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Nepal steht am Rande des politischen Chaos: Der Maoistenaufstand gewinnt an Terrain, Streiks und Ausschreitungen gegen Muslime nehmen zu. Ein Lokalaugenschein

Nepal stürzt von einer Krise in die nächste: zuerst die Blockade Kathmandus durch die Maoisten, dann ein kurzer Generalstreik in der Hauptstadt und zuletzt massive landesweite Ausschreitungen aus Protest gegen die brutale Ermordung der zwölf nepalesischen Geiseln im Irak.

In dem kleinen Land mit 25 Millionen Einwohnern, die durchschnittlich 200 US-Dollar im Jahr verdienen, haben zu viele Menschen nichts zu verlieren. Und jede Kleinigkeit reicht aus, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Anlass für den kurzen Generalstreik war das Militär, dass dem mächtigen Oppositionsführer der Nepali Congress Partei G.P. Koirela den Flug in einen anderen Landesteil verwehrte - böse Zungen sagen auch, dass ihm nur der Zutritt zur VIP-Lounge im Flughafen untersagt wurde. Und schon legten seine Unterstützer den Autoverkehr in der Stadt mit brennenden Autoreifen lahm.

Der ohnmächtige Zorn der Bevölkerung gegen die islamischen Fundamentalisten im Irak, die zwölf junge Nepalis grausam töteten, und die eigene Regierung, die keine angemessene Reaktion auf die Geiselnahme zu Stande brachte, entzündete die Ausschreitungen gegen muslimische Einrichtungen und Mitbürger. Die tagelange Ausgangssperre in der Stadt war Ausdruck der Hilflosigkeit der Regierung. Und während in der Hauptstadt niemand auf die Straße gehen konnte und das tägliche Leben lahm gelegt war, ging in den Bergen der blutige Konflikt zwischen Regierung und den maoistischen Aufständischen weiter.

Seit 1996 kämpfen die Maoisten gegen die Monarchie und die jeweils herrschenden Regierungen. Ihre Gegenüber wechseln schnell: Seit Einführung einer quasi-demokratischen konstitutionellen Monarchie 1991 waren zwölf verschiedene Regierungen an der Macht. Und alle scheiterten an internen Konflikten, ihrer Selbstbezogenheit und der Parallelmacht des Königshauses.

Kaste bestimmt die Stellung

Bis 1950 wurde das Land von absolutistischen Monarchen regiert, die ihren Untertanen kaum Interesse entgegenbrachten. 1950 konnten nur zwei Prozent der Einwohner lesen und schreiben. So gesehen ist es ein Fortschritt, dass 50 Jahre später "nur" mehr 40 Prozent nicht lesen und schreiben können. Aber in den fünf Jahrzehnten seit der Öffnung des Landes sich hat viel zu wenig an den Lebensbedingungen und der Armut geändert. Auch wenn das Hindu-Kastensystem formal außer Kraft gesetzt wurde, wirken seine diskriminierenden Sozialstrukturen immer noch auf die Gesellschaft: Geld und Einfluss sind fest in der Hand der Brahmanen und Chetris. Auch quer durch die Parteien: Selbst die Führer der Maoisten sind gebildete Brahmanen aus wohlhabenden Familien.

Für den größten Teil der Bevölkerung in dem ethnisch und kulturell so vielschichtigen Land gibt es kaum Aussichten auf Menschenwürde und Aufstieg. Förderprogramme für die ethnischen Gruppen des Landes, die Beendigung der sklavereiähnlichen "bonded labor"-Arbeitsverhältnisse der landlosen Bevölkerung und die Gleichstellung der Frauen bleiben nur Lippenbekenntnisse der Regierungen.

Nicht verwunderlich, angesichts der Versprechungen der Maoisten und der Armut im Land, dass zwischen zehn und zwanzig Prozent der Bevölkerung mit den Maoisten sympathisieren. Ihre taktischen Mittel (Entführungen, Ermordungen, Erpressung und Repression gegen Andersdenkende) werden allerdings nur von vier- bis siebzehn Prozent der Nepalesen unterstützt.

Die maoistischen Führer berufen sich in ihrer militärischen Strategie auf Mao und seinen Kampf in China. Teil ihrer Taktik ist es, nach der Eroberung des ländlichen Raums, sukzessive die Städte einzukreisen, und damit die Machtzentren lahm zu legen. Bisher waren sie durchaus erfolgreich. Derzeit haben die Maoisten etwa achtzig Prozent des ländlichen Raums mehr oder weniger in ihrer Hand. Nur in den Distrikthauptstädten und Teilen der flachen Ebene des Terai haben Militär und Polizei die Oberhand.

Das Machtzentrum des Landes - das reiche Kathmandu Tal - einzukreisen und eine Blockade zu verhängen war logische Konsequenz aus der bisherigen Taktik der Maoisten. Die Blockade war aber wenig erfolgreich: In der Stadt war außer einem Anstieg der Gemüsepreise nichts zu spüren.

Zivilisten im Kreuzfeuer

In den unzugänglichen Bergregionen Nepals wurde vor wenigen Wochen ein bekannter Journalist wegen angeblicher Spionage für die Regierung von den Maoisten umgebracht und weitere zehn Journalisten mit Todesstrafen belegt; die Armee ist auch nicht zimperlich, täglich gibt es Meldungen von Angriffen auf maoistische Stützpunkte, Erschießungen von Rebellen und Verschleppungen von angeblichen Unterstützern der Guerilla.

Auch die Zahl der zivilen Opfer ist hoch: unbewaffnete Zivilisten und Kinder, die ins Kreuzfeuer geraten oder von einer der beiden Seiten der Kollaboration beschuldigt und getötet werden. Zehntausend Menschen sind seit 1996 im Bürgerkrieg ums Leben gekommen, davon alleine 5.000 in den letzten drei Jahren. Viele junge Männer mussten aus Angst vor Zwangsrekrutierungen durch Rebellen und Armee ihre Dörfer verlassen.

Die Aussichten auf Frieden und faire Parlamentswahlen stehen schlecht. Die aktuelle Regierung, erst im Juni 2004 durch den König eingesetzt, ist schwach und handlungsunfähig. Was sich gerade wieder während der anti-islamischen Ausschreitungen zeigte. Dem König, der 2001 das gewählte Parlament auflöste und die Regierung entließ, scheint das nur recht zu sein. Als oberster Befehlshaber des Militärs braucht es seine Zustimmung für alle militärischen Aktionen. Und es scheint, dass derzeit weder der König, noch die Maoisten ihre mächtigen Positionen aufgeben wollen, um an einer friedlichen Lösung des Konflikts zu arbeiten.

Nepals politische Lage steht gegenwärtig an der Kippe. Der Bürgerkrieg, der bisher Ausländer verschont hat, könnte sich jetzt noch gewaltsamer als bisher in den Touristenregionen und in den Städten ausbreiten. Und damit das Land weiter in den Strudel von Konflikt und Gewalt reißen.

Die Autorin ist Wiener Landtagsabgeordnete der Grünen, verbrachte die letzten sieben Wochen in Nepal und arbeitete in einem Demokratie-Entwicklungsprojekt.

Info: http://www.marieringler.at

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