(EU-Verfassungs-)Streit um Gott

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In Budapest referierten Bischöfe und Laien zum Thema "Christliche Werte in der EU". Fazit: Die "westlichen" Positionen unterscheiden sich dabei wesentlich von jenen aus den Reformländern. Die Furche berichtet*) vom ersten Symposium des Mitteleuropäischen Katholikentags.

Die politische Auseinandersetzung um den Namen Gottes in der Präambel der künftigen EU-Verfassung und die Festschreibung der christlichen Werte ging auf dem ersten Symposium des Mitteleuropäischen Katholikentags in Budapest quer durch die eigenen Reihen. Die unterschiedliche geschichtliche Prägung der katholischen Kirche Europas durch die Trennung durch den Eisernen Vorhang war schon allein an der Rednerliste abzulesen: die jahrzehntelang unterdrückte Teilkirche schickte fast ausschließlich Bischöfe ans Rednerpult, die "westlich" geprägten Positionen wurden von Laien vertreten. Eine Diskussion der Meinungsunterschiede war - nicht zuletzt wegen des engen Zeitkorsetts - aber nicht möglich.

Erster Grundwert: Leben

Erzbischof István Seregély proklamierte den hartnäckigen und bedingungslosen Einsatz für das Leben, dem "ersten Grundwert in Europa und im ganzen Universum". Einen für das menschliche Leben geeigneten Raum zu bewahren, bedeute unter anderem auch, seine Heimat und sein Vaterland zu lieben, wünschte sich der Vorsitzende der Ungarischen Bischofskonferenz. Die technische Gesellschaft werde zunehmend "überzivilisiert", bedauerte er und prophezeite, dass die Zukunft der Menschheit denjenigen gehören werde, die auf den Wert des Lebens aufbauten.

Konventspräsident Giscard d'Estaing habe das Christentum als historische Tatsache vergessen, klagte der ungarische Parlamentsabgeordnete und Mitglied des EU-Konvents József Szájer: Die Erwähnung Gottes (Invocatio dei) fehle in der derzeitigen Präambel. Jeder, der einmal in der Schule etwas von europäischer Geschichte gehört habe, wisse, das diese eng mit dem Christentum verbunden sei. "Das kann nicht der Hinduismus sein", polemisierte Szájer. Um einen Durchbruch zu erreichen, müsse der "geistige Kampf" weitergeführt werden.

Europa: eine Papst-Idee?

Der österreichische Politologe Heinrich Schneider erinnerte an die frühen Bemühungen von Papst Leo XIII., der sich schon 1894 gegen den "Scheinfrieden" in Europa gewandte und dafür plädiert habe, seine Einheit wiederherzustellen. Papst Pius XII. favorisierte für die Vision Europa eine nach dem Muster der Schweiz nachgebildete Eidgenossenschaft. Die Schwierigkeit dieses Einigungsprozesses habe seinerzeit der Philosoph Karl Jaspers auf eine einfache, und in der anschließenden Symposiumsdiskussion stark kritisierte Formel gebracht: Europa stehe vor der Wahl zwischen einer Balkanisierung oder einer Helvetisierung. Obwohl die Römischen Verträge von 1957 demgegenüber zu wünschen übrig ließen, sei die EU inzwischen die Verwirklichung eines Projekts, "das die Päpste von Anfang an propagiert haben", war sich Schneider sicher. Trotzdem habe Papst Johannes Paul II. dem politischen System der EU eine "ökonomistische Schlagseite" bescheinigt.

Zur Diskussion um die Präambel intonierte Schneider: "Ich habe größere Sorgen als das Fehlen der Invocatio." Jeder Friedensvertrag in Europa sei 800 Jahre lang mit Formeln wie "Im Namen der einen und allerheiligsten Dreifaltigkeit" und "Dieser Frieden soll ewig währen" eingeleitet worden. Keine dieser Worte habe Kriege verhindern können, verwies der Politologe auf die politische Wirklichkeit. Für die Christen gelte es, für Menschenwürde und Gemeinwohl "im eigenen Wirkungsbereich" einzutreten.

Europas "Dekadenz"

Der ungarische Primas und neu ernannte Kardinal Péter Erdo kritisierte, dass Europa als politische Realität de facto auf einen "engen Staatenverband", die Europäische Union, reduziert werde.

Werte ließen sich aber weder verstaatlichen noch durch den Staat beschränken, betonte der Erzbischof von Esztergom-Budapest. Sie seien in den Herzen der Mitglieder der Gesellschaft zu suchen. Religionsfreiheit werde falsch verstanden, wenn Religionen als subjektive Überzeugungen ohne objektiven Wahrheitsanspruch aufgefasst würden: "Diese einzige wahre Religion, so glauben wir, ist verwirklicht in der katholischen, apostolischen Kirche", zitierte Erdo das Konzils-Dekret Dignitatis Humanae. Werte wie das menschliche Leben, die Familie und die öffentliche Ordnung hätten im 20. Jahrhundert stufenweise an Bedeutung verloren: "Laizismus und Kirchenfeindlichkeit können nicht die Grundlage des neuen Europas sein", so der designierte Kardinal.

Dass im EU-Verfassungsentwurf liberale Werte wie Forschungs- und Unternehmensfreiheit und geistiger Eigentumsschutz in der Grundrechtscharta erwähnt, andere gar nicht so gut rechtlich ausgearbeitet seien, nannte Erdo "schon ein Zeichen gesellschaftlicher Dekadenz". Nach seinen Vorstellungen könne die kulturelle und geistige Realität nur auf "jüdisch-christlichen Werten" fußen, die universal zu vertreten seien.

"Außerhalb der EU kein Heil"

Der deutsche Theologe und EU-Experte Peter Bender konzentrierte sich in seinen Ausführungen auf die umstrittene Frage des Beitritts der Türkei in die EU: in Deutschland und Österreich gebe es bezüglich dieser Frage tiefsitzende psychologische Ängste. Nach seiner Einschätzung sei die Frage rein politisch und wirtschaftlich, nicht nach kulturellen oder religiösen Kriterien zu entscheiden. Manchmal erinnere ihn die Debatte an eine Denkart, die die katholische Kirche mit dem II. Vatikanum für sich neu definiert habe: "Außerhalb der EU kein Heil." Aufgabe und besondere Verantwortung der Kirchen in der EU sei es, einen "neuen Aufbruch und ein freudiges Wagnis, Hoffnung und Zuversicht" zu initiieren. Die europäische Idee mache neugierig, sei aber kein Patentrezept, schon gar nicht ein "politisches Evangelium, aber ein erfolgreicher Weg vom Krieg zum Frieden", wandte sich Bender gegen eurozentristisches Sendungsbewusstsein.

Europa dürfe kein "unfehlbarer Lehrmeister, sondern Teil einer Lerngemeinschaft" sein, appellierte er an das kirchliche Fachpublikum. Wenn es in Europa einen Dialog der Bekenntnisse statt sprachloser Beliebigkeit gäbe, könnten die Kirchen die Rolle als "Kontinente übergreifende Brückenbauer" wahrnehmen. Fremdenfeindlichkeit mit frommen Mäntelchen müsse im interkulturellen und interreligiösen Europa auch mit dem Gespräch innerhalb der Religionsgemeinschaften und Konfessionen begegnet werden, meinte Bender.

"Textlich verunglückt"

Direkt daran an knüpfte Michael Weninger, Berater von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und lokalisierte das europäische Kulturerbe in drei antiken Metropolen: Jerusalem, Athen und Rom. Wenn diese Städte und die mit ihrer Geschichte verbundenen Traditionen gestrichen würden, würde nur ein kümmerlicher Rest übrig bleiben. Europa besitze damit eine religiöse Dimension, nach denen sich die Bedürfnisse der Menschen ausrichteten. In der "textlich verunglückten" Verfassungspräambel sei "der liebe Gott glücklicherweise" vergessen worden. Viel wichtiger sei, dass in der Verfassung selbst christliche Werte enthalten seien: "Und das sind sie!", so der österreichische Diplomat, der sich in der Türkei-Frage "für eine Europäisierung des Islams, nicht eine Islamisierung Europas" einsetzte.

Für den 7. Dezember beten

Nicht in Hinblick auf die Sache - aber bezüglich des Weges der Manifestierung der christlichen Werte diametral entgegengesetzt - fiel das Schlussreferat des Apostolischen Nuntius in Ungarn, Juliusz Janusz, aus. Er erinnerte an die Bemühungen des Vatikans, die christlichen Werte doch noch in der Präambel zu verankern. Die Nennung des "jüdisch-christlichen Erbes" würde der "historischen Wahrheit" entsprechen. Auch heute seien 80 Prozent der Europäer Christen. Deshalb forderte Janusz auf, für den 7. Dezember, den Tag der Verabschiedung der EU-Verfassung durch die Regierungskonferenz, für diesen Text zu beten und zu predigen.

*) Eine Kooperation der Furche mit der Österr. Bischofskonferenz. Die redaktionelle Verantwortung für diesen Beitrag liegt bei der Furche.

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