Engagiert gegen Unfrieden und Not
Wer kennt sie nicht, die Klagen über die Jugend? Sie denke nur an Spaß, Konsum und Sex. Übersehen werden die vielen, die sich für Frieden, Versöhnung und gegen die Armut einsetzen. Einige von ihnen trafen sich heuer in Rom ...
Wer kennt sie nicht, die Klagen über die Jugend? Sie denke nur an Spaß, Konsum und Sex. Übersehen werden die vielen, die sich für Frieden, Versöhnung und gegen die Armut einsetzen. Einige von ihnen trafen sich heuer in Rom ...
Paleur Stadion, Rom, 20. Mai 1995, 11 Uhr vormittag: 12.000 Jugendliche, darunter auch wir 240 Österreicher, stehen auf und halten eine Minute des Schweigens für Länder, in denen Krieg herrscht. Es ist ein besonderes Schweigen, das uns vielleicht mehr verbinden wird, als die Erfahrungsberichte, Lieder und „Performances”, die noch folgen werden.
Das „Genfest” - schon zum siebenten Mal haben sich die „Jugendlichen für eine geeinte Welt” zu diesem Internationalen Festival in Rom getroffen. Alle fünf Jahre wollen sie Bi-lanz ziehen, ein Zeichen setzen und einander bestärken, um ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren - eine Welt zu verwirklichen, in er sich alle als Geschwister verstehen.
Zu den „Jugendlichen für eine geeinte Welt” gehören zirka 500.000 Jugendliche, die in 200 Ländern der fünf Rontinente vertreten sind und aus allen Rassen, Kulturen und Traditionen stammen. Sie sind Christen, Juden, Muslime, Ruddhisten oder Angehörige anderer Religionen, aber auch Jugendliche, die ohne einen religiösen Glauben an der Verwirklichung einer geeinten Welt mitarbeiten wollen.
Sie wollen zeigen, daß Einheit in Verschiedenheit nicht nur möglich, sondern der Weg zur umfassenden Entwicklung der Menschheit ist.
1967 schlössen sich die Jugendlichen der Fokolarbewegung zur „Gen”-Bewegung zusammen (Gene-razione Nuova - Neue Generation). 1973 fand in Loppiano bei Florenz das erste „Genfest” statt. 1985 ging aus den Gen eine offene Bewegung hervor, die „Jugend für eine geeinte Welt”.
Diese Jugendlichen für eine geeinte Welt versuchen zunächst, sich selbst zu ändern, sich durch die Nächstenliebe zu erneuern. Durch Aktionen verbreiten sie die Idee der Einheit unter anderem durch Sozialzentren, Einflußnahme auf die öffentliche Meinung, Initiativen um Umweltschutz und der Wirtschaft.
„Normalerweise schätze ich Massenansammlungen nicht sehr, aber diesmal war es anders. Oft sieht man nur die eigenen kleinen Ziele, Karriere et cetera, aber dieser Blick ist zu eng. Daß ich sehe, wieviele andere es gibt, die mit mir sind, hält mich davon ab, wieder umzukehren und aufs eigene kleine Leben zu schauen”, meint Ernst aus Salzburg beim diesjährigen Treffen in Born.
Nicht nur für ihn eröffnet diese Begegnung unterschiedlicher Kulturen, sozialer Schichten und Religionen eine neue Perspektive. Via Satellit sind zahlreiche Jugendliche aus Nord-und Südamerika, Asien und Europa mit uns verbunden.
Für Gabriele aus Graz ist diese Viel -falt etwas Wesentliches, sie sagt: „Mich hat beim Genfest am meisten beeindruckt, daß es möglich ist, daß Menschen verschiedenster Kulturen und Weltanschauungen miteinander in Freude ein Fest feiern können und gleichzeitig auch die Rereitschaft zeigen, einander in Schwierigkeiten und Leid beizustehen.”
Daß das möglich ist, zeigen einige Erfahrungen von Jugendlichen aus Kriegsgebieten. Sie wollen der Spirale von Haß und Gewalt eine Strategie
des Friedens entgegenstellen. Besonders beeindruckend ist die Erfahrung einer jungen Bosnierin, die von ihrer Familie getrennt über Umwegen in einem Flüchtlingslager in den Niederlanden gelandet ist. Dort hat sie erfahren, daß ihre Mutter, nachdem sie von einem Nachbarn vergewaltigt worden ist, ums Leben kam. Mit Hilfe ihrer Freunde ist es ihr gelungen, nicht mehr an Bache zu denken, sondern vorwärts zu gehen.
Für uns Europäer ist es an diesem Tag besonders wichtig zu hören, wie Jugendliche in anderen Kontinenten für ihre Ideale leben. Alirio aus Kolumbien erzählt:
„Ich begriff: Mein Leben muß sich ändern”
„Um aus der Armut herauszukommen, sind wir Bauern bereit, uns auf alles einzulassen, auch Kokain zu pflanzen und zu verkaufen.
Als ich die Jugendlichen für eine geeinte Welt' kennenlernte, verstand ich, daß ich mein Leben ändern und Schluß machen mußte mit bestimmten Verhaltensweisen und bestimmten Kreisen. Ich hatte aber das Problem, wie ich von meinen Aktivitäten wegkam, denn ich hatte inzwischen einen hübschen Handel mit Kokain auf die Beine gestellt. Ich mußte in mein Heimatdorf zurückkehren und nahm die harte Arbeit auf den Feldern wieder auf.
Um den Individualismus zu überwinden, habe ich eine Art Sporthalle gebaut als Treffpunkt für die Jugendlichen des Dorfes. Unter ihnen gab es viele alte Familienstreitigkeiten, ewige Spaltungen. Ich faßte Mut und sagte, daß wir doch anfangen könnten, einander zu verzeihen, und jetzt sind wir alle Freunde.
Im Dorf herrscht jetzt mehr Liebe
und Hilfsbereitschaft. An einem Tag in der Woche arbeiten wir alle zusammen auf den Feldern von einem von uns. Oft verzichtet auch jemand auf seinen Tag, weil ein anderer Hilfe nötiger braucht.”
Mittagspause - eine unendlich lange Schlange wartet vor dem Stadion auf die Essensausgabe. Gott sei Dank, die Sonne scheint, überall sieht man Gruppen von Jugendlichen, da ein paar Argentinier, dort eine Gruppe aus den Philippinen, gleich neben uns die Schweizer. Das ist die Gelegenheit, einander kennenzulernen.
Und dann heißt es erst einmal, sich zurücklehnen und die vielen Eindrücke aufnehmen - jedes fetzige Lied der international besetzten Band, jede Erfahrung, jede Pantomime scheint dasselbe ausdrücken zu wollen: Wir wollen Handelnde, nicht Zuschauer der Geschichte sein - dem Konsumdenken eine Kultur des Gebens entgegenstellen, dem Egoismus die Liebe zu jedem Menschen, dem Materialismus den Glauben, und der Diskriminierung die Gastfreund; schaft und die Einheit.
Wie das konkret aussehen kann, hören wir dann live via Satellit aus dem „Cafe International” in Solingen. Dort haben die „Jugendlichen für eine geeinte Welt” nach den tragischen Anschlägen 1993 die Aktion 1:1 ins Leben gerufen. Jeder Erwachsene und Jugendliche bemüht sich dort konkret um eine persönliche Beziehung zu einem Ausländer in seiner Umgebung, um damit die Basis für ein neues Miteinander zu schaffen. Das „Cafe International” ist so ein Ort der Begegnung und des Lernens voneinander geworden.
Szenenwechsel: Auf der Bühne steht ein hagerer alter Mann im Mönchsgewand. Phramaha Thogratana ist Buddhistischer Lehrer. „Das Gute ist die Beligion, und die Beligion ist das Gute. Die, die das Gute tun sind wirklich religiöse Personen.” Mit diesen klaren Worten bringt er zum Ausdruck, daß das Ideal der geeinten Welt nicht an eine bestimmte Religion gebunden ist, wenn es gelebt wird.
Kraft, sich dem Zeitgeist zu widersetzen
Eigentlich sind die Erfahrungen und Rerichte an diesem Nachmittag verblüffend weit gespannt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit wird von groß organisierten Projekten berichtet wie von Schritten, die den Alltag verändert haben. Judith aus Linz: „Ich war beeindruckt von dem Mädchen, das in einer Radio Talkshow angerufen hat. Es ging um das Thema Sex in Beziehungen. Obwohl sie mit ihrer Meinung alleine stand, rief sie an und sagt, daß für sie Sexualität ihren Wert und ihre Schönheit dann erhält, wenn sie Ja heißt, zu dem Menschen, den man liebt, ein Ja für immer. Darauf meldete sich ein anderer Jugendlicher und sagte, daß er jetzt die Kraft hat, sich dem Zeitgeist zu widersetzen.”
Das Gespräch mit Chiara Lubich*, der Initiatorin der „Jugendlichen für eine geeinte Welt”, ist wie eine Zusammenfassung von all dem, was wir an diesem Tag gehört, gesehen und erlebt haben. So sagt sie:
„Wir dürfen also nicht nur den Schwarzen und den Weißen sehen, den Hübschen und den Häßlichen,
den Intelligenten und weniger Intelligenten. Wir müssen in allen Christus sehen und Christus lieben ... Ich denke, dieses Prinzip gilt nicht nur für Christen, sondern auch für alle Menschen guten Willens, denn es ist ein vernünftiges, gutes und gerechtes Prinzip.” ...
„Ich möchte für euch ein großes Wort von Katharina von Siena wiederholen, dieser großen Heiligen, dieser außerordentlichen Frau. Sie sagte einmal zu ihren Anhängern: ,Begnügt euch nicht mit kleinen Dingen, denn Gott will Großes von euch.' Das sage ich auch euch: Gebt euch nicht mit Krümeln zufrieden. Ihr habt nur ein einziges Leben, setzt euch ein hohes Ziel. Begnügt euch nicht mit den kleinen Freuden, sucht die großen, sucht die Fülle der Freude. Ihr fragt vielleicht, „Wo finden wir die denn?” Gut. Jetzt zitiere ich zum Abschluß noch einmal ein Wort von Jesus. Er hat denen, die die Einheit leben, die Fülle der Freude verheißen. Wenn ihr dieses Ideal lebt, könnt ihr euch die Fülle der Freude erwarten.”
„Fang am besten gleich heute an!”
Es war ein langer Tag. In den Beihen sieht man manche müde und auch nachdenkliche Gesichter. Wie geht es jetzt weiter?
Die Moderatoren laden uns ein, sofort anzufangen. „Die Postkarte in eurem Programmheft kann der Anfang sein. Schicken wir sie an jemanden, mit dem wir uns nicht leicht tun.” Der weltweite Fonds „Geeinte Welt” wird vorgestellt: Er soll Mikrorealisa^ tionen in Kriegs- und Entwicklungsländern fördern. Und schließlich wird es jedes Jahr in der ersten Maiwoche die „Woche für eine geeinte Welt” geben.
Konkret mit diesem Leben anfangen, das ist auch für Teresa aus Linz wichtig geworden: „Mir hat besonders gefallen, was Chiara über Bassismus gesagt hat. In meiner Klasse sind nämlich drei Gruppen, die das Sagen haben, die Gleichgültigen, und die Ausländer, die ausgestoßen sind. Ich wollte immer etwas dagegen tun, aber ich hatte oft Angst. Jetzt habe ich den Mut, gegen den Strom zu schwimmen, am Dienstag, wenn ich wieder in der Schule bin, fange ich an.”
Für Johannes, einen Seminaristen, war schon die anstrengende Bück-fahrt im Bus ein wichtiger Moment: „Am allermeisten haben mich die Beziehungen getroffen, die ich unter einigen Leuten im Bus gesehen habe, wo das wirklich realisiert war. Dafür möchte ich mich bedanken, für diesen Umgang miteinander, auch in schwierigen Situationen.”
* Chiara Lubich ist Gründerin der Fokolarbewegung,
die 194) innerhalb der katholischen Kirche entstanden ist und 1962 von ihr anerkannt wurde. Ihr Ziel, einen Beitrag zur Einheit zu geben, verwirklichte sie durch den Dialog mit den christlichen Kirchen, mit den anderen Religionen, sowie mit Menschen unterschiedlicher Weltanschauung. Sie ist heute in allen Kontinenten in mehr als 200 Ländern verbreitet