Demokratie in der Warteschleife

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Am 1. April hat Nepal die Vereidigung einer Übergangsregierung und den Beginn einer "neuen demokratischen Ära" gefeiert. Zwei Wochen später werden viele Errungenschaften schon wieder in Frage gestellt - waren die Versprechungen nur ein Aprilscherz?

Nur wer mit einem wendigen Wagen von der Provinzhauptstadt Janakpur noch weiter in den Süden Nepals will, hat auf der von Schlaglöchern übersäten Schnellstraße eine Chance, zügig voranzukommen. "Das schlechteste Stück Asphalt im Land", so nennen viele die staubige Strecke, auf der schwer beladene Lkw, Traktoren und klapprige Ochsenkarren im gefährlichen Wettstreit miteinander Holz, Reis und Gemüse von der fruchtbaren Ebene "Terai" aus in die umliegenden Städte und ins ganze Land transportieren. "Vor zehn Jahren schon hat uns die Regierung Geld zugesagt, damit wir wenigsten die ärgsten Schäden ausbessern können. Aber niemand weiß, wo die versprochenen Summen gelandet sind ", schimpft Nagendra P. - ein Geschäftsmann, der als Zwischenhändler knapp über die Runden kommt. Das Problem: "Es gibt noch immer keine Demokratie. Niemand verwaltet das Land gut und im Sinne der Bewohner."

Juni: Monsun und Wahlen?

Die Bevölkerungsgruppen im Grenzstreifen zu Indien, die sich seit Jahrhunderten von den Herrschern im Norden politisch, wirtschaftlich und kulturell unterdrückt fühlen, fürchten, dass sich das auch jetzt nicht ändern wird. Im Terai bebauen Landlose die Felder der Reichen, fehlt es Kindern an Heften und Büchern, hüten Buben die Ochsen und hausen Angehörige der "unberührbaren" Kaste ohne Hab und Gut in einfachen Hütten. Mitsamt ihrer bescheidenen Ernte sind sie während der Monsunzeit schutzlos den Überschwemmungen ausgesetzt.

"Der nächste Regen wird im Juni fallen. Dann sitzen die einen in ihren Häusern fest, weil ihnen das Wasser den Weg versperrt. Die anderen müssen auf die Felder, um Reis zu pflanzen", sagt Rita Dhakal, Forstwirtin in Janakpur. Bis Juni sollte auch die Wahl einer Versammlung, die eine neue Verfassung für Nepal ausarbeitet, über die Bühne gegangen sein - doch der Termin wackelt und die Maoisten versuchen jetzt den König durch das Parlament absetzen zu lassen (siehe Kasten).

Fast elf Jahre lang kämpften in der weltweit einzigen Hindu-Monarchie Nepal kommunistische Guerillas unter Maos Stern für die Entmachtung des selbstherrlichen Königs Gyanendra. Mehr als 13.000 Menschen starben. Entführungen und die Erpressung von kaum aufzutreibenden Summen für den Lebensunterhalt der Rebellen sowie die willkürliche Gewalt gegen vermeintliche Spitzel - auch von Seiten der königstreuen Armee - haben Hunderttausende zur Flucht aus ihren Dörfern gezwungen. Dort verrotten seither die Häuser, Straßen und Schulen.

Noch immer werden laut Rotem Kreuz mehr als 800 Menschen vermisst. Ein Teil von ihnen ist vermutlich bereits tot oder die Verschleppten sitzen in Gefängnissen, von denen niemand weiß. Ihre Familien forderten bisher ohne Ergebnis von der Übergangsregierung in Kathmandu Informationen ein. Die Angehörigen wieder zu finden oder zu wissen, was mit ihnen geschehen ist - auch das gehöre dazu, um in Nepal Frieden zu finden, sagen sie.

Aber der als historisch gefeierte Friedensschluss vom vergangenen November, der den Maoisten die Teilhabe an der Regierung eingebracht hat, garantiert den erhofften staatlichen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes nicht. Die Umkrempelung des Himalaya-Reiches in eine Demokratie droht auf halber Strecke stecken zu bleiben. Die unverändert miserablen Lebensbedingungen der Landbevölkerung, die zu bekämpfen sich die Maoisten auf ihr Banner geschrieben haben sowie das nicht eingehaltene Versprechen, alle ethnischen Gruppen an der Macht teilhaben zu lassen, treibt viele zu neuen Splittergruppen.

Von Maoisten verraten?

"Die Menschen am Land kümmert nicht, wer Premierminister wird, sondern ob sie am nächsten Tag etwas zu essen haben", bringt Arshun Karki, Kopf der Bürgerrechtsbewegung in Nepal die Stimmung auf den Punkt. Sieben Millionen im Land wissen das noch immer nicht. Die Friedens-Dividende für sie sei sauberes Trinkwasser und Straßen, auf denen die Vertriebenen wieder nach Hause können.

So wird der aufgestaute Zorn der Menschen in der Kornkammer Nepals zum gefährlichen Pulverfass für das ganze Land. Ihre Hauptanklage: Die ehemaligen Guerillas aus dem Dschungel hätten sich mit der Teilhabe an der Macht bereits arrangiert. Ihre Anführer, allen voran Prachanda - "der Verwegene" - die Nummer eins der Maoisten, kämpfen nun mit einem anderen, womöglich hartnäckigeren Gegner als einer bewaffneten Armee: Dem mangelnden Vertrauen der Bevölkerung.

Die internationale Staatengemeinschaft kümmere sich, so Karki, dass die Rebellen ihre Waffen wegsperren, und helfe bei der Vorbereitung der Wahlen. Das sei gut und wichtig. Für die Stabilisierung des Landes sei es aber auch weiterhin nötig, den Blick auf die starke Zivilgesellschaft zu lenken und jene lokalen NGO zu fördern, die sich in Nepal für Menschenrechte, Alphabetisierung und Gesundheit engagieren.

Die Autorin ist Redakteurin in der "Kurier"-Außenpolitik

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