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Goya in Bangladesh

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Dreieinhalb Jahre nach Gründung des Staates Bangladesh wurde der Gründer, Scheik Mujibur Rahman, äm; 14. August 1975 ermordet und sein Regime ausgelöscht. Ein Monat nach dem Masr saker, in dem der Scheik und seine Familie ermordet wurde, bietet das neue Regime das Bild der gleichen Anarchie, die Mujiburs Regime gewesen ist, Zwei Untergrundarmeen wollen Mujibur rächen und einen Umsturz, der die alte Politik, der Moskau- und Dehlif reündschaft wiedererwecken soll, vorbereiten. Ein: prochinesischer Geheimbund in Chittagong nimmt den Kampf mit den Untergrundarmeeen auf und will einen beschleunigten und radikalen prochinesischen Kurs erzwingen. In Bangladesh würde schon längst wieder Bürgerkrieg herrschen, wenn es dort noch Bürger'mit der Kraft zum Kriege gäbe. So aber herrscht ein Banden- und Terroristenkrieg. Und die Herbsternte, die sich im leichten Regen des frühen Monsun so hoffnungsvoll angekündigt hat, wird von den Fluten des späten Monsun fortgeschwemmt. Bangladesh wird in diesem Winter weniger Nährung haben und mehr ausländische Hilfe brauchen, als in irgendeinem Jahr seit der großen Flut von 1970. Jedes Dorf in diesem Land gleicht einem der Schreckensbilder von Goya. Und selbst in Indien, dem Nachbarland, fragt man sich, wie weit es dort, in Bangladesh, noch kommen könne.

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Dreieinhalb Jahre nach Gründung des Staates Bangladesh wurde der Gründer, Scheik Mujibur Rahman, äm; 14. August 1975 ermordet und sein Regime ausgelöscht. Ein Monat nach dem Masr saker, in dem der Scheik und seine Familie ermordet wurde, bietet das neue Regime das Bild der gleichen Anarchie, die Mujiburs Regime gewesen ist, Zwei Untergrundarmeen wollen Mujibur rächen und einen Umsturz, der die alte Politik, der Moskau- und Dehlif reündschaft wiedererwecken soll, vorbereiten. Ein: prochinesischer Geheimbund in Chittagong nimmt den Kampf mit den Untergrundarmeeen auf und will einen beschleunigten und radikalen prochinesischen Kurs erzwingen. In Bangladesh würde schon längst wieder Bürgerkrieg herrschen, wenn es dort noch Bürger'mit der Kraft zum Kriege gäbe. So aber herrscht ein Banden- und Terroristenkrieg. Und die Herbsternte, die sich im leichten Regen des frühen Monsun so hoffnungsvoll angekündigt hat, wird von den Fluten des späten Monsun fortgeschwemmt. Bangladesh wird in diesem Winter weniger Nährung haben und mehr ausländische Hilfe brauchen, als in irgendeinem Jahr seit der großen Flut von 1970. Jedes Dorf in diesem Land gleicht einem der Schreckensbilder von Goya. Und selbst in Indien, dem Nachbarland, fragt man sich, wie weit es dort, in Bangladesh, noch kommen könne.

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Zwei Offiziere wurden anfang September ermordet im Bordellviertel gefunden; Majore. Am selben Tag gab es hektographierte Flugblätter auf den Straßen von Dakka: „Die beiden Majore sind hingerichtet worden. Wir haben sie hingerichtet, wir, die vereinigten Untergrundarmeen. Auf unserer Todesliste stehen noch weitere 200 Offiziere, Mörder des Bangalundhu, des Vaters des Vaterlandes, des Präsidenten Mujibur Rahman.“ Und damit es keine Täuschung geben kann, woher dieser Wind die Flugblätter auf die Straßen von Dakka geweht hat, setzte Anfang

September, nur zwei Wochen nach dem blutigen Coup der Majore, in der Hauptstadt von Dakka eine Flüsterpropaganda ein: Scheik Ahmed ist nach der Ermordung des Banga-bundhu von den Majoren gezwungen worden, Präsident von Bangladesh zu werden. Die Minister sind von den Putschisten gezwungen worden, das neue Kabinett zu bilden. In Wirklichkeit herrschen aber im Präsidentenpalais die Majore, die am 15. August den Bangabundhu und seine Familie ermordet, das Regime der Befreiung Bangladeshs ausgelöscht haben. Es war wirklich nicht anzunehmen, daß Bangladesh so einfach aus dem Gefüge der politischen Planungen in Moskau und in Delhi herausgerissen werden könnte. Besonders nach dem blutigen Verlauf des Putsches und angesichts der Schwäche der erfolgreichen Putschisten. Im faulen Gewebe dieses Staates heilen keine Wunden. Zu den alten Wunden aus der“ pakistanischen Zeit und aus dem Krieg sind nun die neuen Wunden des Massenmordes am Präsidenten und an seiner Familie gekommen. Die Masse ist vollständig ermattet, still, ausgeblutet. Die aber von der Politik und vom Terror so gut leben, daß sie einen Überschuß an Energien haben, tragen jetzt die Vendetta von drei Umstürzen aus.

Zwei Terrororganisationen waren in der Zeit des Verfalls und der Gewaltherrschaft des Präsidenten Mujibur Werkzeuge des „Vaters des Vaterlandes“: Mujib Bahini und Rakhi Bahini. Die Terrororganisationen sind nach dem Putsch gegen den Muhib zu Untergrundarmeen gegen das neue Regime geworden. Muhib Bahini war dem Präsidenten verschwören und ging sofort daran, seinen Tod zu rächen. Rakhi Bahini ist einfach dem Raub und der Vergewaltigung verschworen. Beide gingen sie sofort daran, die alte Tätigkeit unter dem Vorwand eines „Zweiten Befreiungskrieges“ mit dem Buschkrieg zu verweben.

Scheik Moni, Neffe des Präsidenten, war der Kommandant der einen Terrororganisation und beherrschte durch Untergrundverbindungen auch die andere. • Nachdem Mujibur zu Beginn dieses

Jahrefe die Präsidentschaftsdiktatur proklamiert hatte, verdrängten die beiden Organisationen Polizei und Militär und breiteten sich über das ganze Land aus. „Wo es Hunger gibt, gibt es die Terroristen. Und in Bangladesh gibt es überall Hunger“, hieß es in Dakka während der letzten, ärgsten Monate des Verfalls des Mujibur Rahman.

Die beiden Organisationen haben sich in der neuen Untergrundarmee vereint. Sie proklamieren als ihr Planziel, das noch vor dem Umschwung erreicht werden soll, die Liquidierung der unmittelbar am Massaker der Familie Muhibur Rahman Schuldigen und des mittelbar Verantwortlichen, des Chefs des Stabes, Brigadegeneral Khälid Oshara.

In Chittagong und unter den Karin-Stämmen, wo die Sympathien für die Chinesen dominiert, wird aber eine Abwehrörganisation gegründet und bewaffnet. So müssen bald die Terrorgruppen, die für die Wiedererrichtung, des alten Sowjet- und indienfreundlichen Regimes kämpfen, mit den neuen Kampforganisationen, die voll Ungeduld die chinafreundliche Politik weitertreiben wollen, zusammenstoßen.

In Chittagong und unter den Karin-Stämmen an der Grenze zu Burma ist man aber glücklich, daß die chinafreundliche Politik mit dem Tod des Muhibur beendet ist. Indien ist weit, Moskau ist weit, China liegt näher — ethnisch, politisch, wirtschaftlich. Dort ist man entschlossen, die Terroristen eher zu töten, als sie in die Ortsgebiete eindringen zu lassen.'

Langsam infiltriert aber ein Teil der Muhib-Rakhti-Bahini diese Gebiete. Immer weiter im Osten melden sie sich nachts in Dörfern und in kleinen Städten. Wie zur Zeit des Muhib gibt es weder Militär noch Polizei. Ohne Verteidigung sind die Dörfer der Unterernährten, der Kranken, den Bahini-„Armeen“ ausgeliefert. Die Kraft reicht nur mehr zur Fortpflanzung mit der Rate von drei von Hundert im Jahr. „Damit“, auch das hörte ich in Dakka, „das Elend nicht zu Ende geht und die Konserven der Not nicht verrinnen.“

Ein Monat nach dem blutigen Beginn des neuen Regimes kriechen die Bahini-Terrororganisationen aus Dakka und die pro-chinesischen Selbstschutzorganisationen aus dem Osten aufeinander zu; die einen werden wahrscheinlich von den Sowjets und den Indern unterstützt, die anderen wahrscheinlich von den Chinesen, vielleicht auch von den USA. Sie haben miteinander noch nicht Kontakte aufgenommen — so heißt es wenigstens. Es lägen noch zumindest fünfhundert Kilometer Niemandsland zwischen ihnen; Niemandsland, in dem sie sich ungestört und unbekümmert ihre Beute aus den Dörfern holen können.

Tschu En-lai hat 1971, bei Ausbruch des pakistanisch-indischen Krieges, vorausgesagt, daß die Befreiung von Bangladesh, die Dreiteilung des Subkontinents, nicht das Ende, sondern der Beginn der großen Unruhen sein werde. Daß sich seine Pröphezeihung bestätigt —in allen Staaten des Subkontinentes, in Bangladesh, Indien, nicht anders als auf Zypern — dafür sorgen die neuen herrschenden Eliten in Verbindung mit den Großmächten, mit China, der Sowjetunion, den USA. In Bangladesh lernt man die Lektion am besten, daß in dieser Region der Dritten Welt, die Politik und die Wirtschaft jedes Landes ausschließlich die Politik und die Wirtschaft seiner neuen Elite ist, der Politiker, Bürokraten, Offiziere. Nur die Not, die Zerstörung und auch die Vermehrung ist den Massen überlassen.

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