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Im Krieg ist alles erlaubt

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Nicht nur, daß sie brutal vergewaltigt werden, ihre Schicksale müssen auch noch zu Propagandazwecken herhalten. Das Los dieser Frauen kümmert niemanden. Zudem haben sie mit kulturellen Vorurteilen zu kämpfen.

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Nicht nur, daß sie brutal vergewaltigt werden, ihre Schicksale müssen auch noch zu Propagandazwecken herhalten. Das Los dieser Frauen kümmert niemanden. Zudem haben sie mit kulturellen Vorurteilen zu kämpfen.

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Das SOS-Frauentelefon in Zagreb klingelt ununterbrochen. Tag und Nacht. „Ich getrau mich schon gar nicht mehr den Hörer abzunehmen", erzählt Mica Desnica, „die meisten Frauen, die anrufen, brechen sofort in Tränen aus. Ihre Geschichten sind einfach schrecklich." Bereits zwei Jahre existiert die Telefonberatung für Frauen. Das einzige, was die Feministinnen in Kroatien erreichen konnten.

„Es sind Tausende Frauen, die aufgrund der Kriegssituation auf unmenschliche Weise vergewaltigt werden, nicht nur in Gefangenenlagern, auch in Kasernen, in Polizeistationen, in Fabriken", weiß die 34jährige Frauenrechtlerin zu berichten: „Seit der Krieg ausgebrochen ist, glauben die Männer, alles sei erlaubt. Wer als Gegner gilt oder angeblich mit ihm kollaboriert, der zählt nichts." Schon vor zwei Jahren, nach den ersten blutigen Auseinandersetzungen in den kroatischen Serbenenklaven, hätten serbische Frauen darüber geklagt, daß sie von kroatischen Polizisten vergewaltigt wurden. Die hätten, so Desnica, beim SOS-Telefon angerufen und sie um Rat gebeten.

Daß ihr Schicksal niemanden interessiert, erfuhren dieOpfer schon ganz bald. Keine ihrer Strafanzeigen wurde je von einem der Gerichte angenommen. Man habe Hunderte von Beschwerden geschrieben, erzählt Mica Desnica - ohne Erfolg. Der Zagreber Frauenkreis hat keine Lobby, keine Rechtsanwälte, die sich der vergewaltigten Frauen annehmen könnten. „Auch Frauenärzte wollen mit uns nichts zu tun haben".

Eine Medizinstudentin findet sich doch. Es ist Sonja Popovic aus Sarajewo. Sie erzählt, schon vor Kriegsausbruch sei sie aus der bosnischen Hauptstadt geflüchtet - nicht etwa weil sie den Krieg vorhergesehen hatte, sondern weil man sie, eine Serbin, zwingen wollte, sich einer paramilitärischen Einheit anzuschließen. „Als ich es nicht tat, packten mich ein paar Typen, es waren sogar Freunde meines Bruders darunter, und was folgte..., es war schrecklich. Aber ich habe es überlebt." Sonja versichert, sie habe die Namen von Frauen gesammelt, die schon damals von Sol-

daten mißhandelt und danach erschossen worden seien. Sonja macht keinesfalls den Eindruck, verwirrt zu sein oder die Unwahrheit zu sprechen. Immer wieder bricht sie bei ihrer Erzählung in Tränen aus.

Geht man in die unzähligen Flüchtlingscamps Kroatiens, so findet man Dutzende von Frauen, die über Vergewaltigungen sprechen wollen. Doch es sind stets Geschichten von Freundinnen, deren Namen sie aus Rücksicht nicht nennen. Nie erzählt eine der Frauen offen, sie selbst sei zum Verkehr gezwungen worden.

Jelka ist eine Ausnahme. Sie erzählt ihre Geschichte. Doch die 23jährige will dafür nicht ihren vollen Namen nennen: „Nicht meinetwegen, sondern wegen meiner Mutter. Sie würde mich verstoßen." Jelka kommt aus Visegrad, einer mehrheitlich moslemischen Stadt: „Schon im April sind eines Nachts serbische Freischärler in unseren Ort eingedrungen, es war wie eine der Blitzaktionen. Sie wollten erkunden, ob die Stadt an der Drina auf die Schnelle zu erobern sei."

Anklage gegen Blauhelme

Von Haus zu Haus seien die Soldaten gezogen und hätten die Bewohner aufgefordert, zu flüchten. „Auch zu uns kamen sie, hielten ihre Gewehrläufe auf uns und stießen uns aus dem Haus. Als ich hastig mit einer Hand unter das Bett griff, um unser erspartes Bargeld mitzunehmen, sah das einer der Soldaten. Er hielt mich fest - meine Mutter war schon aus dem Haus getrieben worden - und forderte: Entweder bumst du nun mit mir, oder das Geld ist weg."

Es gibt sogar Männer, die gestehen ihre Tat. Damir, ein 17jähriger Bursche, war über ein Jahr Freiwilliger der kroatischen Nationalgarde in Ostslawonien. Einen Arm verlor er dabei: „So verstümmelt wie ich jetzt bin, finde ich nie mehr eine Frau. Das

hab ich schnell begriffen. Und aus diesem Frust heraus habe ich, als es auch die anderen taten, zweimal zugegriffen. Einmal in Borovo selo und einmal unweit von Vukovar. Ich sagte, Mädchen, ich kann nicht anders. Ich habe mich damals nicht geschämt, ich weiß nicht warum."

Geschichten wie diese muß man aus den Betroffenen herauslocken. Weitererzählt und niedergeschrieben werden sie anscheinend nicht. Bis auf ganz wenige Ausnahmen findet man weder in der serbischen, kroatischen noch bosnischen Presse das Thema

Vergewaltigung aus Sicht betroffener Frauen. Schauergeschichten werden nur zu Propagandazwecken wiedergegeben: „Serben vergewaltigten Jungfrau", „Serben mißbrauchten Großmutter". Solche Schlagzeilen sind in Kroatien nicht selten, nicht nur in der Boulevardpresse.

Doch was den UNO-Blauhelmen von allen Seiten vorgeworfen wird, ist der Gipfel jeder Verleumdung. So behauptete kürzlich das serbische Massenblatt „Duga" wie das kroatische Wochenblatt „Slobodni tjednik", die UNO-Soldaten hätten sich einen „Sport daraus gemacht, Mädchen reihenweise zu vergewaltigen". Wo die UNPROFOR hinkommen, sei keine Frau mehr sicher. Mit einem dieser Opfer, einer 16jährigen aus Daruvar, gelang es sogar - über Vermittlung der besagten Wochenschrift - in anonymen telefonischen Kontakt zu treten. Es klang erschütternd, was das Mädchen an Details preisgab. Mehrmals weinte es. Und doch bleibt ein gewisses Unbehagen an derGeschich-te- nicht, was die Tatsache der Vergewaltigung betrifft, sondern ihre Schlußfolgerung: „Die UNO besetzt unsere Heimat wie Kolonialherren, so führen sie sich auf und schrecken vor nichts zurück. Wenn die nicht freiwillig gehen, werde noch ich zur Waffe greifen, ich will meine Ehre zurück und Freiheit für Kroatien."

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