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Wie Mose und Josua

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Die FURCHE interviewte Prälat Nikolaus Wyrwoll, der das Kirchentreffen „Frieden in Gerechtigkeit“ vorbereitet und am 23. Jänner in der Wiener Universität referiert.

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Die FURCHE interviewte Prälat Nikolaus Wyrwoll, der das Kirchentreffen „Frieden in Gerechtigkeit“ vorbereitet und am 23. Jänner in der Wiener Universität referiert.

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FimCHEiDie römisch-katholische Kirche tritt bei der für 15. bis 21. Mai 1989 geplanten Versammlung „Frieden in Gerechtigkeit“in Basel als Mitveranstalter auf. Bei der christlichen Weltversammlung 1990 in Seoul zu „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ will sie sich nur auf die Vorbereitung und Durchführung des Zusammentreffens beschränken …

PRÄLAT NIKOLAUS WYRWOLL: Hier gibt es nur einen Unterschied in der Form, nicht in der Intensität der Mitarbeit. Zwischen der Konferenz Europäischer Kirchen mit 120 anglikanischen, orthodoxen, reformierten und Freikirchen und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen besteht eine lange Tradition für gemeinsame Einladungen zu ökumenischen Veranstaltungen. Auf weltweiter Ebene sind die Dinge viel komplexer.

FURCHE: Was ist Schwerpunkt der Versammlung in Basel?

WYRWOLL: Basel verbindet mit allen anderen Versammlungen für Friede und Gerechtigkeit die besondere Verantwortung der Christen nicht nur für die Menschheit, sondern für die gesamte Schöpfung. In Basel soll der Hauptakzent nicht bei der Verabschiedung eines gemeinsamen Dokumentes liegen, obwohl auch das geplant ist, sondern im gemeinsamen Gebet. Die wachsende Einheit, die der Begegnung selbst und dem gemeinsamen Engagement entstammt, soll ein Zeichen setzen, was jeder an seinem Platz in vielen kleinen Schritten für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung tun kann.

Carl Friedrich von Weizsäcker, einer der Initianten dieser Versammlung, hat einmal gesagt, es wäre schon ein wichtiges Ergebnis, wenn in Basel ein Satz, der bisher nur von einer der Kirchen gesagt worden ist, nun von allen gemeinsam gesprochen werden könnte. Im übrigen haben wir jetzt bei den Vorbereitungen mit großer Freude festgestellt, daß die Traditionen der Kirchen zu vielen Fragen weit übereinstimmender sind, als wir dachten.

FURCHE: Realistisch muß man sagen, daß die Kirchen zur Lösung der großen Weltkrisen bisher nicht sehr viel beitragen konnten. Woher nehmen sie den Mut und das Vertrauen, daß sie jetzt in Basel in neuer Weise gehört und ernst genommen werden?

WYRWOLL: Ich habe eigentlich nicht besonders viel Mut und Vertrauen, daß die Stimme der Kirche in besonderer Weise gehört werden wird. Ich hoffe vielmehr, und teile diese Hoffnung mit meinem Kollegen in der Vorbereitung, Pastor Volkmar Deile, daß das Zusammentreffen selbst ein ermutigendes Zeichen sein wird. Es treffen sich hier 700 Delegierte, die sich aus Frauen (40 Prozent), Jugendlichen, Theologen und Laien, Vertretern von Kirchenleitungen, Gruppen und religiösen Orden zusammensetzen. Es soll auch ein Dialog mit Wissenschaftlern und Experten stattfinden. Von dem Zusammensein selbst werden neue Impulse ausgehen. Das verspreche ich mir und darauf vertraue ich.

FURCHE: Wie kann man eine Sprache finden, die dem christlichen Verständnis gerecht wird und gleichzeitig auch von Menschen, die dem Christentum ferner stehen, verstanden wird?

WYRWOLL: Sie kann nur gefunden werden, wenn wir uns bewußt sind, daß jedes Sprechen einen Raum des Verständnisses braucht. Und diesen Raum wollen wir eben durch das gemeinsame Gebet schaffen. Gebet nicht statt Diskussion und Begegnung, sondern in dem Sinn, wie Mose auf dem Berg gebetet hat, während unten im Tal Josua das Böse bekämpfte. So lange Mose seine Arme im Gebet erhob, so lange besiegte Josua die feindlichen Mächte.

Die feindlichen Mächte in Basel wären das Mißverständnis, das dazu führt, daß man wegen unterschiedlicher theologischer Traditionen das Wort des anderen nicht richtig verstehen kann. Die feindlichen Mächte wären Animositäten und Verletzungen, die kirchliche Gruppierungen einander im Laufe der Geschichte zugefügt haben. Ich glaube, daß besonders durch das Zeugnis der Einheit der europäischen Kirchen in Basel unser Wort besser gehört werden wird als bisher, da es getrennt gesprochen wurde.

FURCHE: Wenn Sie von einem einheitlichen Wort sprechen — so gibt es doch gerade in der Friedensfrage verschiedene christliche Traditionen: die Lehre vom gerechten Krieg und die pazifistische Lehre. Wie könnte eine Annäherung dieser Standpunkte aussehen?

WYRWOLL: Gerade da ist uns in der Vorbereitung auf Basel durch Untersuchungen, die Roger Williamson aus Schweden und Ernst Josef Nagel aus Deutschland für uns gemacht haben, klar geworden, daß eine solche Annäherung heute eigentlich schon erfolgt ist. Das heißt, die Kirchen haben im Grunde alle die Lehre vom gerechten Krieg verlassen. Ich zitiere als Beispiel aus jüngster Zeit die Synode der russischorthodoxen Kirche, bei der eindeutig gesagt wurde, daß wir heute, da jeder Krieg zur endgültigen Vernichtung führen könnte, endgültig von der Vorstellung abrük-ken müßten, daß ein Krieg zu irgendeinem Zeitpunkt gerecht sein könnte. Die katholische Ethik und auch andere Kirchen stim-

men mit dieser Aussage überein.

Friedenskirchen können aber nicht einmal den Besitz von Waffen oder den Friedensdienst des Soldaten zum Schutz vor Angriffskriegen anerkennen. Die katholische Kirche ist mit anderen Christen der Ansicht, daß ein Effekt der Abschreckung den Frieden auf eine befristete Zeit hinaus bewahren kann. Doch Papst Paul VI. hat bereits die Herstellung von Waffen als Verbrechen bezeichnet, weil sie Mittel bindet, die eigentlich für die Entwicklung der armen Völker ausgegeben werden sollten. Entwicklung als neues Wort für den Frieden.

FURCHE: Von Basel soll ja besonders ein Aufruf zur Umkehr ausgehen, zur Veränderung innerer Einstellungen. Wie könnte eine solche innere Veränderung im politischen Leben wirksam werden?

WYRWOLL: Heute sind die meisten Parteien immer noch darauf angewiesen, mit einem Zuwachs an Reichtum, an Produktion für sich zu werben. Wir müßten aber dahin kommen, daß Verzicht als eine Möglichkeit gesehen wird, verantwortungsbewußt zu überleben und andere überleben zu lassen. Wenn Menschen, die sich vom Glauben getragen wissen, zu einer solchen Haltung des Verzichtes, einer neuen Friedenshaltung, einem neuen Ansatz zur Gerechtigkeit zunächst für sich selbst kämen, dann wäre das bei jeder Wahl ein gewaltiges Potential, nach dem sich die Verantwortlichen richten müßten und,könnten.

Viele Leute wollen, Plakate tragend, zu Fuß als Pilger nach Basel kommeri. Ein junger Mann erklärte mir neulich den Unterschied zwischen einer Demonstration und einem Pilgerweg. Er meinte: „Bei einer Demonstration trage ich ein Plakat, auf dem steht: ,Ihr seid schuld!’ Auf dem Pilgerweg trage ich ein Plakat, auf dem steht: ,Ich bin schuld! Verzeiht mit diese Schuld!’“

Prälat Nikolaus Wyrwoll ist der katholische Vorbereitungssekretär für die Baseler Kirchenversammlung.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn.

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