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Sozialarbeit aus Gewissensgründen

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Das Jahr 1975 ist das Jahr der Frau. Es ist gleichzeitig das Heilige Jahr der Kirche. In diesem Jahr nun feiert die KATASTROPHENHILFE ÖSTERREICHISCHER FRAUEN ihren zehnjährigen Bestand. Obwohl noch relativ jung, hat sich die KÖF in diesem Zeitabschnitt schon als eine der bedeutendsten Schöpfungen christlicher Sozialarbeit erwiesen. Wir bringen im folgenden einen Ausschnitt aus der Festrede der Gründerin und Bundesvorsitzenden der KÖF, die in Würdigung der von der KÖF geleisteten Sozialarbeit von der Republik Argentinien zum I. lateinamerikanischen Kongreß für Sozialarbeit vom 7. bis 13. Dezember in Buenos Aires eingeladen wurde.

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Das Jahr 1975 ist das Jahr der Frau. Es ist gleichzeitig das Heilige Jahr der Kirche. In diesem Jahr nun feiert die KATASTROPHENHILFE ÖSTERREICHISCHER FRAUEN ihren zehnjährigen Bestand. Obwohl noch relativ jung, hat sich die KÖF in diesem Zeitabschnitt schon als eine der bedeutendsten Schöpfungen christlicher Sozialarbeit erwiesen. Wir bringen im folgenden einen Ausschnitt aus der Festrede der Gründerin und Bundesvorsitzenden der KÖF, die in Würdigung der von der KÖF geleisteten Sozialarbeit von der Republik Argentinien zum I. lateinamerikanischen Kongreß für Sozialarbeit vom 7. bis 13. Dezember in Buenos Aires eingeladen wurde.

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Als 1965 — wie vor wenigen Wochen— weite Teile Österreichs von einer Hochwasserkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes heimgesucht wurden und sich die Politiker am grünen Tisch über keine Soforthilfe für die nach Tausenden zählenden obdachlosen Familien einigen konnten, beschloß ich, die KATASTROPHENHILFE ÖSTERREICHISCHER FRAUEN zu gründen, weil ich es in jenen Tagen des nationalen Notstands nicht verantworten konnte, im Prinz-Eugen-Palais in der Himmelpfortgasse „zu repräsentieren“, anstatt dort „präsent zu sein“, wo tausende verzweifelte, über Nacht um ihre Existenz gebrachte Familien auf Soforthilfe warteten.

Ich beschloß, allen Widerständen zum Trotz, das Evangelium vom barmherzigen Samariter, den Gegebenheiten des 20. Jahrhunderts entsprechend anzupassen, in die Tat umzusetzen und eine überparteiliche, überkonfessionelle Soforthi.feinsti-tution zu schaffen. Hatte ich doch selbst als Kind in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs erfahren, was erste Hilfe bedeutet, als damals unser Heim in Schutt und Trümmern lag und andere uns hilfreich zur Seite standen.

\ Die Österreichische Frauenbewegung unter Frau NR Lola Solar stellte sich mir spontan zur Seite, ebenso die freiheitlichen, die katholischen und die evangelischen Frauen, während es die Sozialistische Frauenbewegung ablehnte, mit mir zusammenzuarbeiten und sich dem allgemeinen Boykott der linken Reichshälfte anschloß.

Durch Aufrufe in Presse, Rundfunk und Fernsehen, durch eine Plakataktion, durch Straßen- und Geschäftssammlungen sowie durch drei Millionen Postwurfsendungen sammelten wir binnen sechs Wochen auf das von mir eröffnete Postsparkassenkonto 8000 KATASTROPHENHILFE ÖSTERREICHISCHER FRAUEN die ersten 10 Millionen Schilling Spenden, die ich auf strapazenreichen Fahrten von Dorf zu Dorf gemeinsam mit der KÖF-Lan-desleiterin des betreffenden Bundeslandes an die am schwersten betroffenen Familien, nach sozialer Dringlichkeit gestaffelt, auszahlte.

Erschüttert stand ich auf den ungeheuren Geröllkegeln der Muren von Kleindorf-Flattach in Kärnten, unter denen ganze Familien mit ihren Häusern begraben lagen, erschüttert durchquerte ich oft Jahr für Jahr die Katastrophengebiete der Steiermark und des Burgenlandes, wo Wasser und Schlamm vielfach fünf bis sechs Wochen in den Häusern und auf den Feldern standen, wo Fäulnis und Verwesung Heimstätten und Ernteertrag vernichteten.

Erschüttert stand ich an den Gräbern der in den Fluten umgekomme-nenen Feuerwehrmänner, die ihr Leben hingegeben hatten, um ihr Dorf — tausende Menschen — zu retten, während Frau und Kinder selbst hilflos und schutzlos zurückgeblieben waren.

Erschüttert stand ich auf Lawinenkegeln und auf den Brandruinen abgebrannter Bergbauernhöfe in Tirol, Vorarlberg, Oberösterreich und Niederösterreich, unter denen Eltern und Kinder, von der Lawine, vom Feuer im Schlaf überrascht, für immer begraben lagen.

Die Millionenspenden, die bereits in den ersten Wochen einliefen, bewiesen jedoch, daß — trotz aller Angriffe und Diffamierungen des politischen Gegners — das gesamte österreichische Volk die Idee der spontanen Nachbarschaftshilfe bejahte und für kleinkariertes politisches Denken in Stunden der Not nichts übrig hatte. So entstand aus improvisierten Anfängen innerhalb weniger Wochen und Monate eine moderne dynamische Sozialinstitution, die dort Leid und Verzweiflung überwinden half, wo gesetzlich vielfach keine Handhabe für eine Soforthilfe gegeben war.

Eine Sozialinstitution, keine bloße Hochwasserhilfeinstitution — hatte ich mich doch vom ersten Tag an entschlossen, den Begriff „Katastrophenhilfe“ möglichst weit zu interpretieren. Denn es wurden mir von Anfang an in nahezu allen hoch-wassergeschädigten Dörfern und Gemeinden auch besonders berücksich-tigenswerte soziale Härtefälle, Lebenskatastrophen, gemeldet, so daß ich von Anfang an verwaiste Familien, alleinstehende Mütter und hilflose,“ alte öder behinderte Menschen nach einem schweren Schicksalsschlag in unsere Hilfsaktionen einbezog.

Wie ungeheuer die Last war, die ich mit diesem Entschluß auf meine Schultern geladen hatte, wurde mir bald offenbar. Innerhalb weniger Tage wurde aus meiner Idee der Katastrophenhilfe eine gewaltige Arbeitslawine, die innerhalb der vergangenen zehn Jahre an Umfang eher zu- denn abgenommen hat. Bis zu tausend Bittbriefe liefen an manchen Tagen ein, dazu kam der Papierkrieg mit Ämtern und Behörden sowie die Betreuung der persönlich vorsprechenden Hilfesuchenden. Alle uns gemeldeten Katastrophenfälle bearbeite ich persönlich, einerseits, um jedem, der mir sein Leid anvertraut, helfend und tröstend zur Seite zu stehen, anderseits um allen Spendern die widmungsgemäße Auszahlung ihrer Spendengelder garantieren zu können. Die gesamte Gebarung und Administration der KÖF läuft durch meine Hand, und ich persönlich hafte allen Spendern für die korrekte Auszahlung der KÖF-Beihilfen, die nur bei erwiesener sozialer Dringlichkeit, nach Familienstand und Schadensausmaß zwischen 1000 und 10.000 Schilling gestaffelt, nach gesamtösterreichischen Richtlinien ausbezahlt werden.

Im Totalschadensfall, nach einem Brand, einer Lawinen- oder Hochwasserkatastrophe, nach einem tödlichen Arbeits- oder Verkehrsunfall eines kinderreichen Familienerhalters, einer kinderreichen Familienmutter, unter gravierenden Umständen auch bei Dauerinvalidität — multipler Sklerose, Querschnittlähmung usw. — gewähren wir den Höchstbetrag von 10.000 Schilling, der bei schwerster Existenznot und wenn von keiner anderen behördlichen oder sonstigen Seite eine Hilfe erfolgt, auch ein zweites oder drittes Mal innerhalb eines Arbeitsjahres gewährt werden kann.

Für Alleinstehende, etwa zur Beschaffung eines lebensnotwendigen Medikaments, eines Seh- oder Hörbehelfs, als Heiz- oder Lebensmittelbeihilfe, zur Kur oder Rehabilitation nach einer Operation liegen die KÖF-Beihilfen im allgemeinen zwischen 1000 und 1500 Schilling und gönnen ebenfalls in außerordentlichen Härtefällen ein zweites oder drittes Mal in einem Arbeits jähr gewährt werden. Nehmen doch Not, Hilflosigkeit und Isolation des alten, kranken und behinderten Menschen, in den Städten ebenso wie im ländlichen Raum, von Tag zu Tag zu.

Die Auszahlung der KÖF-Beihilfen erfolgt entweder durch mich persönlich oder durch die mich vertretende KÖF-Landesleiterin des betreffenden Bundeslandes stets gemeinsam nach außerordentlich schweren Unwetter-und Hochwasserkatastrophen — wie vor kurzem — und bei der KÖF-Weihnachts- und Mutter-in-Not-Aktion.

Bei der Auszahlung der KÖF-Beihilfen erwarten wir nicht, daß der von einer schweren Natur- oder Lebenskatastrophe betroffene Mensch zu uns nach Wien kommt. Er hätte nicht die Kraft und nicht das Geld dazu! Vielmehr kommen wir in rollenden, fliegenden Kommandos hinaus ins entlegendste Dorf, in die verfallendste Keusche, im Gebirge vielfach im Unimog oder einem sonstigen geländegängigen Fahrzeug, oft unter Lebensgefahr, bei Schneeglätte, Eisregen, Vermurungen und Hochwasser. In Stunden bitterster Existenznot, in Letztsituationen von Leid und Verzweiflung, soll nicht der Mensch zur Behörde kommen — die Behörde muß zum Menschen kommen, wenn Sozialarbeit wirksam sein soll!

Darüber hinaus versuchen wir, durch die persönliche Anteilnahme von Mensch zu Mensch, durch Aussprache, Rat und Trost in den ersten schweren Tagen nach einem Schicksalsschlag, zum Beispiel einer kinderreichen Mutter, einer hilflosen alten Frau nach dem Tod ihres Gatten, zu helfen, ihr Leid und die dunkle Zukunft zu bewältigen. KÖF-Arbeit ist Liebe schenken; und beschenkt und erschüttert von der Größe und Tapferkeit der von uns besuchten Frauen und Mütter, Behinderten und Verlassenen kehren wir stets, bestärkt in unserem Auftrag, nach Hause zurück.

Während der vergangenen zehn Jahre unterstützte die KÖF — vielfach in mehreren Etappen — rund

20.000 schwerbetroffene österreichische Familien und alte Menschen mit mehr als 50 Millionen Schilling. Allein während der vergangenen Wochen liefen mehr als 6,5 Millionen Schilling an Spenden ein, die wir bereits zum größten Teil an die hochwassergeschädigten Familien dieses Sommers auszahlen konnten. Diese Millionenbeträge setzen sich meist aus spontanen größeren und kleineren Spenden vielfach mit der Widmung für eine bestimmte geschädigte Familie oder Gemeinde zusammen. Wir sind für jede Spende dankbar! Jeder, auch der kleinste Betrag ist uns willkommen! Im Grunde ist die KÖF ein Hilfskonto der kleinen Börsen für kleine Börsen, denn die spontane Hilfsbereitschaft und das soziale Verantwortungsbewußtsein sind gerade bei bescheidenen Einkommen besonders groß!

Wodurch unterscheidet sich nun die KÖF konkret von der staatlichen Fürsorge? Es gibt doch auch eine staatliche Notstandsunterstützung? Die KÖF zahlt im allgemeinen einmalige Überbrückungshilfen, keine monatliche Notstandsunterstützung aus. Wir ergänzen den staatlichen Wohlfahrtsapparat dort, wo er eine seiner empfindlichsten Lücken hat, auf dem Gebiet der Soforthilfeauszahlung , -das unsere Sozialversiche-rüngsträger trotz riesiger Angestelltenheere und monumentaler Glas-Beton-Burgen leider noch nicht bewältigt haben. Der Mensch, nicht der Apparat, steht im Mittelpunkt unserer Sozialarbeit. Wir wollen keine Fürsorge-, sondern eine Nachbarschaftshilfeinstitution sein, durch die jeder jedem helfen, aber auch selbst Hilfe empfangen kann.

Nicht Paragraphen, sondern Leid und Not sind für uns maßgeblich. Wir leisten Soforthilfe dort, wo keine Behörde mehr „zuständig“ ist, wo der sozial Schwache von unserer hektischen Wohlstands- und Leistungsgesellschaft rücksichtslos überrollt wird, in den Slums und Elendsvierteln ebenso wie in den Behinderten- und Altenquartieren, nach Naturkatastrophen ebenso wie nach Lebenskatastrophen, überall dort, wo der Mensch mit seinem Leid, seiner Verlassenheit an der Herzenskälte und Gedankenlosigkeit unserer Zeit zerbricht. KONKRET:

• Die KÖF hilft bei Hochwasser-, Brand- und Lawinenkatastrophen;

• Die KÖF hilft bei Lebenskatastrophen, zum Beispiel nach dem tödlichen Arbeits- oder Verkehrsunfall eines kinderreichen Familienerhalters, einer kinderreichen Familienmutter;

• Die KÖF hilft bei Dauerinvalidität (zum Beispiel bei multipler Sklerose, Querschnittlähmung, Gehirntumor usw.);

• Die KÖF hilft verwitweten und verlassenen Müttern in Not;

• Die KÖF hilft ledigen Müttern in Not und schützt das ungeborene Leben;

• Die KÖF unterstützt Frauen, die dauerbehinderte Familienangehörige pflegen und daher auf Einkommen, Sozialversicherung und Pensionsanspruch verzichten müssen;

• Die KÖF unterstützt alleinstehende, alte und behinderte Menschen in katastrophaler Lage;

• Die KÖF unterstützt auf tragische Weise elternlos gewordene Kinder und Jugendliche;

• Die KÖF unterstützt seelisch und geistig Kranke in Notsituationen;

• Die KÖF unterstützt Familien von Menschen, die Selbstmord begangen haben, sowie Familien von Verbrechensopfern, Inhaftierten und Strafentlassenen in Existenznot.

Die KÖF ist stets in Kontakt mit der Bewährungshilfe und der Gefan-genenhausseelsorge, um nicht nur materiell, sondern auch durch die Vermittlung eines Quartiers oder Arbeitsplatzes zur Rehabilitation einmal Gestrauchelter, zur Hilfe für ihre Familie beizutragen. Das Christuswort: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, ist uns Auftrag und Verpflichtung.

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