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Auch Hilfe muß Würde achten

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Über die Zahl der in Bosnien-Herzegowina von serbischen Mili-zien vergewaltigten Ordensfrauen schweigt sich der Vatikan aus. Er hat aber mitgeteilt, daß jene Vergewaltigungsopfer, die nun Kinder erwarten, keine Erlaubnis zur Abtreibung erhalten. Tausenden anderen gleich leben sie in einer verzweifelten Situation. Und Hilfe ist schwierig.

Von Andreas Lieb

Es sei eine Arbeit der kleinen Schritte, sagt Jelena Brajsa, Leiterin der Caritas der Erzdiözese Zagreb, und man habe sich viel mit der Frage beschäftigt, wie die Hilfe ausschauen solle. Vor wenigen Wochen wurden „mobile Beratungsteams” ins Leben gerufen. Jeweils vier oder fünf Personen (vielfach Mediziner, Pädagogen oder Psychologen, die keine geregelte Anstellung finden können und trotzdem aktiv sein wollen) sind auf den Straßen unterwegs, um sich um die Frauen zu kümmern, die dem Alptraum entkamen und die Flucht nach Zagreb geschafft haben. Viele kommen aus Internierungslagern.

Brajsa zur FURCHE: „Der Zugang zu den Menschen ist sehr schwierig. Frauen, die Kinder erwarten oder bereits bekommen haben, Frauen, die in Not sind - sie sind vor allem auch seelisch verletzt, sie kommen nicht einfach so zu uns.

Wir versuchen, über die Entbindungsspitäler und Gynäkologien an die Adressen zu kommen, um unsere Hilfe anzubieten. Oft sind die genannten Adressen aber falsch ...” Die Caritas hat in Zagreb bisher vier Häuser eingerichtet, in denen jeweils zehn bis 15 Frauen Unterschlupf finden können.

Empört reagiert die Caritasleiterin, die auf Einladung des Frauenreferates der Steiermärkischen Landsregierung zu einer Veranstaltung nach Graz gekommen ist, auf die weltweiten Meldungen, daß viele Mütter ihre durch Vergewaltigung gezeugten Kindernicht annehmen würden. Brajsa: „Es gibt bei uns Ärzte, die sagen, wenn eine Frau zu uns kommt, die abtreiben will, dann tun wir das -egal, ob sie im dritten Monat ist oder im siebenten. Das stimmt. Es sind auch schon Kinder zur Adoption freigegeben worden. Aber wir versuchen ununterbrochen, mit den werdenden Müttern Kontakt aufzunehmen - die Kinder sind doch unschuldig, sie haben ein Recht, zu leben. Was können sie dafür?”

Mutterliebe ist oft stärker

Immer wieder habe sie erlebt, daß schwangere Frauen entgegen ihrer ursprünglichen Haltung ihr Kind dann doch annehmen - und zwar mit uneingeschränkter Mutterliebe. Auch was Adoptionen betrifft, sei man äußerst zurückhaltend: „Solange wir nichts über die Herkunft eines Kindes wissen, müssen wir warten. Jede Mutter muß eine Erklärung unterschreiben, daß sie das wirklich will. Aber das ist für mich noch kein Freibrief, ich spreche immer wieder mit ihnen. Es wäre eine Schande für unser Land, wenn wir uns das so leicht machen und sagen, geben wir die Kinder halt weg ins Ausland.” Die „Entfernung” des Kindes von der Mutter könne zu schweren Psychosen führen.

Wie die anderen Staaten, besonders jene Europas, helfen könnten, ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Jelena Brajsa erwähnt zwar, daß dringend Saatgut gebraucht wird (Erdäpfel, Mais, Weizen zum Ansetzen), betont aber die Wichtigkeit der menschlichen Wärme. Vergewaltigte Frauen (dieses Wort will Brajsa eigentlich gar nicht benutzen) seien in einer tiefen menschlichen Not. Sie seien in ihrer Würde zutiefst verletzt worden und brauchten psychosoziale Hilfe. Auch Kleinigkeiten seien dabei oft wichtig: So gebe es zwar sehr viele Kleiderlieferungen aus dem Ausland, aber die Würde gebiete es zum Beispiel den moslemischen Frauen, nur in Schwarz gekleidet zu sein.

Bei Fra Jozo Zovco, Guardian des Franziskanerklosters Siroki Brijeg, nur 20 Kilometer von Mostar entfernt, der ebenso nach Graz eingeladen worden ist, klingt Verbitterung durch. Er erzählt die Geschichte eines Ordensbruders, den man zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt habe, „weil er mit Liebe zu den Menschen gearbeitet hat”. Als er geschlagen wurde, sei er in Ohnmacht gefallen. Man hätte ihn mit Wasser überschüttet, damit er wieder zu sich kommen konnte, und gesagt: „Schau, wie human wir sind.” Zovco: „So wie dieses Wasser kommt mir derzeit die ausländische Hilfe vor. Das ist so wenig, wenn man weiß, wie viele Menschen verletzt und krank sind. Da kann die Welt nicht von Humanität sprechen. Hunderttausende leben halbtot in Kellern!”

Der Krieg, so Zovco, habe die Humanität auf die Probe gestellt -und die Politiker hätten sie nicht bestanden. Zovco: „Wie kann es passieren, daß die Menschheit nicht den Opfern hilft? Aggressor und Angegriffene sitzen am selben Tisch. Eine diplomatische Lösung kann ich mit meinem Herzen nicht finden. Alle bisherigen Versuche haben dem Krieg geholfen und ihn verlängert. Erst wenn der Haß weg ist, werden die Waffen schweigen.”

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