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Mit indischen Augen...

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Dem Skeptiker, der meint, daß Unabhängigkeit allein nicht genug ist, daß Unabhängigkeit ohne Reife, zumindest der Führer, den Aufstieg eines Volkes mehr gefährdet als fördert, wurde kürzlich im mannigfaltigen Geistesleben New Yorks eine authentische Bekräftigung geboten. Ein Inder sprach über Indien, Südostasien und die Sowjetgefahr. Das heißt, er wurde gefragt und mußte antworten, und tat es ehrlich und mutig. Er vertrat den besten Typ Neu-Indiens: gebildet (an einer englischen Universität), kein Parteihetzer, sondern ein ernster Politiker, der nicht nur sein Land, sondern viele Länder dieses buntest und dichtest bevölkerten Halbkontincnts kennt, den man Indien nennt, kurz, einer der besten Vertreter der großen Partei, die sich in Nehru verkörpert.

Wie sehen diese Inder, wie sehen ihre Führer, wie sieht also der Führer Indiens die Probleme seines Landes, seines Kontinents, der Welt an, wie sehen sie vor allem i h r Verhältnis zu Sowjetrußland?

Der Musterinder leitete das Fragenspiel mit der Bemerkung ein, daß den Indern und den anderen südostasiatischen Völkern das Kolonialwesen so verhaßt geworden sei, daß sie sich instinktiv gegen jene Seite stellen, die von Europäern unterstützt wird. Daher die Feindschaft gegen die europäischen Armeen in Malayen und Indochina; daher die Anziehungskraft, welche die kommunistischen Revolutionen unter dem Schlagwort absoluter und sofortiger Unabhängigkeit auf die Bevölkerung Malayens und Indochinas ausübe. Sie glauben nicht an die Versprechungen Englands und Frankreichs, den Ländern ihre Unabhängigkeit zu geben, sobald sie sie von den kommunistischen Heeren befreit hätten. Er müsse allerdings zugeben, daß die Engländer in Indien, Burma und Ceylon, die Holländer in Indonesien, die Amerikaner auf den Philippinnen auf gute Leistungen hinweisen können. Der Weiße sei aber für diese Völker zu tief mit dem Begriffe des Imperialismus verbunden.

Frage: „Macht die Unterstützung Chinas durch Rußland nicht denselben Eindruck auf diese Völker wie die Malayens und Indochinas durch die Europäer?“

„Nein.“

„Betrachten die Inder Sowjetrußland als eine imperialistische Macht?“ „Nein.“

„Betrachten sie die Chinesen als imperialistisch? „Nein.«

»Und was ist mit Tibet?“

„China hat auf Tibet einen legitimen Anspruch auf Grund alter Verträge. Man kann ihm nur vorwerfen, daß es ihn mit Gewalt durchsetzte. Vielleicht wäre auch das anders gewesen, wenn die tibetanischen Unterhändler rechtzeitig Visen nach Hongkong bekommen hätten, die die Engländer verzögerten.“ (Nebensinn: Also waren die Engländer an der Gewaltanwendung der Chinesen schuld.)

„Waren die Suzeränitätsverträge Tibets mit China freier erlangt und heiliger als die Verträge Englands mit den indischen Fürsten?“ „Ja.“

„Betrachten die Inder die Chinesen an ihrer Nordgrenze (nach Besetzung Tibets) als eine Gefahr?“

„Nein.“ (Allerdings werden dort fieberhaft Festungen gebaut und Garnisonen angelegt.)

„Handelte Indien nicht selbst imperialistisch bei der Besetzung Haidarabads?“

„Das läßt sich nur verneinen, indem man die ganze Frage Haidarabads erörtert.“ (Indien hat Haidarabad mit denselben Methoden, Ausreden und Gewalttaten besetzt, die Hitler in der Tschechoslowakei anwandte.)

„Wenn die Inder die europäischen Armeen so ungern in Südasien sehen, warum verwenden sie dann nicht ihre eigene Armee, eine der größten der Welt, um statt der Europäer ihre Nachbarländer Malayen und Indochina gegen den gemeinsamen Feind zu schützen?“

„We lchen gemeinsamen Feind?“ „Den Kommunismu s.“ „W ir betrachten ihn nicht als Feind.“

„Ist nicht Indien nur von den Europäern gegen eine japanische Besetzung geschützt worden?“

„Wären die Japaner nach Indien gekommen, so wäre das Volk wie ein Mann aufgestanden, um sich vofl ihnen zu befreien.“

„Wie denn? Gandhi hat doch jeden aktiven Widerstand verboten.“

„In der Not findet man immer einen Weg.“

„Bestand in Indien nicht dieselbe Gefahr wie in Indonesien, wo sich ein großer Teil der Bevölkerung den Japanern anschloß?“

„Nein.““

„Betrachtet man in Indien die Kommunisten als Gefahr?“ „Nein.“

Und so ging es weiter. Es ist nichts Seltenes, daß die Führer eines Landes nur das sehen, was sie sehen wollen — bis sie sehen müssen, was sie nicht sehen wollten. Das erging auch Bencsch so. Diese Auffassung erklärt vieles in der schwankenden Haltung des größten freien Landes Asiens. Wenn aber ein großes und wichtiges Land von Menschen geführt wird, die vor den entscheidenden Erscheinungen ihrer Zeit die Augen schließen, dann droht Gefahr.- Dann war Unabhängigkeit vor erlangter Reife ein Unglück, nicht nur für ihr Volk, sondern für die ganze Welt.

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