierte die Bischofskonferenz als „sich aus der katholischen Soziallehre ergebende Grundwerte, die in einer europäischen Verfassung als Grundrechte beachtet werden müßten”. Dazu zählen die Personenwürde des Menschen, Freiheit und Gerechtigkeit, die Prinzipien der Subsidiarität, der Solidarität und des Gemeinwohles.

Die Bischöfe gehen sogar noch weiter, wenn sie erklären, daß diese Prinzipien konkrete Folgerungen für Fa- milienpolitik, Eigentumsverteilung und das europäische Wirtschaftssystem haben sollten.

Auch Kardinal Höffher denkt bei den europäischen Einigungsbestrebungen weniger an ein Europa der neun oder neunzehn, auch erinnerte er an die osteuropäischen Staaten. Der Kardinal kam auf das Konzil zu sprechen, bei dem kirchliche Würdenträger aus Ost und West zu gemeinsamen Beratungen zusammenkamen. Im Rahmen des „Rates der Europäischen Bischofskonferenzen” werde die Zusammenarbeit mit Vertretern aus Osteuropa ebenfalls praktiziert: „Der Gedanke, europäisch Zusammenarbeiten zu müssen, ist in unserem Kreis selber entstanden, weil wir spürten, daß wir uns nicht an die Grenzen halten sollten”, meinte dazu der Kardinal. Er kündigte bei einer Pressekonferenz auch eine gemeinsame Initiative der Bischofskonferenzen in Europa an. Es soll auf die für nächstes Jahr geplante Europawahl aufmerksam gemacht und zu einer großen Beteiligung aufgerufen werden.

Die Frühjahrskonferenz der Deutschen Bischöfe hat klargestellt: Die Kirche steht, wenn es um das Thema europäische Einigung geht, nicht mit leeren Händen und bloßenPhrasen da. Sie hat klar definiert, daß sie und wie sie bereit ist, bei der europäischen Einigung mitzuarbeiten. Letztlich sind es aber doch die Politiker, die die entscheidenden Weichen auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europa stellen müssen. Die Brückenfunktion der Kirche ist aber unübersehbar, weil sie übernational organisiert ist und die entscheidenden Alternativen für eine gemeinsame geistige Grundlage bieten kann. In diesem Zusammenhang ist auch die vehemente Forderung der deutschen Bischöfe zu verstehen, Osteuropa bei allen Einigungsbestrebungen nicht zu vergessen. Die daraus resultierenden Probleme und Schwierigkeiten sind hinlänglich bekannt Den europäischen Staatsmännern sind weitgehend die Hände gebunden.

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