6792400-1970_45_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Zange um Nepal

19451960198020002020

Ungläubig bis widerwillig glotzten die Kühe auf den Hauptstraßen Kathmandus; gewohnt, daß auch Autokolonnen ihr träges Dasein als „Dauerparker“ respektieren und, ohne zu hupen, einen gehörigen Bogen um sie machen, wurden die heiligen Tiere der Hindus mehrmals in diesem Jahr von Scharen transparenteschwingender Demonstranten und' von weithin schallenden Sprechchören aufgeschreckt. Auch Nepals Studenten üben sich in Protesten, meist zu Gunsten des großen Mao in Peking, dessen tonnenweise in Kathmandu angehäuftem Propagandamaterial es gelungen ist, den Schock des plötzlichen Uberfalles auf Indien im Jahre 1962 weitgehend aus dem Bewußtsein der Nepali schwinden zu machen.

19451960198020002020

Ungläubig bis widerwillig glotzten die Kühe auf den Hauptstraßen Kathmandus; gewohnt, daß auch Autokolonnen ihr träges Dasein als „Dauerparker“ respektieren und, ohne zu hupen, einen gehörigen Bogen um sie machen, wurden die heiligen Tiere der Hindus mehrmals in diesem Jahr von Scharen transparenteschwingender Demonstranten und' von weithin schallenden Sprechchören aufgeschreckt. Auch Nepals Studenten üben sich in Protesten, meist zu Gunsten des großen Mao in Peking, dessen tonnenweise in Kathmandu angehäuftem Propagandamaterial es gelungen ist, den Schock des plötzlichen Uberfalles auf Indien im Jahre 1962 weitgehend aus dem Bewußtsein der Nepali schwinden zu machen.

Werbung
Werbung
Werbung

In der Links-Ideologie der studierenden Jugend aller Länder ist der Entwicklungsstand beachtlich, und den chinesischen Kulturzentren in der Hauptstadt des südlichen Zwergnachbarn kann man ausgezeichnete „Aufklärungsarbeit“ bescheinigen. Das kleine Königreich, nach der 1959 vollzogenen Anhexion Tibets letzter Pufferstaat zwischen 720 Millionen Chinesen und 550 Millionen Indern, möchte offenbar nicht mehr an die Worte des Pekinger Volkstribunen erinnert werden: „Nach dem Sieg über China haben die Imperialisten viele von China abhängige Staaten und Teile seines Territoriums geraubt... England bemächtigte sich Nepals, Bhutans und Burmas.“ Damit steckte Mao die Fronten ab. Bis dato begnügt er sich allerdings damit, in der Entwicklungshilfe für Nepal die Vereinigten Staaten vom zweiten Platz zu verdrängen, was ihm nächstes Jahr sicher gelingen wird. An der Spitze der Geberländer figuriert nach wie vor die Indische Union, welche 1968/69 mit über 300 Millionen Schilling fast dreimal soviel aufbrachte wie ihr Konkurrent Obwohl selbst bei der Weltbank, seit deren Existenz, stark in der Kreide, bemühte man sich in New Delhi krampfhaft und aus naheliegenden außenpolitischen Gründen um die Gunst des Königshofes zu Kathmandu. Wie ein Akt ausgleichender Gerechtigkeit erscheint die Tatsache, daß die größte Menge klingender Münze noch lange nicht die besten Beziehungen schafft. Das mag ein schwacher Trost für Washington sein, wo man die Erfahrung, daß die fütternde Hand oft gebissen wird, wesentlich früher als in New Delhi machen konnte. Der auf Grund eines 1950 abgeschlossenen Friedens- und Freundschaftsvertrages erfolgte Aufbau der nepalesischen Armee durch indische Berater schien 1965 durch ein Geheimabkommen, das eine weitgehende Gleichschaltung der Streitkräfte beider Staaten bezüglich Ausrüstung und Training zum Inhalt hatte, zielführend untermauert zu sein. Doch kaum waren die 30.000 Gurkhakrieger halbwegs modernisiert, forderte Premierminister Bista — offizielles Sprachrohr des an einem Herzleiden erkrankten Königs Mahendra — den Rückzug der Instruktoren.

Kurz zuvor war allerdings den Chinesen ein interessanter Zehnjahresvertrag zugesichert worden: während dieses Zeitraumes obliegt den oratgelben Nachbarn die Instandhaltung der von ihnen unlängst fertiggestellten asphaltierten Durchzugsstraße Lhasa—Kodari—Kathimandu. Dies bedeutet in der Praxis eine Reihe von Arbeitslagern entlang der 115 Kilometer von der winzigen, 2000 Meter hoch gelegenen Grenzsiedlung Kodari bis in die Kapitale, wo nun ständig chinesische „Facharbeiter“ stationiert sind. Daß es sich hiebei um Meister ihres Faches handelte, mußte Frank Moraes, Chefredakteur des subkontinenitalen Auflagengiganten „Indian Express“, am eigenen Leib erfahren, als er samt seiner amerikanischen Begleiterin in der Nähe eines solchen Lagers von chinesischen Straßenschüjt-zern „verhaftet“ wurde. Bislang ist allerdings noch keine Wiederholung ähnlicher Hoheitsakte der „Facharbeiter“ bekannt geworden. Dennoch beobachtet man in Indien bekümmert den wachsenden Einfluß Chinas in Nepal; das vor Jahren nach dem königlichen Staatsstreich dekretierte generelle Parteienverbot konnte zweifellos vom kommunistischen Untergrund besser genutzt werden als von dem durch Einkerkerungen und Ausweisungen seiner Führung fast vollständig beraubten iindophilen Nepali Kongreß. Während dem Konig Mahendra Bir Birkram ein Jahr darauf in Peking ein überaus herzlicher Empfang bereitet wurde, schätzten 'die Korrespondenten des Londoner „Economist“ und der „New York Times“ die Zahl der nepalesischen Kommunisten bereits auf zehntausend; heute wird von Experten die dreifache Menge angenommen, was in Anbetracht der sowohl mentalitätsbedingten wie auch infolge der äußerst dürftigen Kommunikationsmöglichkeiten auch konstant lethargischen politischen Abstinenz eines Großteils der zehn Millionen Nepalesen eine recht beachtenswerte Zahl darstellt. Der König selbst scheint sich in Anbetracht des linken Zuwachsraten nicht mehr recht wohl zu fühlen. Wie einst Staatschef Prinz Sihanouk von Kambodscha stets dementiert hat, daß sein Land je unter kommunistischen Einfluß geraten könne, sind auch von König Mahendra ähnliche Äußerungen bekannt. Bekannt ist aber auch die Tatsache, daß es für Maos Agitatoren umso leichter wird, je weniger ein Regime im Volke verankert ist. Und da die „Nepali-Kongreß-Partei“ — bei den letzten Wahlen 1959 noch stolzer Gewinner von 74 der insgesamt 109 Parlamentssitze — zu einer

Tätigkeit im Untergrund verurteilt ist, nimmt es kaum Wunder, daß seit zwei Jahren eine militante Jugendorganisation im Wachsen begriffen ist, deren antikommunistische Einstellung dem Demonstrationsmonopol der anderen Seite ein Ende bereitet hat. Jedenfalls mehren sich auch in Kathmandu die Anzeichen, daß das letzte stille Jahrzehnt in der Innenpolitik der Vergangenheit angehört und es zu einer lebhafteren Auseinandersetzung zwischen proindischen und prochinesischen Kräften kommen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung