Dort, wo kein König hilft

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Nepals König hat gegen die Regierung geputscht, die Macht im Land hat er damit noch lange nicht.

Königlicher Putsch in Kathmandu: Der nepalesische König Gyanendra hat mit einer beispiellosen Machtdemonstration der Monarchie den Himalajastaat ins Licht der internationalen Öffentlichkeit gerückt. Er setzte den von ihm unlängst ernannten Premierminister Deuba samt dessen Regierungsmannschaft ab, die führenden Parteipolitiker unter Hausarrest, fundamentale Menschenrechte außer Kraft und die Medien unter Zensur. Dann ernannte er eine neue Führungsriege, setzte sich selbst an deren Spitze und rief den Ausnahmezustand aus. Alle Kontakte zur Außenwelt wurden unterbunden, der Flughafen geschlossen. Innerhalb der nächsten drei Jahre will er das Land zur Mehrparteiendemokratie zurückführen und die Rebellion der maoistischen Guerilla niederschlagen.

Erst 1991, nach einer weitgehend unblutigen Revolution, hatte die Demokratiebewegung der Monarchie ein parlamentarisches System abgetrotzt. uno-Generalsekretär Kofi Annan, die eu, die Regierungen der usa, Großbritanniens und des Nachbarn Indien forderten Gyanendra nun öffentlich auf, die demokratische Struktur ehest möglich wieder herzustellen. Auch der Vorsitzende der maoistischen Rebellen, Genosse Prachandra, verurteilte den "royal coup", aber gerade der immer brutaler geführte Krieg der Maoisten gegen den König und die staatlichen Strukturen hatte diesen zu dem drastischen Schritt bewogen.

Tausende Kinder entführt

Als kürzlich eine Gruppe von maoistischen Rebellen das kleine Bauerndorf im Norden Nepals durchstöberte und 116 junge Mädchen und Burschen in ihr Camp entführte, reagierten die Eltern mit einem stummen, symbolischen Begräbnis. Sima Lama, die ihre drei Kinder mit ohnmächtiger Wut und sprachlos vor Angst aus dem Ort ziehen lassen musste, weinte sich die Augen aus dem Kopf. "Wir werden sie nie mehr sehen. Nur die Götter können unsere Kinder noch retten." Das war kein Einzelfall. In vielen Dörfern des Himalajastaates hing in den letzten Monaten ein Zettel an einem Haus, auf dem die Namen von 100 Schülern standen und das Datum, an dem die Revolutionäre die Kinder abzuholen gedachten. Fast immer kamen sie und Tausende junge Leute wurden entführt. Viele wurden zwangsweise rekrutiert, kehrten zurück, wurden Kindersoldaten. In Simikot, an der tibetischen Grenze, wurde eine Mutter erschossen, weil ihre Tochter vorher geflüchtet war. Die Menschen leben in hilfloser Angst, denn die Armee bzw. der nepalesische Staat, ist nur noch in wenigen Distrikten des Landes präsent, die Menschen zu schützen vermochte er ohnedies nie.

Nordkorea als Modell

Der seit etwa zehn Jahren existierende Konflikt hat sich in den letzten zwei Jahren massiv verschärft und fast 15.000 Tote, viele davon Zivilisten, gefordert. Die Roten wollen eine demokratische Republik, aber niemand traut ihren Worten. Sie wollen den König loswerden und eine neue Konstitution ausarbeiten. Man fürchtet aber, Genosse Prachandra hat ein Nordkorea - nur ohne Atomwaffen - als Modell vor Augen. Im Schatten der Achttausender herrscht Krieg, den keine Seite gewinnen kann. Die Roten nicht und auch nicht die nepalesische Armee. Dafür stehen die Verlierer schon fest: Es sind die einfachen Leute dieses Landes, zu 80 Prozent Bauern, die von ihren Felderträgen leben. Aufgrund der Kämpfe können sie aber kaum noch Handel treiben. Viele haben ihre Felder aufgegeben und sind in die Städte geflüchtet. 40 Prozent der Bevölkerung Nepals ist unter 17 Jahre alt, aber man sieht in den Dörfern keine Jugendlichen mehr, keinen Bräutigam, keine Braut. Schulen sind monatelang geschlossen, die Lehrer verschwunden, etliche von ihnen wurden - als "Agenten" des korrupten Systems denunziert - vor den Augen der Kinder ermordet.

Durch derartige Brutalitäten haben die kommunistischen Rebellen viel von der Sympathie verloren, die ihnen anfänglich zuflog. Die Ziele der Widerstandsbewegung waren überzeugend: Abschaffung der Hindu-Monarchie, Ausarbeitung einer neuen republikanischen Verfassung, die Eliminierung der Armut wie der Korruption. Heute geht es den meisten Nepali schlechter und die Maoisten haben ihren Ruf ebenso verspielt wie die politischen Parteien, die zutiefst zerstritten sind und sich als unfähig erwiesen, eine stabile Regierung zu bilden und die Entwicklung des Landes positiv zu gestalten.

Im Schatten der 8000er

Tec Bahadur Rai ist einer der wenigen jungen Burschen, die in ihren Dörfern geblieben sind. Er leitet den Laden einer Kooperative, um Grundnahrungsmittel wie Reis, Linsen, Mehl sowie Kleidung an die Bauern und Bäuerinnen von Sikidim zu verkaufen. Seit 1998 existiert diese Kooperative, früher musste man für einen Sack Reis einen Tag marschieren. Der kleine Ort mit 52 Haushalten und 320 Einwohnern liegt im Makalu-Barun Nationalpark, südlich des fünfthöchsten Achttausenders, im Osten Nepals. Die Häuser des Ortes sind über einen steilen Hang zwischen 1500 und 2000 Meter Seehöhe verteilt, wo auf Terrassen vorwiegend Hirse und Mais angebaut werden. Auch diesen Distrikt beherrschen die Maoisten, aber der Kommandierende der Region hält die Kooperative für wichtig.

Neue Wege, neue Brücken

Vor etlichen Jahren schwemmte ein Monsunregen Brücken und Wege im Tal weg. Daraufhin wollten viele wegziehen. Damals startete ein Entwicklungsprojekt von Öko Himal in dieser Region, welches das Gesicht der Region verändert hat. Die Wege sind zwar immer noch steil und ausgesetzt, aber die kilometerlangen Treppen aus Steinplatten widerstehen dem stärksten Monsun und moderne Stahlhängebrücken ermöglichen einen sicheren Weg über die reißenden Flüsse zum Markt, in die Schule oder ins Spital. Ein Trinkwassersystem versorgt jeden Haushalt, einfache Toiletten gibt es, die Schule ist in einem ordentlichen Zustand. Die Kooperative ist zu einem Dorfzentrum geworden, und das in einer Gegend, die noch nie Unterstützung von Kathmandu gesehen hat, weil die Entwicklungshilfemittel zu oft im Filz der korrupten Bürokratie der Hauptstadt verschwinden.

Tili Kumari wurde eben 21 Jahre alt und hat eine kleine Tochter. Ihr Mann arbeitet in einer 300 Kilometer entfernten Kleinstadt und kommt nur einmal im Jahr nach Hause. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Felder, und wenn sie Zeit hat, sitzt sie an einem der Webstühle der Kooperative und webt Stoffe aus Allo, einer Faser, die aus einer Brennnesselstaude gewonnen wird. Wie die meisten Frauen von Sikidim webt Tili Kumari die Stoffe nur nach Aufträgen des Allo-Klubs, einer kleinen Organisation, die sich um das Marketing der Produkte kümmert. Für einen Laufmeter Stoff arbeitet sie einen ganzen Tag und bekommt dafür 230 Rupien, etwa 2 Euro 50 Cents. Davon kann sie mit ihrer kleinen Tochter, die einmal in die Schule gehen soll, durchaus leben. Ihr selbst gab man nie eine Chance auf Bildung. Sie war noch sehr jung, als sie dem Mann, der in ihrem Leben schon lange keine Rolle mehr spielt, von ihren Eltern versprochen wurde.

Maoisten & Österreicher

Die Kooperative verwaltet die Ersparnisse der Bewohner wie eine Dorfbank und vergibt Kleinkredite. Meist wird das Geld für die Ausbildung der Kinder, Landkauf für Kardamom-Anbau, Allo-Weberei oder Viehzucht verwendet. Die Kooperative handelt mit Allo-Produkten, Handwerkserzeugnissen aus Bambus und mit Chiraito, einer Medizinalpflanze.

Sikidim ist einer von 15 Orten, in denen Öko Himal in einem Projekt der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit zwischen 1994 und 2002 arbeitete. Die neue Projektregion liegt auf der anderen Seite des Arun Flusses. Primär geht es um die Verbesserung der landwirtschaftlichen Erträge, aber auch um den Schutz der Biodiversität. Die Mitarbeiter des Projekts führen eine Arbeit durch, zu der eigentlich die Mitarbeiter des Nationalparks verpflichtet wären. Aber die Maoisten haben ihnen verboten, den zentralen Ort des Distrikts zu verlassen. So sitzen sie jetzt dort, spielen Karten und zittern, denn ihre früheren Büros in den Dörfern des Parks wurden mit Schnaps übergossen und abgefackelt. Weil die lokalen Kommandeure der Maoisten die Arbeit der Österreicher schätzen, können sie ihr Projekt fortsetzen. Aber es wird immer schwieriger, die Einheimischen zu überreden, eine Führungsrolle in den Dorfgemeinschaften zu übernehmen. Man befürchtet, die Maoisten auf sich aufmerksam zu machen, und misstraut selbst dem Nachbarn. Die Dörfer sind durchsetzt mit versteckten und offen agierenden Maoisten, die an ihre Kommandanten - wie die Blockwarte in der Nazizeit - Informationen weiterleiten, welche dann als Grundlage für die maoistischen Standgerichte dienen. Oft gibt es nicht einmal diese. Ein Journalist, der Spionage für die Armee verdächtigt, wurde auf dem Sportplatz seines Dorfes an einen Pfahl gebunden, und man durchschnitt ihm die Kehle. Trotz vieler Beteuerungen respektieren die Aufständischen die Pressefreiheit nicht. Wer sich nicht offen für die Maoisten entscheidet, gilt als deren Feind. Nur die Touristen lassen sie in Ruhe, sofern diese ihren finanziellen Beitrag zur Revolution leisten. Dafür gibt es sogar eine Quittung mit Briefkopf - vom United Revolutionary People's Council of Nepal.

Hier hilft kein Premier

Während die Zahl der Touristen im gesamten Land ebenso abnimmt wie das Engagement ausländischer Firmen, steigt die Zahl der getöteten oder geflohenen Zivilisten drastisch. Save the Children hat in einer Studie erhoben, dass während der letzten drei Monate rund 17.000 Kinder aus ihren Dörfern geflüchtet sind, die meisten davon über die grüne Grenze nach Indien, wo sie auf Plantagen oder in Fabriken als Billigarbeitskräfte arbeiten. In einer westlichen Provinzstadt erhoben sich vor einigen Wochen die Frauen der Region, riefen "Nieder mit den Maoisten". Der Aufstand der Mütter und Töchter gegen die Rebellen beeindruckte sogar Premierminister Deuba. Nun fürchten sich die Frauen vor der Rache der Maoisten. Diese werden wieder Kinder holen, und den Frauen werden keine Armee und kein Premierminister aus dem fernen Kathmandu zu Hilfe kommen.

Selbst der König bietet keinen Schutz, denn in den Vororten der Hauptstadt endet die königliche Macht, funktionieren die Organe des Staates kaum noch. Die Armee schützt immerhin die wichtigen Straßenverbindungen und die Bezirkshauptstädte. Ausländische Finanzhilfen gehen zusehends in die Aufrüstung der Armee, aber viele Projekte der Entwicklungszusammenarbeit wie Kraftwerksbauten oder Gesundheitsprogramme sind unterbrochen. Das Land benötigt dringend Unterstützung von außen - aber vor allem eine Friedensinitiative, um zu verhindern, dass die Spirale der Gewalt das Trekkingparadies im Schatten der Achttausender völlig in den Abgrund treibt.

Kurt Luger ist Professor für Transkulturelle Kommunikation an der Universität Salzburg, Dieter Rachbauer ist Projektleiter von Öko Himal - Gesellschaft für ökologische Zusammenarbeit Alpen-Himalaja,

www.ecohimal.org

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