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Moderne Hilfe für Kinder mitten in einer Trümmerlandschaft

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Vielfältige Hilfe leisten geistliche Schwestern im Libanon: Ein eindrucksvoller Bericht nach einem Lokalaugenschein

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Vielfältige Hilfe leisten geistliche Schwestern im Libanon: Ein eindrucksvoller Bericht nach einem Lokalaugenschein

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Schneebedeckte Berge, darunter das Meer, strahlende Frühhngs-soime. So präsentiert sich dem Neuankömmling der Libanon, die einstige Schweiz des Ostens. Dem Flughafen in Beirut sieht man freilich noch den erst kürzlich überstan-denen siebzehnjährigen Bürgerkrieg von unüberbietbarer Grausamkeit an, doch die Militärs dort sind freundlich, ebenso die syrische Geheimpolizei, die alles in diesem Land kontrolliert. Allerdings stehe ich auf keiner Liste verdächtiger Ausländer, sondern ich bin gekommen, weil ich am Caritas-Projekt bei den Barmherzigen Schwestern in Bhannes interessiert bin.

Nach der Fahrt durch das noch immer in Trümmern liegende Beirut, vorbei an zerschossenen Häusern und Schuttlawinen einstiger Luxuszentren glaubt man in ein kleines Paradies einzutreten: Nicht nur die herrliche Lage in einem weitläufigen Park an einem Berghang über der Stadt, sondern auch die vorbildliche Organisation läßt den 1908 gegründeten und im Laufe der Jahrzehnte stetig erweiterten Kloster- und Spitalskomplex Bhannes zu einem einzigartigen Erlebnis für jeden Besucher werden.

HIER GIBT ES KEINE KONFLIKTE

Menschen verschiedenster Nationalität und Religionszugehörigkeit haben hier sichere Arbeitsbedingungen gefunden und bilden ein großes, bestens zusammenwirkendes Team; gerade jene Unterschiede, die im ganzen Nahen Osten Ursache dauernder tödhcher Konflikte sind, scheinen hier überwunden. Jean-Marie Schmitt, ein erfahrener Physiotherapeut aus dem Elsaß und Experte für Skoliosefälle, der hier darüber hinaus für so gut wie alles zuständig ist, erklärt mir das Geheimnis dieses Wunders: Jede Klinik, jedes Zentrum wird von einer Schwester geleitet.

Die Schwestern sind hier perfekte Managerinnen: Mit unerschütterlicher Zuverlässigkeit und härtestem Arbeitseinsatz konnten sie das Spital in Bhannes auch in schwierigsten Zeiten funktionstüchtig erhalten -trot2', Bombardements, Beschuß und Besatzung. Unter Lebensgefahr sind Schwester Marie-Louise, eine palästinensische Libanesin, und Jean-Marie während der Kriegsjahre wöchenthch mit einem K einbus über die Berge nach Damaskus ge-fahiren - manchmal mitten durch Gefechte um dort schwerkranke Kinder aus ganz Syrien zur Behandlung abzuholen. Denn schon damals verfügte Bhannes über für den ganzen Nahen Osten einzigartige Spezialkliniken, so etwa für die sehr zahlreichen, oft unter extremen Deformationen leidenden Skoliosekranken, die hier von einem Weltspezialisten operiert werden.

Wie überall in Bhannes werden auch hier Christen wie Moslems, Arme und Reiche unterschiedslos aufgenommen und betreut. Da aber die kostspielige Behandlung der fast ausschließlich mittellosen Patienten vom Konvent getragen werden muß, gibt es lange Wartelisten für die oft lebensrettenden Operationen.

Seit dem Ende des Krieges ist der Spendenfluß aus Europa versiegt -die entscheidende finanzielle Hilfe kam durch die Initiative und das immense Engagement eines jungen Österreichers, des jetzigen Caritas-Libanon-Projektleiters Stefan Maier aus Salzburg.

Stolz zeigt mir Jean-Marie, was durch die Hilfe aus Österreich alles ermöglicht wurde und wird: ein Zentrum für Tuberkulosekranke, dessen Rohbau noch heuer fertiggestellt werden soll, die Anschaffung von Rettungseinsatzwägen, die Durchführung zahlreicher Operationen an Kindern, die Modernisierung und Erweiterung des Waisenhauses St. Vincent für Mädchen im benachbarten Ajeltoun, die Unterstützung der Kinder- und Jugendarbeit in weiteren Waisenhäusern und Schulen, so etwa in der technischen Schule St. Joseph der Lazaristen, die mittellosen libanesischen Jugendlichen eine fundierte Ausbildung im Tischlerhandwerk, in der Elektroinstalla-tion oder im Konditorgewerbe und damit die Voraussetzungen für eine berufliche Existenz bietet.

Viele dieser Kinder und Jugendlichen haben im Krieg Eltern, Geschwister und andere FamiUenmit-glieder verloren, über die damit verbundenen traumatischen Erlebnisse können die wenigsten sprechen; manche mußten zusehen, wie die Eltern ermordet wurden, andere wurden unter den Trümmern bombardierter Häuser als einzige Überlebende geborgen.

Die meisten haben ihr Obdach verloren; ihre Familien - so noch vorhanden - hausen in einsturzgefährdeten Ruinen. Durch die österreichische Patenschaftsaktion (500 Schilling monatlich für Waisenkinder, 1.000 Schilling monatlich für für Kinder, die Spitalspflege benötigen) kann einer - hoffentlich - immer größeren Anzahl dieser Kinder die Aufnahme in eines der Ordenshäuser und damit eine gesicherte Existenz geboten werden.

HILFE FÜR BEHINDERTE KINDER

Ein Zentrum in Bhannes verdient ganz besondere Erwähnung: Es ist das von der italienischen Schwester Emmanuela auch für europäische Verhältnisse vorbildhaft und nach modernsten Erkenntnissen geleitete IMC-Zentrum. IMC steht für zerebral bedingte Bewegungsbehinde-rungen, schwere Schäden also, die Kinder durch Fehler, Versäumnisse oder Krankheiten vor, während oder nach der Geburt erleiden.

Diese Kinder werden hier in einer liebevollen Atmosphäre umsorgt, sie erhalten eine spezielle Schulausbildung — daß die meisten von ihnen normal intelligent sind, muß vielfach auch erst den Eltern klargemacht werden -, und was das wichtigste für sie ist: sie werden täghch mit individuellen physiotherapeutischen Programmen behandelt, so daß sie Bewegungsabläufe vom Greifen bis zum Stehen und (fast) normalem Gehen, die ihnen sonst unerreichbar bleiben würden, in jahrelanger Mühe erlernen.

Damit steht diesen Kindern auch oft das Erlernen und Ausüben eines Berufes, das Sich-Bewähren in der Familie und in der Gesellschaft offen; ohne Behandlung sterben die meisten dieser Kinder schon in den ersten Lebensjahren oder sie sind lebenslang Gebrandmarkte, Außenseiter, gelten als „Dorftrottel" (bei normaler Intelligenz!) in den harten sozialen Bedingungen, aus denen sie meist kommen.

MIT BEHUTSAMKEIT UND LIEBE

Die Behutsamkeit, die Liebe, die diese Kinder im IMC-Zentrum oft erstmals in ihrem Leben erfahren, lohnen sie mit vertrauensvoller Erwiderung aller Zuwendung, mit Lächeln, mit Spiel- und Lernfreude und mit sehr großen, sehr lohnenden Fortschritten in ihrer Entwicklung. Vielfach werden die Eltern in die Therapie mit einbezogen und lernen dadurch erst, auch für ihr behindertes Kind Zuneigung zu empfinden und Verantwortung zu übernehmen.

450 Dollar kostet die monatliche Betreuung eines Kindes im IMC-Zentrum. Auch dieses Geld kann nur über monatliche Patenschaften beigesteuert werden. Viele Österreicher könnten 500 oder 1.000 Schilling im Monat leicht entbehren; manche würden das Weggeben dieses Betrages nicht einmal bemerken. Für sehr viele Kinder im Libanon kann eine solche Hilfe lebensbestimmend, lebensrettend sein.

In Salzburg haben bereits mehrere Schulen, Schulklassen und-Pfarren Patenschaften für Kriegswaisen oder behinderte Kinder übernommen. In Wien war dieses Projekt bislang so gut wie unbekannt. Nun hat die II-B-Klasse der HAK V in Wien-Floridsdorf Pionierarbeit geleistet: Die Mädchen luden Stefan Maier zu einem Vortrag in die Schule ein und haben sich entschlossen, auch an Banken, Betriebe und ähnliche heranzutreten und Patenschaften zu sammeln.

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