Entfesselte Religion

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Hochrangige Theologen, Politologen und Philosophen diskutierten in Wien über Religion, Gesellschaft und Staat im säkularen Europa.

Als 'schlampiges Verhältnis" bezeichnete Sonja Puntscher-Rieckmann die Beziehung zwischen Staat und Kirche in Österreich. In der Bundesverfassung hätten staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften zwar keine Bedeutung, sehr wohl in der Realität. 'Kirchliche Würdenträger werden sogar vor honorigen Politikern begrüßt", lächelte die Salzburger Professorin für Politische Theorie und Europäische Integration. Zum Lachen war den Teilnehmern der Konferenz 'Religion im öffentlichen Raum - Religiöse Freiheit im neuen Europa", die letzte Woche in Wien stattfand, jedoch nicht. Karikaturenstreit und die Unruhen in den französischen Banlieues waren allen noch in bester Erinnerung. Doch wo liegen nun die Lösungen?

Kampf der Kulturen

Laizismus, also die strikte Privatisierung der Religion, sei eine 'Patina-Vision für Europa", so der Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz . Vor allem die türkische Ausprägung ließ ihn zweifeln: 'Hier geht es um die Gestaltung des Islam durch den Staat, ohne die Freiheit für andere Religionen zu garantieren."

Der Wiener Philosoph Rudolf Burger sah gerade in der Gleichartigkeit des säkularen Rechtsstaats die Bedingung für kulturelle Vielfalt und individuelle Freiheit. Die Unzulänglichkeiten des Rechtsstaates wischte er mit einem Zitat des deutschen Philosophen Hegel vom Tisch: 'Der hässlichste Mensch, ein Kranker und Krüppel, ist immer noch ein lebender Mensch." Obwohl Burger dem vieldiskutierten Begriff 'Clash of civilizations" kritisch gegenübersteht, hielt er es für möglich, dass Kriege künftig an den Bruchlinien lokaler Gruppen aus unterschiedlichen Kulturen (Beispiel Ex-Jugoslawien) stattfinden werden. Der einzige Ausweg: die Schaffung eines interkulturellen Klimas wechselseitiger Anerkennung, so Burger bei der vom Europäischen Forum Alpbach und der Kommission Iustitia et Pax der Österreichischen Bischofskonferenz veranstalteten Konferenz. 'Brutale" Alternative wäre der alte Grundsatz: 'cujus regio, ejus religio" - wer herrscht, bestimmt das Religionsbekenntnis.

'Pluralismus", also die dauerhafte Auseinandersetzung zwischen Religion und Weltanschauung, lautete das Wunschmodell des Fundamentaltheologen Metz. Die fehlende Diskussion rund um den Gottesbezug in der Präambel der EU-Verfassung, kritisierte er scharf: Könne es sich die Gesellschaft wirklich leisten auf ihr religiöses Gedächtnis und damit auf eine Gegenstrategie zu Marktherrschaft, Technikgläubigkeit und Globalisierungsfalle zu verzichten? Ähnlich argumentierte der katholische Sozialethiker Hermann Josef Große Kracht: 'Die Republik gibt nur gleiche Grundrechte und gleiche Chancen für alle vor. Der säkulare Staat hängt damit ,am Tropf politisch-kultureller Moralbestände', die ihm ,von unten' aus den pluralen Lebenswelten der Gesellschaftsmitglieder zuwachsen müssen."

Die 'Entfesselung des Religiösen" führte der an der Universtität Münster lehrende Sozialethiker nicht nur auf die Vitalität der Religionen - Stichwort Missionierung -, sondern auf die Religionssehnsucht der Menschen zurück. Große Kracht zweifelte allerdings daran, dass der gegenwärtige Religionsboom andauert. Das 'Wechselspiel" zwischen selbstbewussten Religionsgemeinschaften und einer selbstbewussten säkularen Republik könnte die Lösung sein. Wobei nicht nur radikale Islamisten, sondern auch Kapitalismus, Werteverfall, Vereinsamung und Sinnleere der westlichen Welt in Frage gestellt werden müssten.

Selbstghettoisierung

Wenig ausführlich beschrieb Große Kracht das Modell der Integration: Im Gegensatz zur oft auf Angleichung bis zur Unkenntlichkeit ausgerichteten Assimilation, meine Integration die Bewahrung und Behauptung eigener kultureller Identitäten jenseits von Selbstpreisgabe und fundamentalistischer Selbstghettoisierung.

Chantal Mouffe, Professorin für Politische Theorie an der Universität Westminster, plädierte für den 'agonalen Säkularismus". Dieser Ansatz sieht eine prinzipielle Trennung von Kirche und Staat vor. Jede Gruppe, auch jede Religionsgemeinschaft, habe die Möglichkeit, sich einzubringen, erläuterte die Londoner Professorin. Mittels Lobbying solle man versuchen, eine gemeinsame Wertordnung für die plurale Gesellschaft zu erstreiten.

Auch die Anschauungen der Religionsvertreter konnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Christliche Werte waren etwa für Kardinal Renato Raffaele Martino, den ranghöchsten Vertreter der römisch-katholischen Kirche bei der zweitägigen Konferenz, ein maßgeblicher Bestandteil an der Weiterentwicklung Europas. Eine 'wertvolle" Gesellschaft ohne Gottesbezug sei unmöglich, eine Loslösung von kirchlicher Seite ebenso undenkbar, da es die Vereinigung von Glaube und Leben unmöglich machen würde. Der Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden prangerte vor allem die Formel 'Es ist verboten, zu verbieten!" an. Er verblüffte, als er meinte: 'Das Christentum stellt nicht den Anspruch auf Besitz der dauerhaften Wahrheit. Christentum meint Dienst an der Wahrheit."

Raoul Kneucker, Vertreter der evangelischen Kirche in Österreich, sprach sich für Pluralismus verbunden mit einer Sonderstellung der Kirchen aus. Er begründete: Vielfach erwarte sich die Gesellschaft, dass Kirchen eine Mediatorenrolle einnehmen würden.

'Blut" für die Gesellschaft?

Muhammad Elsayed Elshahed, Professor für Islamwissenschaften an der Al-Azhar-Universität in Kairo, erläuterte die öffentliche Dimension des Islams: 'Die Religion hat eine politische, soziale und rechtliche Ebene. Wenn eine der Ebenen wegfällt, ist das mit einem einbeinigen Menschen vergleichbar. Damit kommt eine Trennung von Religion und öffentlichem Leben nicht in Frage", so der auch als Direktor der Islamischen Religionspädagogischen Akademie Wien tätige Elshahed. Säkularität, wie sie in Europa vorherrsche, sei für ihn eine 'blutleere" Gesellschaft. Nur Religionen können genau dieses Blut liefern. Daher forderte er die Aufwertung der (untereinander gleichgestellten) Religionen und den Respekt der Gesellschaft vor diesen. Auf den Aspekt Terror im Islam ging Elshahed nicht ein.

Auf die strenge Trennung von Staat und Kirche, pochte Willi Weisz von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, vor allem wenn es um religiöse Symbole in öffentlichen Institutionen (nicht in der Öffentlichkeit!) gehe. Die eigene Glaubensgemeinschaft nahm er nicht aus: 'Ich bin gegen das Tragen von Kippas in öffentlichen Schulen."

Abends empfing Nationalratspräsident Andreas Khol die Konferenzteilnehmer, allen voran 'meinen lieben Freund" Bischof Ludwig Schwarz. Ein Beweis für das 'schlampige Verhältnis", von dem Sonja Puntscher-Rieckmann gesprochen hatte?

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