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Die Urchristen von Kerala

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Der südindisohe Staat Kerala hat in letzter Zeit durch die ker, mua.stischen Auftriebe im Land, zuletzt durch die Wahl am 1. Februar d. J. (siehe „Die Furche“ Nr. 8), viel von sich reden gemacht.

Weniger bekannt ist das Schicksal der urchristlichen Gemeinde in diesem abgelegenen Teil der Erde. In Kerala haben vor nahezu 2000 Jahren die Hindus Bekanntschaft mit den ersten Christen gemacht. Hier bewirkte der heilige Apostel Thomas die ersten Bekehrungen; hier begann er mit seinem Werk der Evangelisation. Diese ersten Christen führten natürlich ein Leben, das nichts mehr gemein hatte mit den althergebrachten Sitten der Hindus, die ihrer Religion treu geblieben waren. Und doch genossen diese Christen die Gunst der regierenden Könige, die gegenüber diesen Andersgläubigen überaus tolerant waren. In Freiheit und ohne die kleinste Einschränkung durften sie ihre religiösen Riten und Feste abhalten, und ungestört konnte sich das Volk bekehren. Die Herrscher waren begierig, alle neuen „philosophischen“ Lehren kennen zu lernen, die geeignet waren, das kulturelle Erbgut des Landes zu bereichern.

Später erhielten diese ersten Christen Zuwachs durch syrische Christen, die vor den täglichen Verfolgungen der herrschenden heidnischen Gesellschaft in Syrien flüchten mußten und in Indien mit offenen Armen empfangen wurden. Es geschah fast von selbst, daß sich die Anhänger des Apostels Thomas und die Christen aus Syrien zu einer Gemeinschaft zusammenschlössen.

Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Portugiesen in Indien an Land gingen, waren sie nicht wenig erstaunt, vortrefflich organisierte christliche Gemeinden vorzufinden, die sich hauptsächlich längs der Malabarküste angesiedelt hatten. Ihr Bekehrungswerk begannen diese ersten Christen zuerst unter den damals in Südindien sehr verbreiteten Juden, später auch unter den Hindus. Die Numbidaris, eine Sekte der Brahmanen, die in der Gesellschaft Keralas die führende Rolle spielten, waren von der Botschaft Christi sehr beeindruckt, und viele von ihnen ließen sich bekehren. In kurzer Zeit war die Zahl der neuen Christen derart gewachsen, daß der heilige Thomas nicht weniger als sieben Kirchen errichtete. Aus Dokumenten der damaligen Zeit geht deutlich hervor, daß die höchste und führende Kaste der Brahmanen zum Christentum übergetreten war.

Die Geschichtsforschung besitzt heute zahlreiche authentische Berichte über das Leben der ersten Christen in Kerala; die „Akten des heiligen Apostels Thomas“, ein syrisches Werk aus dem 4. Jahrhundert, stellen eindeutig fest, daß der Apostel seine Evangelisierungsmission Indiens in Kerala begann. Die gleiche Ansicht vertreten auch Ephram, der Syrer, sowie der heilige Hieronymus. Der Erstgenannte erwähnt auch ausführlich den Märtyrertod des Apostels, der lebendigen Leibes verbrannt wurde. Seine Überreste wurden später nach Uraka (Edessa), damals einem wichtigen Zentrum der christlichen Religion, gebracht. Die alten Seefahrer berichten alle von diesen christlichen Gemeinden, die längs der südlichen' Westküste Indiens ihr glaubensstarkes und arbeitsreiches Leben führten. So wußten im 2. Jahrhundert Pantaemus und Cosmas von Alexandrien von den blühenden christlichen Gemeinden zu erzählen.

Am Konzil zu Nizäa im Jahre 325 waren die indischen Christen durch einen Bischof namens Johannes vertreten, der die gefaßten Beschlüsse als Metropolit Persiens und Indiens unterzeichnete; ein Beweis für die organisierte christliche Kirche Indiens zu dieser Zeit und ihre apostolischen Ursprünge.

Über die erste christliche Kirche weiß man im Grunde wenig. Die Gemeinde lebte in völliger Abgeschlossenheit und hatte auch keinen Kontakt mit der übrigen christlichen Welt. Ausgenommen das tiefreligiöse Dasein, das sie führten, lebten sie in harmonischer Gemeinschaft mit den Hindus, und wahrten auch streng die Überlieferungen ihrer Vorfahren. Die christlichen Nambudiris und die Hindus bedienten sich für ihre religiösen Riten und Zeremonien des gleichen Gotteshauses. Die Symbole des Saivismus prangten in diesem Tempel neben dem Kreuz der Christen. Als die erste alte Kirche zerstört wurde, errichtete man unverzüglich eine neue, und bediente sich dafür der alten, sogar der Steine, in welche die saivistischen Symbole eingemeißelt waren.

Im vierten Jahrhundert wurden die Christen durch die Einwanderung einer Zahl von Syrern erheblich verstärkt. Unter der Führung eines Mannes mit Namen Thomas von Canaan, eines reichen Kaufmannes, trafen 72 syrische Familien mit 400 Seelen in Kerala ein. Weil sie ständig unter den Verfolgungen in ihrer Heimat litten, hatten sie freiwillig den Weg ins Exil angetreten. Kerala bereitete diesen Flüchtlingen einen warmen Empfang, und der regierende Herrscher Keralas nahm sie unter seinen Schutz. Thomas von Canaan war auch begleitet von einigen Priestern und einem Bischof Joseph. Die St.Thomas-Christen und die Syrer schlosw-sen sich zu einer einzigen Gemeinde zusammen, und Thomas von Canaan führte in der Kirche die syrische Liturgie ein. So entstand die christlich-syrische Kirche in Malabar. Kurze Zeit nach seiner Ankunft beherrschte Thomas von Canaan den gesamten Handel im Königreich der Perumals. Unter dem Schutz der Perumals gedieh die syro-christliche Kirche zu einem blühenden Gemeinwesen.

Die christliche Gemeinde in Kerala genießt noch heute hohes Ansehen; nicht etwa nur ihres friedfertigen Charakters und ihres tiefen Chri-stusglaubens wegen, auch nicht wegen ihrer außergewöhnlichen Tüchtigkeit im Geschäftsleben. Was ihr noch mehr an Achtung seitens der übrigen Bürger Keralas verschafft, sind ihre einzigartigen Verdienste im Schulwesen und ihr aufopfernder, selbstloser Einsatz in allen humanitären und sozialen Hilfswerken. Nicht umsonst zählt der Staat Kerala den weitaus kleinsten Prozentsatz der Analphabeten in Indien.

Die Frauen der Syrochristen betätigen sich unablässig und freiwillig in den Krankenhäusern als Pflegerinnen, man sieht sie in den Waisenhäusern und Altersheimen als Schwestern. In keinem anderen Teil Indiens üben die Frauen eine so umfassende karitative Tätigkeit aus.

Bis auf den heutigen Tag sind die Syrochristen den alten, überlieferten brahmanischen Traditionen in allen Teilen treugeblieben. Mit Ausnahme der Kleidung ihrer Frauen unterscheiden sie sich wenig oder nicht von ihren Hindubrüdern. Sie nehmen lebhaften Anteil am öffentlichen Leben und interessieren sich für die Wohlfahrt des Volkes. Sie wohnen den religiösen Festen in den Tempeln der Hindus bei, und umgekehrt beteiligen sich die Hindus an den christlichen Feiern. Ihr ganzes Streben ist auf die brüderliche Eintracht und den sozialen Fortschritt des Landes gerichtet und wirkt sich auch sehr segensreich aus.

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