Lokalaugenschein in einem vor zwei Jahren vom Hochwasser heimgesuchten Land im Süden Afrikas, das sehr unter der Aids-Epidemie leidet, aber die Hoffnung nicht verliert.
Nach 20-stündiger Anreise Ankunft am 17. Juli in Mosambiks Hauptstadt Maputo. Wie viele Hauptstädte in Ländern des Südens ist Maputo ein Umspannwerk: vom westlichem Lebensstil mit Internetcafe, Mercedes, Einkaufszentren, Ampeln, Asphaltstraßen... auf afrikanische Nöte mit zerlumpten, oft (kriegs-)behinderten Jugendlichen, Frauen mit Kindern, Straßenhändlern, die ambulante Supermärkte sind. Ein eigenartiges Gemisch aus Lärm, Benzindampf, Hoffen auf ein kleines Glück, Enttäuschung, dass es wieder nicht klappt, in einem Land, das 30 Jahre Bürgerkrieg hatte und vor zwei Jahren sintflutartiges Hochwasser.
18. Juli: Fahrt zu zwei Dorfentwicklungsprojekten in der Umgebung von Maputo. Das Dorf Massaca II ist eine Neugründung, Eduardo Mondlane wurde durch die Flüchtlinge - viele Menschen mussten ja während des Bürgerkrieges flüchten - bedeutend größer. Häuser und Schulen wurden gebaut, Latrinen errichtet und eine Tischlerei, kleine Baumschulen, Hausgärten angelegt. Ein sehr bescheidenes Altenheim gibt es ebenso wie eine mit Vorarlberger Dressen - die Caritas Vorarlberg hat die Dorfentwicklung unterstützt und finanziert - ausgestattete Fußballmannschaft: der gelungene Versuch, nachhaltige Entwicklung einzuleiten.
In beiden Dörfern gibt es Empfangszeremonien mit Tänzen, Gesängen, Reden - die Lebensfreude, Dankbarkeit und Unbekümmertheit durchschimmern lassen. Gemeinsam mit der Administratorin überreiche ich Besitzurkunden. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Behörden war es gelungen, den dort Wohnenden einen kleinen Besitz von 30 mal 40 Metern schriftlich zuzusichern.
19. Juli: Besuch im Barrio Polana Caniso, einem der großen Slums, die Maputo umgeben. Tausende Menschen leben dort, niemand weiß, wie viele. Es ist kalt, es regnet stark. Wir besuchen eine Schule: zwei kleine Hütten ohne Dach - der Lehrer hat sie selbst errichtet -, vielleicht 50 Kinder. Viele zittern am ganzen Körper vor Kälte. Es ist ja Winter, aber die Kinder haben nur eine Ganzjahreskleidung. Dann Besuch in zwei Waisenhäusern, von Schwestern geführt: Meist Kinder, deren Eltern an Aids verstarben. Oft nehmen Verwandte sie auf. Wenn dies nicht funktioniert, bleiben sie sich selbst überlassen.
Am Nachmittag fahren wir nach Xai-Xai, eine Stadt gleich über dem Tal des Flusses Limpopo, eines der großen Überschwemmungsgebiete des Jahres 2000. Der Bischof von Xai-Xai, Dom Julio Langa, erzählt uns seine Sorgen: Es gäbe keinen Schutz vor Hochwasser, keine Dämme, keine Hubschrauber, keine Boote. Er erzählt vom Hunger in der Gegend, von der Notwendigkeit, Waisenhäuser zu errichten. 50 Nonnen gibt es, 25 Priester für 400 Gemeinden in einer Diözese mit 130.000 Katholiken auf einer Fläche von gut 60.000 km2. Die allermeisten jungen Leute könnten nicht mehr heiraten, weil sich die jungen Männer das nicht leisten können, den Brautpreis, der vor der Eheschließung fällig ist.
20. Juli: Besuch in Koka Missawa. Hoch über dem Tal des Limpopo Zuflucht von Menschen, um vor dem Wasser sicher zu sein. Im Tal selbst bewirtschaften sie ihre Felder. Zwei Jahre leben sie schon in Provisorien. Seit einiger Zeit greift die Wiederaufbauhilfe: 200 Häuser werden errichtet, 200 Latrinen gebaut (die beste Form Cholera einzudämmen). Wieder das Prinzip Nachhaltigkeit: Die Häuser sind besser gebaut, die Begünstigten arbeiten selbst mit. Gleichzeitig werden Maurer ausgebildet, die dafür bei anderen mitbauen. Ebenso Ziegelhersteller und Tischler. Geklärt ist auch, dass der Staat das Eigentum der Einzelnen garantiert (wiederum 30 mal 40m - scheint ein mosambikanisches Grundmaß zu sein ...), Bäume werden gepflanzt.
Es gibt eine Dorfversammlung, der Dorfälteste und der Sekretär des Dorfes bedanken sich, mit Worten und mit einem Tanz, dessen Dynamik mich fasziniert. Es ist ein Ort, an dem man gerne bleiben würde.
23. Juli: Am frühen Vormittag sind wir in Mwanga. Dort wird für 176 Familien (etwa 1.200 Menschen) Mais verteilt. Die Caritas-Mitarbeiter erzählen mir, dass von 5.600 Haushalten dieser Region bereits die Hälfte mit Lebensmitteln versorgt werden muss. Tendenz steigend. An der Verteilung von Lebensmitteln nehme ich nur ungern teil, habe immer das Empfinden, dass es irgendwie die Intimsphäre verletzt. Ist es ja für niemanden angenehm, dort anzustehen. Es gibt aber einen Ritus der der Verteilung vorangeht: Es wird gesungen, gebetet, es gibt Bildungshinweise und Belehrungen. Es gibt Ansprachen.
Auch ich werde gebeten, eine Ansprache zu halten. Mir sind Reden schon leichter gefallen. Denn ich sehe, wie die Sorgen in die Gesichter der Menschen eingeschrieben sind. Vor Menschen mit leeren Mägen von der Zukunft zu reden, davon dass wir uns bemühen, dass sie auch in Österreich nicht vergessen werden und wir uns bemühen ihnen beizustehen ist eine glaubensbemühte Gratwanderung.
Beim nächsten Projekt in Mwambeni stoßen wir auf bewässerte Felder. Es gibt bei guter Bewirtschaftung gar nicht so wenig Wasser, man muss sich nur eine Pumpe leisten können. Der Prototyp der hier verwendeten Pumpe stammt aus Indien (ursprünglich um 30 Euro erhältlich, jetzt, weil's Bedarf gibt, um 110). Fünf bis sechs Familien bewirtschaften eine Fläche von gut einem Hektar. Sie können dreimal im Jahr ernten, auch etwas davon verkaufen - und damit der Caritas mit der Zeit die Kosten für Pumpe und Saatgut zurückzahlen. 20 solcher Referenzprojekte hat die Caritas in der Gegend. Mit unserer Hilfe, so sage ich, sollen es noch weit mehr werden.
24. Juli: Es geht schon früh nach Pirmiti, ein Spital, das von den diözesanen Schwestern "servants of blessed virgin Mary" im Auftrag der Diözese geführt wird. Ein Teil der ersten Unterstützung der Caritas Österreich hat den Weg hierher gefunden. Es gibt eine große Mütterberatungsstelle. Sicher an die 100 Frauen stellen sich mit ihren Kindern geduldig an. Unterernährung der Kinder ist sehr häufig. Daher haben die Schwestern ein Spezialprojekt entwickelt. Jeweils 30 Frauen können vier bis fünf Wochen mit ihrem unterernährten Kind im Spital bleiben, damit dieses aufgepäppelt wird. Sie erhalten vielfältigere Nahrung als zu Hause, die Frauen kochen gemeinsam. So lernen sie dazu.
25. Juli: Nach Fahrt auf der M1, die in der Fahrbahnmitte für längere Zeit die malawisch-mosambikanischen Grenze darstellt Besuch in Kanyama, Diözese Dedza. Für die vielen Aids-Waisen in dieser Region gibt es einige Arbeitstrainingsprojekte: Sechs Monate lang können 35 Jugendliche entweder Schneiderei, Tischlerei oder Topfspenglerei lernen.
Ein großes Problem gibt es: Die meisten Jugendlichen sind nicht in der Lage, die Felder zu bestellen, weil sie es nie oder nur ungenügend gelernt haben, aber auch weil viele von ihnen wegen des Hungers keine Kraft mehr haben, auf den Feldern zu arbeiten. Dazu kommt: Schätzungen der Gesundheitsbehörden zufolge verliert Malawi in den nächsten drei Jahren bis zu 40 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung, weil die Zahl der Waisen enorm ansteigt. Dazu kommt, dass im Vorjahr rund 6.500 Lehrer an Aids verstorben sind (zehn Prozent der Lehrerschaft Malawis). Die Zeitbombe Aids tickt nicht mehr, sie ist bereits explodiert.
26. Juli: Gespräch mit dem "Food Security Officer" der EU, die in beachtlichem Ausmaß und mit vernünftiger Einkaufspolitik mithilft, das Desaster in Malawi zu lindern. Es gehört zu den Irrwitzigkeiten des ganzen südlichen Afrikas, dass es - wenn man genügend Geld hat - natürlich auch Mais zu kaufen gibt, nicht in genügend großen Mengen, aber doch. Wir sprechen über die Auswirkungen, die Ankäufe für Hilfslieferungen auf den Maismarkt haben, über das Problem, dass Menschen ja nicht nur Mais essen können, sondern auch Öl, Gemüse und anderes brauchen, um halbwegs überleben zu können.
Natürlich wird auch in diesem Gespräch klar, dass Hunger kein Strafgericht Gottes ist, sondern aus einer Kombination von mehreren Problemen entsteht: Trockenheit, Armut, Strukturmängeln, die aus staatlichem Nichthandeln oder falschen Maßnahmen (Malawis Regierung gab jahrelang kostenlos Kunstdünger ab) genährt sind.
Und dabei: Der Hunger in Malawi und seinen Nachbarn im südlichen Afrika könnte bei gemeinsamem Wollen aller lokalen und internationalen Beteiligten durchaus nachhaltig bekämpft werden. Aber gleichzeitig müssten Aids und die Armut (die mehr in Beziehung miteinander stehen, als man zunächst vielleicht meint) so gut es geht ausgerottet werden.
Auf dem Heimflug denke ich nochmals an die vielen Menschen, die ich in intensiven zehn Tagen kennengelernt und mit ins Herz geschlossen habe - und grüble darüber nach, wie ich zumindest millimeterweise ihrer Sehnsucht nach Leben, nach Zukunft, nach Sattwerden gerecht werden könnte - und wie ich möglichst viele meiner Landsleute dazu bringe, dass sie dabei mithelfen ...
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PSK 7.700.004 (BLZ 60.000) Kennwort "Augustsammlung"
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