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Dornröschen Nepal

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Für den Fremdenverkehr wurde Nepal vor ein paar Jahren entdeckt, für die internationale Politik, leider, vor ein paar Wochen. Dennoch handelt es sich nicht um ein junges Land. Die Bauten am Fuße des höchsten Gebirges der Welt reichen 3000 Jahre zurück. Der Mount Everest blickt auf den Tempel Bodhanat herab, von dessen Turm vier Augenpaare Buddhas seit 2500 Jahren nach den Himmelsrichtungen blicken. Doch sieht man ihm sein Alter nicht an; alle die tausend Tempel, die über das Land verstreut sind, leuchten in blitzblanken Farben, weil sie vor jedem der sehr häufigen Feste frisch bemalt werden. Es ist ein altes Land, doch scheint es ewig neu.

Tirol in Asien

Es ist auch ein friedliches Land, wenn es nur den Nachbarn so gefällt. Die Sammlung phantastischer Waffen in dem einsam in der Ebene nahe der Hauptstadt Katmandu stehenden Museum zeugt nur von vergangenen Kämpfen — bis vor kurzem. Wenn man sich die Rolle Nepals zwischen China und Indien veranschaulichen

will, kann man etwa an die Tirols zwischen Deutschland und Italien vor einigen Jahrhunderten denken, als es unter eigenen Fürsten -eine gewisse Unabhängigkeit besaß. Im Norden gehörte Tibet, so wie Bayern zu Deutschland, in den chinesischen Kultur- und Machtbereich. Bis zur jüngsten Besetzung durch Rotchina konnte es aber eine relative Unabhängigkeit, seine eigene religiöse Hierarchie und Kultur bewahren. Von 1760 bis 1912 war Nepal lose an China angeschlossen, so wie Tirol an Bayern von 1809 bis 1814, und dadurch dem chinesischen Bereich angegliedert, so wie Tirol durch Bayern an den napoleönischen Machtbereich. Die erste chinesische Revolution von 1912 gab ihm aber die Selbständigkeit, die 1923 von Britisch-Indien feierlich anerkannt wurde und auch heute von beiden Chinas anerkannt wird, während ihr nun eine neue Gefahr vom Süden, von dem gegen Schwache imperialistischen Indien, droht.

Auch die innere Geschichte des Landes erinnert an die Europas vor Jahrhunderten. Das Verhältnis der Merowinger zu ihren Hausmeiern hat

sich bis in die letzten Jahre erstreckt, bis König Mahendra den Ranas die Macht abnahm, so wie Ludwig XI. den Feudalherren Frankreichs oder Ivan der Schreckliche den Bojaren Rußlands. Die Geschichte dieses Hochplateaus war aber nicht so blutig wie die Frankreichs od Rußlands. Die Macht der Natur am Fuße des höchsten und gefährlichsten Gebirges der Erde vertieft den Glauben, das Alter des Volkes die Toleranz. An diesem Schnittpunkt zwischen China und Indien treffen einander Buddhisten Und Hindus in gegenseitigem Verständnis, wie nur an wenigen Stellen, wenn intolerante Sekten des Hinduismus auf andere Religionen stoßen. Die höchste Bildung im Land wird an Jesuitenschulen erworben, die noch, wie einst in Indien, Dankbarkeit und Ehrfurcht begegnen. Die Flüchtlinge aus Tibet wurden mit offeneren Armen aufgenommen als in Indien, wo diese von der Angst vor Rotchina gelähmt sind. Direkt unter einem Augenpaar des Buddhas von Bodhanat haust ein Vertreter des aus Tibet vertriebenen Dalai-Lama, empfängt seine Anhänger ohne Zensur, hilft ihnen aus bescheidenen Spenden, die bei ihm einströmen.

Land der Berge, Klöster und Paläste

Das Land scheint nur aus Bergen, Klöstern, Tempeln und Palästen zu bestehen. Katmandu ist eine Museumstadt, wie Rothenburg in Deutschland, Carcassonne in Frankreich, Avila in Spanien, Cuzco in Peru, Ouro-Prieto in Brasilien. Vor lauter Tempeln, Pagoden, Gedenksäulen sieht man kaum Häuser. Die Schnitzereien auf den Tempeln zeigen oft Darstellungen von naiver Deutlichkeit. Liebe und Glaube scheinen die einzigen Triebfedern dieser Bergbewohner zu sein. Hunger, der Drang nach materiellen Gütern, ist durch die Bescheidenheit der Bedürfnisse gezähmt, Ehrgeiz nur bei wenigen vorhanden, oben bei der Kaste der Ranas, unten bei den

Sadbus, den heiligen Bettlern, bei denen Glaube und Geltungsdrang sich seltsam mischen. Das Volk, von den Kindern bis zu den Greisen, ist freundlicher, froher, vielleicht auch nicht ganz so arm wie im großen Indien.

Religion ist Volkssache

Religion ist nicht Privatsache, son* dem Volk&sache, die sich in rauschenden Festen voll Farbenpracht und in Städten, die nur aus Tempeln und Klöstern bestehen, äußert. Die Tempelstadt Pashupatinak ist die größte und heiligste Verehrungsstätte Sivas, nicht nur für Nepal, sondern für ganz Indien, die man neben dem Mekka Benares das Medina des Hinduismus nennen könnte. In dem für den Volkscharakter der Nepalesen sehr aufschlußreichen Roman „Der Berg ist jung“ schildert Han Suyin diese Stadtt „Die Tempel erstrecken sich am Ufer des Flusses — eine riesige Menge kleiner und großer Gebäude und zahlloser Kapellen, Pavillons, schattiger klostergleicher Galerien für Pilger, Bade- und Verbrennungsstätten. Der Fluß verengt sich, wo er zwischen Steinufern fließt, die von den Tempelmauern gebildet werden. Eine kleine Brücke führt über ihn, und auf der anderen Seite erhebt sich der heilige Hügel von Pashupati, eine sanfte Anhöhe, auf die man über behaüene Treppen steigt. Der Abhang ist von hunderten kleiner Tempel bedeckt.“

Dieses ruhige, fromme, genügsame Volk ist nun von einem neuen Imperialismus bedroht, der diesen Namen verleugnet, sich aber hemmungslos dorthin verbreitet, wo er keinen zu starken Widerstand findet. Die Imperialisten Ostasiens sind nicht mehr Länder Europas, sondern Chinas, Indiens und Indonesiens. Im Norden stößt der indische Imperialismus auf einen noch stärkeren, gegen dessen Eroberungen er sich nur mit Worten wehrt, obwohl er seit seiner „Befreiung“ die größte Armee Südasiens unterhält. Nur wo der Widerstand schwach ist, wie in Hydarabad oder Goa, läßt er seiner Eroberungssucht freien Lauf, unter Preisgabe aller schönen Grundsätze, die anderen gepredigt werden, mit einer Politik des doppelten Bodens.

Nun werden dieselben Schliche gegen Nepal angewendet. Unzufriedene mit dem Regime des Königs von Nepal, das immerhin milder ist als das des Herrschers von Delhi, werden aufgenommen, organiipiert, ihre Beschwerden registriert und aufgeblasen, Banden werden ausgerüstet, die in Nepal einfallen und dessen friedliche Bevölkerung morden und brandschatzen. Hinter den organisierten Banden lauert der Befreier Indien, der die erzeugte Unruhe als Vorwand zur Eroberung benützen will. Es ist wohl vertraglich verpflichtet, Indien zu schützen — aber gegen wen? Gegen China, gegen das es sein eigenes Land nicht schützen kann? Und wer schützt Nepal vor Indien?

Das wäre wohl eine Aufgabe für die Vereinten Nationen, die sind aber machtlos gegen ein so einflußreiches Mitglied wie Indien mit dessen vielen Anhängern. Die Vereinigten Staaten sind zu weit weg und haben andere Sorgen, können es sich auch nicht auf der ganzen Welt wegen der Kleinen mit den Großen verderben, wie Goa, Holländisch-Neuguinea, Katanga zeigen. Formosa macht wohl eine rühmliche Ausnahme. Der König von Nepal mag, so wie der Buddha von Bodhanat, nach allen Himmelsrichtungen ausblicken, so sieht er nur im Süden Indien, im fernen Nordwesten Afghanistan und im Norden Rotchina.

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