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Digital In Arbeit

Einer siegreichen Macht dienen

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Kardinal Innitzer nannte die Caritas einmal die Übersetzung des Evangeliums in eine Sprache, die jeder versteht.

Diese Sinndeutung erschließt das Wesentliche. Das Evangelium in einer Sprache kundzutun, die jeder versteht — dazu ist viel Liebe notwendig. Es genügt nicht das Deklamieren, es genügt nicht das bloße Predigen mit erhobenem Finger, womöglich noch im Geiste der Großväterzeit. Um das Evangelium anderen begreiflich zu machen, genügt es nicht, im stillen Kämmerlein heiße Gottesliebe zu üben.

Es geht auch nicht immer darum, den uns verborgenen Gott und Seine oft unbegreifliche Schöpfung zu lieben, in der auch der unerwartete Tod vorkommt oder das Krokodil, das ein Kind frißt. Es geht überhaupt weniger darum, das Ferne und das Abstrakte zu lieben. Der Alltag braucht unsere Liebe, die Zeit braucht unsere Liebe. Wie können wir bestehen und weiterbauen, würden wir fortwährend über „unsere Zeit“, über die pure Schlechtigkeit in unserer Zeit lästern?

Ich glaube, daß Kardinal Innitzer mit „Caritas“ das meinte, was auch von seinem Nachfolger gemeint wird. Der Mann, der an der Spitze der Diözese steht und zum Erstaunen vieler schon sein sechstes Lebensjahrzehnt erreicht, bemüht sich redlich, das Evangelium in der Sprache unserer Zeit zu verkünden, den Menschen unserer Zeit zu dienen.

Auch unsere institutionelle Caritas bemüht sich, den Menschen unserer Zeit zu dienen. Vielleicht scheint der Name, unter dem sie es tut und der Liebe heißt, altmodisch, für viele ein unverständlicher Firmentitel, wenn man so sagen darf. Vielleicht gäbe es einen moderneren Namen, der den Menschen besser in den Kopf geht. Vielleicht könnte man vom Werbepsychologen einen großartigen Slogan zurechtbasteln lassen, unter dem alle Caritasarbeit geschehen soll. Aber die Sprache, die jeder versteht, ist gar nicht das technisch Raffinierte. Werbegrundsätze, die beim Verkauf von Waschmitteln Wunder wirken mögen, versagen in der Sphäre des Gemüt3 und des Herzens. Was die Sprache der Caritas betrifft, so ist wesentlich, daß sie ernst gemeint ist. Das Evangelium war ernst gemeint. Eine Ubersetzung in die Sprache, die Zeitungslesern, Radiohörern, Fernsehern, Menschen, die im Getriebe des Alltags die verschiedensten Tätigkeiten ausführen, geläufig ist, muß aus einem lauteren Wollen kommen. Wer könnte sie dann nicht verstehen?

In dem besonderen kirchenpolitischen Klima der Anpassung an die Zeit und ihre Menschen, das Kardinal Dr. König in unserem Lande geschaffen hat, ist der diözesanen Caritas die Arbeit nicht schwer geworden. Es gehört zum Arbeitsstil des Erzbischofs von Wien, daß er ohne Rücksicht auf Traditionen gewähren läßt, daß er Initiativen freundlich gegenübersteht und sie unterstützt, und daß er die Caritas sich den Realitäten wechselnder Zeiten anpassen läßt. Unsere diözesane Caritas hat leider nicht immer die materiellen Mittel, um den wachsenden Fürsorgeerfordernissen, seltsamerweise in einer Zeit, in der es uns allen besser geht, zu genügen. Im Geiste aber war sie den Umständen immer voraus.

Schon damals, als die Dynamik die Kirchenformationen noch nicht in Bewegung gebracht hatte und manches Kommende kaum geahnt wurde, durfte die Caritas ihre „Begegnung“ herausgeben. Keine großartige Zeitschrift, eine mit nur wenigen Folgen, in denen einige Heroldsrufe im Sinn, der kommenden Entwicklungen ausgestoßen wurden. Die kleine Zeitschrift, von der Caritas selber eingestellt, folgte den Spuren des Bischofs, der selber hellsichtig war im Erkennen sich anbahnender Entwicklungen.

1956, bei jenen bekannten Oktober- und Novemberereignissen in unserem Nachbarland, ergriff Dr. König die erste Initiative zur Flüchtlingsbetreuung und erzielte dadurch eine Kettenreaktion des guten Willens. Er erläßt einen Aufruf an alle und er wird gehört. Die flüchtlingsbetreuenden Organisationen setzen sich mit Unterstützung des Inneministers Helmer an einen Tisch.

Damals konnte die diözesane Caritas auch ihre Gastaktion starten. Der Name stammt nicht von der Unterbringung der Flüchtlinge in Gasthöfen. In den heimatlosen Flüchtlingen und Flüchtlingsfamilien, die auf unsere Hilfe angewiesen waren, sollten die Menschen den Gast Christus erkennen, bewirten und ihm weiterhelfen.

So wichtig die organisierte Caritas ist, noch wichtiger ist ihre individuelle Ausübung. Auf den einzelnen kommt es an. Es sind einzelne, die alle unsere Aktionen tragen. Die Opfer der einzelnen ermöglichten zahllose andere Hilfen, ermöglichten etwa, den Kampf gegen die Lepra zu realisieren. Mehr denn je muß der einzelne bereit sein, an der Lösung großer Aufgaben mitzuarbeiten, obwohl es genug Menschen gibt, die von dieser Notwendigkeit nichts wissen wollen. Immer wieder kommen — zwar symptomatisch, aber unwesentlich neben großen materiellen Opfern anderer — anonyme Schreiben, die etwa meinen: Warum geben Sie für Neger, Chinesen oder das Gesindel in Südamerika? Die Leute werden uns morgen erdrücken.

Wir wissen nicht genau, was heranwachsende Millionenvölker jenseits der Meere morgen tun werden. Sie werden uns zweifellos auch nach unseren Leistungen beurteilen. Auch darnach, wie weit wir Verständnis für ihre Nöte hatten. Wenn wir Hilferufe ausstoßen, die manchmal unpopulär klingen, so handeln wir auch hier im Sinn des Evangeliums, so bemühen wir uns auch hier, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und manch anderes Bibelwort in der Sprache der heutigen Zeit zu sagen. So bemühen wir uns auch hier, zu tun, was unsere beiden Wiener Kardinäle meinten.

Was Kardinal Dr. König betrifft: Er hat ein offenes Herz für die Welt. Er hat es oftmals bewiesen, und in der öffentlichen Meinung ist er registriert als ein Mann, der die Welt versteht, und also versteht sie auch ihn. Es gibt heute kein Eingeschlossensein mehr in elfenbeinernen Türmen, aus denen einen dereinst die Trompetenstöße der Engel zum großen Freudenmahl aller scheinbar braven Pfundvergräber herauslocken mögen. Nicht vergraben heißt es die Pfunde, sondern sie ausgeben, damit sie sich vervielfachen. Nicht in der Engstirnigkeit heißt es verharren, sondern um Hilfe rufen, Hilfe leisten, Liebe geben.

Die Reisen des Kardinals haben nicht den Zweck, genußvoll im Flugzeug zu sitzen, um tiefsinnig die Meere und Länder von oben zu betrachten und dann nach dem Aussteigen mit irgend jemand gelöst zu plaudern. Die Reisen sind als wichtige Kontaktnahmen zu werten, ob es sich nun um jene nach Indien oder eine andere an die Al-Azhar-Universi-tät handelt. Was da geistig geschieht, ist auch Caritas. Nicht jene der Institution, nicht jene wichtige des Individuums, von der wir sprachen und die entwickelt und deren Regungen unerhört gesteigert werden müssen. Wir meinen die große Caritas unserer im Aufbruch befindlichen Kirche, deren Ziel die hilfreiche Solidarität mit der Welt ist.

Solidarität mit der Welt, Kollegialität im Konzil, Abbau überflüssiger Feindschaften in unserem Volk, das sind neue Wege, von jener Macht diktiert, die am Ende der Zeiten die siegreiche sein wird, nach der duldenden, nach der oft von der Versuchung zur Schwachheit verdrängten — doch siegreichen Liebe.

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