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In der „Straße der erhängten Kämpfer"

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Ein reger Grenzverkehr zwischen Ungarn und Jugoslawien kennzeichnete bis vor kurzem die kroatische Region Slawonien. Heute herrscht Angst in dem gemischten Gebiet. Tschetniks, Jugendbanden und kroatische Nationalgardisten haben den Tod gebracht.

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Ein reger Grenzverkehr zwischen Ungarn und Jugoslawien kennzeichnete bis vor kurzem die kroatische Region Slawonien. Heute herrscht Angst in dem gemischten Gebiet. Tschetniks, Jugendbanden und kroatische Nationalgardisten haben den Tod gebracht.

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Bauer Popovic ist Pendler. Nachts lebt er meistens in Kölked, am Tage geht er auf die Felder bei Knezevo. Er ist Grenzgänger und einer der wenigen, die in diesen Tagen die ungarisch-jugoslawische Grenze bei Osijek passieren. „Sie hätten vor ein paar Wochen hier sein sollen", erzählt der Bauer Popovic, als wir den Schlagbaum in Udvär nach Süden passieren. „Die Unseren gingen zum Shopping nach Ungarn, die Magyaren auf Touristenfahrt zu uns, um ein bißchen zu handeln." Damit sei es jetzt vorbei.

Popovic wird nicht müde, von Geschäftchen zu erzählen, die beidseits der Grenze das karge Bauernleben versüßten, während wir mit seinem „Yugo", so nennt sich noch immer die beliebteste Automarke heimischer Produktion in Jugoslawien, auf der Europastraße 73 in Richtung Osijek fahren. Aber wir reisen nur wenige Kilometer. Der Bauer spricht und spricht, um seine Angst zu verbergen. Dabei geben die Mais- und Sonnenblumenfelder der Landschaft einen friedlichen Charme. Auch Spuren des Bürgerkrieges zwischen Kroaten und Serben sind keine auszumachen. Im Dorf Knezevo sind keine Fensterscheiben zerschossen, keine Barrikaden aufgebaut, keine Häuser und Autos ausgebrannt. Menschen sind nicht zu sehen. Die Bauern brachten ihre Frauen und Kinder zu Verwandten nach Zagreb, Belgrad oder hinüber nach Ungarn. Die Männer harren aus.

Mit Schrotflinten und Pistolen gehen sie tags auf die Felder, nachts sitzen sie im Schulhaus zusammen, schieben Streife, bewachen ihren Besitz. Vor der „Mafia" wie sie sagen. Denn Jugendbanden und organisierte Gangs würden in der Gegend ihr Unwesen treiben. Nach den Kämpfen in mehreren Nachbardörfern hätten sie alles aus den verlassenen Siedlungen geraubt und würden jetzt auch dort zugreifen, wo bisher Frieden herrschte. So die Bauern, die Worte wie „Tschetniks" oder „kroatische Nationalgardisten" nicht in den Mund nehmen.

Das Grenzdorf mit kroatischer, serbischer, ungarischer und einst auch deutscher Bevölkerung hat in diesem Jahrhundert schon zuviel erlitten, erzählt Zoran, ein Lehrer, der mehrmals die Woche nach Knezevo hinausfährt, um nach dem Hof seiner Eltern zu schauen. Denn sie seien derzeit auf „Urlaub" bei seiner Schwester in Deutschland.

Erfolglose Friedensinitiative

Er fährt auch diese Nacht wieder zurück in die Provinzmetropole Slawoniens. Wir fahren gemeinsam mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Meldet doch der lokale Sender, man müsse sich in Osijek vorsehen, Gefechte seien nicht auszuschließen. Und die zwanzig Kilometer dauern vom Gefühl hereine Ewigkeit. Schon nach Beli Manastir wird die Europastraße zur Geisterstrecke. Es dämmert, doch in den Häusern gehen keine Lichter an, keine Straßenbeleuchtung. Nur Suchscheinwerfer von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen zeugen davon, daß hier Menschen sind, Soldaten, Freischärler, Krieger. „Seien Sie getrost", versucht Zoran zu scherzen, „alle sind sie da, und jetzt im September wird es hier brennen, jetzt kommt der Krieg."

Osijek selbst ist keine schöne Stadt. Im Zweiten Weltkrieg stark zerbombt, wurde sie mit grauen Wohnblocks neu verschandelt. Nur ein kleiner Stadtkern mit einem leicht mediterranen Korso gibt der Industriemetropole mit dem größten Binnenhafen Jugoslawiens einen gewissen Reiz. Zoran weigert sich, ins Zentrum zu fahren: „Das ist zu gefährlich, auch wenn nicht geschossen wird, lästige Polizeikontrollen und vorübergehende Festnahmen zur Personenidentifikation sind Routine." Der Kroate ist froh, ohne Zwischenfall zu Hause anzukommen. Er wohnt in der „Straße der VI. slawonischen Befreiungsarmee". Einer der skurrilen Straßennamen, die noch immer in Osijek vorherrschen. Da benannten nachdem Kriege die Kommunisten auch andere Straßen um. Namen, die vor Unheil schützen sollten? Wie die „Straße der erhängten Kämpfer" oder die „Straße der faschistischen Greuel". Doch, als wäre es ein Fluch der Geschichte, sind gerade diese Straßen von wüsten Zerstörungen durch Straßenkämpfe gebrandmarkt. An jeder Ecke spürt man Krieg in Osijek. Nur von Norden her ist die Zufahrt auf der Europastraße offen. Weiter geht die Reise auf der E 74 nur für Panzer. Denn von allen drei anderen Himmelsrichtungen ist Osijek eingeschlossen.

Auf Zorans Balkon zucken wir zusammen. Granatfeuer ist zu hören. Lichter gehen aus. Aus den Nachbarwohnungen hört man Radio- und Fernsehsender in Überlautstärke. Wollen die Bewohner, daß man sie hört? Jeder hängt in Osijek an den elektronischen Medien. Man versucht zu analysieren, wann ist der Moment gekommen, zu flüchten? Auch in Zorans Wohnung sind die Koffer gepackt.

Seine Frau weilt in Belgrad. Sie demonstriert mit anderen Frauen für den Frieden. Mit Erfolg? Spät abends ruft sie ihren Mann an. Nein, es sei zum Verzweifeln. Ein paar tausend Frauen, mehr seien es am Donnerstagabend nicht gewesen. Und dann die Gegendemonstration. Da hätten sich doch tatsächlich ein paar hundert Frauen gefunden, die für eine „starke Armee" durch die Belgrader Straßen gezogen seien.

Wir verfolgen über das kroatische Femsehen den Friedensmarsch der Frauen. Dort klingt der Kommentar hoffnungsvoller, zuversichtlich heißt es in den Nachrichten, es seien Zehntausende gekommen. „Aber wir trauen diesen Bildern nicht, zuviele Verzerrungen und Fälschungen wurden uns schon serviert", sagen die Nachbarn, die auf ein Glas Sliwowitz eingeladen werden. Meine Zwischenfrage: Ist dies nicht die erste jugoslawische Friedensinitiative mit Erfolg? Dunja lacht: „Wenn dem so wäre, wäre ich auch in Belgrad. Aber die Forderung, ,holt unsere Kinder aus den Klauen der Generäle', ist zu wenig. Niemand forderte, entwaffnet die Tschetniks, demobilisiert die fanatischen Kroatenverbände. Vernichtet alle Waffen."

Jeder behauptete, schon einmal Augenzeuge von Gemetzeln gewesen zu sein. Gesehen zu haben, wie „Gegner" mit Äxten erschlagen, Leiber aufgeschnitten und Menschen selbst erhängt wurden. Eine Mischung von Tatsachen, Schreckenserlebnissen, Phantasien und Angstbildern hält die Seelen der Menschen in Todesangst. Eine Todespsychose ist allgegenwärtig. Und mit jedem Schnapsglas pflichtet man sich gegenseitig noch stärker bei, der Krieg werde kommen.

Im Morgengrauen zurück in Knezevo, ohne auch nur einmal aufgehalten worden zu sein, schnarchen auch dort die Männer im Schulgebäude neben Dutzenden Flaschen Selbstgebranntem. Bauer Popovic schiebt Wache. Aber auch ihm gehen die Worte noch leichter über die Lippen. Er versucht, eine Antwort auf die Kriegspsychose zu geben. „Schauen Sie", beginnt der Serbe, „lassen wir einmal das Gemetzel im Zweiten Weltkrieg beiseite und beginnen wir in den Nachkriegsjahren. Da hat manch einer von denen, die hier schnarchen und so alt sind wie ich, wehrlose Deutsche und Ungarn ,aus Rache' erschossen, um sich deren Hof unterden Nagel zu reißen. 1956kamen die Ungarn über die Grenze. Doch was tat Tito? Er ließ auf die Flüchtlinge, die gerade den russischen Panzern entkommen waren, schießen. Wollen sie noch mehr hören?" Bauer Popovic greift zur Flasche: .Auch noch vor Jahren kamen Polen, Russen, Tschechen, Ostdeutsche, um dem Ostblock zu entkommen. Da gab es die letzten Toten. In Jugoslawien herrschte immer das Gewehr über die Vernunft - warum soll es da jetzt plötzlich anders sein?"

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