"... bin jetzt stolz, Serbin zu sein"

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Lokalaugenschein in Novi Sad, der Hauptstadt der Vojvodina, einem der ständigen Ziele der NATO-Luftangriffe.

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Lokalaugenschein in Novi Sad, der Hauptstadt der Vojvodina, einem der ständigen Ziele der NATO-Luftangriffe.

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Meine Bekannten in den urbanen Zentren Jugoslawiens, in Belgrad, Novi Sad, Loznica, Kragujevac zählen zu jenen Intellektuellen, die dem Regime Milosevi'c durchaus kritisch gegenüberstehen. Aber nach einem Monat NATO-Bombardement sind sich alle einig, daß jetzt die Serben zusammenhalten müssen gegen die Zerschlagung des Landes. "Wir alle sind Milosevi'c" - sogar solche Texte finden sich auf den Tafeln der "menschlichen Schutzschilder" auf den Brücken Belgrads. Hier gibt es jede Nacht Rockmusik, sprechen Liedermacher und andere Künstler, und jeder trägt seinen Sticker mit Zielscheibe und Aufschrift "target", also militärisches Ziel der NATO-Kampfjets, sichtbar auf die Brust geheftet. Am Platz der Republik in Belgrad ist eine Bühne errichtet, darüber prangt groß eine Ikone, die Heilige Maria mit Kind darstellend - und auch über das leuchtend-goldene Kleid ist die Zielscheibe als "target" gemalt. Soeben tritt ein russischer Chor auf, die orgelnden Bässe und die helle Stimme des Solisten darüber werden von der dichtgedrängten Menge laut bejubelt und beklatscht. Die Sprecherin kündigt die Ankunft von fünf griechischen Reisebussen an. Die zirka 250 Griechen werden heute abend auf der Brankov-Brücke in Belgrad dabei sein.

Viele der Transparente auf den Brücken tragen die Handschrift jener, die noch im Winter 1996/97 monatelang gegen das Regime Milosevi'c demonstrierten. So wie sie damals den Wahlbetrug sarkastisch-witzig-verbittert kritisierten, so scheinen jetzt die Texte aus denselben Köpfen zu stammen: "Clinton: Monica beißt!" - "Unterschied Clinton - Hitler: Clinton war nie beim Militär" ... In Diskussionen, die ich mit Studenten führe, höre ich Argumente, die mich an den Besuch der Wehrmachtsausstellung erinnern: In Kragujevac haben Wehrmacht und SS 1944 Hunderte Schüler des dortigen Gymnasiums bei einer Vergeltungsaktion erschossen - noch Jahrzehnte danach war die Stadt deutschen Touristen verschlossen. Und im April 1999 sollen bei Angriffen auf Kragujevac deutsche Tornados und deutsche Piloten dabei gewesen sein ...

Schlaflose Nächte Es geht mir nicht gut in diesen Tagen in Belgrad und Novi Sad: Was NATO-Sprecher laut ORF und Zeitungen als "erfolgreichen Angriff" und "zufriedenstellendes Ergebnis" jeder Bombennacht preisen, bedeutet vor Ort hilfloses Ausgeliefertsein, schlaflose Nächte in Angst, Verletzte, Tote, Zerstörungen. Freunde aus Novi Sad haben mich eingeladen, bei ihnen zu wohnen. Ich kenne sie schon lange. Damals, als der Krieg in Kroatien und später in Bosnien eskalierte, war es mir wichtig, auch die serbische Seite kennenzulernen, und ich fuhr über Novi Sad in der Vojvodina nach Vukovar, Brcko, Derventa, Banja Luka und Knin in die Krajina. Vesna und Nebosa haben mir oft gedolmetscht und Treffs mit kritischen Intellektuellen organisiert. Jetzt zeigt mir Vesna einen Brief einer Freundin an westliche TV-Stationen: "Während des Bosnienkrieges habe ich mich oft geschämt, Serbin zu sein - aber seit den NATO-Angriffen auf mein Land bin ich stolz, Serbin zu sein ..." So würden, setzt Vesna hinzu, fast alle der regimekritischen Intellektuellen heute denken.

Vesna und Nebosa wohnen mit der dreijährigen Tochter im Dachgeschoß eines Wohnturmes im Zentrum Novi Sads. Luftalarm wird immer schon bei Einbruch der Dunkelheit gegeben, aber nach vier Wochen NATO-Angriffen schert sich zunächst niemand darum. Erst gegen zehn Uhr nachts wächst die Spannung und die Angst.

Schirm ohne Schutz Während wir in der Mansarde sitzen, beginnen plötzlich die Hunde in den Straßen und Kleingärten unten zu bellen und zu heulen. Das sei immer so unmittelbar vor dem Angriff, erklärt Vesna. Minuten später beginnt die Luftabwehr zu schießen. Vom Balkon sehen wir - ähnlich einem Feuerwerk - die Leuchtspuren von allen Seiten vom Stadtrand her in den Himmel steigen. Sie kreuzen sich über dem Zentrum der Stadt und bilden eine Art Schirm über uns - ohne freilich die NATO-Jets zu treffen. Es dröhnt, bebt, blitzt, und dann steigt ein Feuerball etwa zwei Kilometer vor uns aus den schwarzen Umrissen der Fassaden. Schwarze Bautrümmer fliegen empor, sinken am Scheitelpunkt langsam nieder.

Die dreijährige Tochter, die angezogen auf der Sitzbank geschlafen hat, schreckt auf, weint und hustet. In den ersten Nächten war die Familie jede Nacht im Keller, Tochter Jasmina hat sich dort unten eine schwere Bronchitis geholt, jetzt bleibt die Familie heroben. Die ersten Angriffe im März hätten Panik ausgelöst, berichtet Vesna, während sie Jasmina in die Arme nimmt. Aber seither geht kaum jemand mehr in die Luftschutzkeller, wo kein Platz zum Liegen ist. Inzwischen ist das Feuern eingestellt, Hundebellen und -heulen verstummt, Nachbarn rufen uns von ihren Balkonen aus zu, eine Kaserne im Zentrum sei getroffen worden, hätten sie gehört. Überall schrillen die Telefone und piepsen die Handys. Jeder will wissen, wie es den Verwandten geht, was sie gesehen haben. Wenig später ein Anruf von Vesnas Schwager aus Schweden: Er hat gerade in den Nachrichten gehört, daß ein Marschflugkörper im Zentrum Novi Sads eingeschlagen hat und ist erleichtert, als die Verbindung klappt und Vesna abhebt. Das Gespräch ist abrupt zu Ende, Hundebellen und Luftabwehrfeuer kündigen die nächste Welle der NATO-Bomber an. Diesmal ist die Raffinerie das Ziel, ferner Feuerschein und Rauchwolken zeigen die Treffer an.

Erst spät nachts legen wir uns nieder. Nur die Dachhaut und Isolierplatten trennen uns vom Nachthimmel, aber die Bomber kommen nicht wieder. Einige Stunden schlafen wir tief und fest - das sei schon lange nicht mehr der Fall gewesen, sagen Vesna und ihr Mann Nebosa am nächsten Morgen, als wir zum Donauufer zu den zerstören Brücken gehen.

Die alte Stahlbrücke, über die ich so oft abends hinüber zu der alten, unter Prinz Eugen errichteten Festung Peterwardein spaziert bin, liegt grotesk verkrümmt in der Donau. Mit ihr auch die Wasserleitung, die die Siedlungen am Südufer der Donau mit Trinkwasser versorgt. Mehr als 90.000 Menschen, so der Sekretär des Roten Kreuzes Novi Sad, seien nunmehr auf Tankwagen angewiesen. Von den 51 Schulen der 300.000 Einwohnerstadt Novi Sad seien acht beschädigt, dazu drei Kindergärten und viele zivile Objekte, setzt er hinzu.

Ökokatastrophe?

Aber das eigentliche Problem ist die zerschossene Edölraffinerie: Wir fahren über die Brücke des Donau-Theiss-Kanals, in der Nähe der rauchenden Raffinerie. Direkt an der Straße die Ruinen zerstörter Wohnhäuser, ein Marschflugkörper hat sein Ziel verfehlt, es gab viele Verletzte. Das auslaufende Öl hat die zahlreichen Brunnen am Donauufer verseucht, der Ölteppich soll bis Belgrad hinunter fließen, heißt es beim Roten Kreuz. Aber schlimmer ist, daß die Petrochemie-Fabrik in Pancevo bombardiert worden ist. Die große Angst der Bevölkerung ist, daß die naheliegenden Stickstofftanks zerstört würden - auch das 20 Kilometer entfernte Belgrad müßte dann teilweise evakuiert werden. Die wahre Öko- und Wirtschafts-Katastrophe wird sich erst viel später zeigen, versichert mir Dragica Kljaji'c vom Roten Kreuz Serbien. Im ganzen Land seien chemische Fabriken, Treibstofflager, aber auch Brücken, Straßen, Eisenbahnlinien als "strategisch wichtige Ziele" von der NATO zerstört worden. Benzin ist rationiert, an den Straßenrändern der Städte stehen kilometerlang die öffentlichen Busse aneinandergereiht, Menschentrauben warten vor den Haltestellen stundenlang auf die wenigen Busse, die noch verkehren. Privatautos sind selten geworden (die Luftqualität und Ruhe in Novi Sad fällt mir dafür äußerst angenehm auf), es sind hauptsächlich Armee- und Polizeifahrzeuge auf den Straßen.

Die vierspurige moderne Autobrücke in Novi Sad ist wie mit dem Messer abgeschnitten. Unversehrt liegt die Betontrasse tief unten in der träge fließenden Donau. An der Bruchstelle sitzen Schaulustige, schlenkern mit den Beinen im Leeren, winken zu der Pontonfähre, die vollgepfercht mit Menschen von einem Armeeboot zum anderen Ufer gezogen wird. Behörden, Spitäler, die meisten Arbeitsplätze liegen im Stadtzentrum, und nur nach langen Wartezeiten können die Leute - manche mit nassen Füßen - auf den Pontonplatten die Überfuhr schaffen. Es herrscht Kriegsrecht, jeder hat an seinem Arbeitsplatz zu sein, nur Kindergärten, Schulen und die Universität Novi Sad sind seit Beginn der NATO-Angriffe geschlossen.

No photos!

Als ich mit einer kleinen Amateurkamera fotografieren will, kommt plötzlich schwerbewaffnete Militärpolizei. Die Angst vor Spionen ist groß hier, vielleicht haben die Schaulustigen Verdacht geschöpft, weil wir uns auf deutsch unterhalten haben? Meine Tasche wird durchsucht, die beiden Soldaten in gefleckten Kampfanzügen mit Maschinenpistolen schauen nicht sehr freundlich, erregt wird mit meinen Freunden serbisch parliert, auch sie müssen ihre Ausweise vorweisen. Schließlich bessert mein Schreiben von der Jugoslawischen Botschaft in Wien die Stimmung. Ich bin als Begleiter eines Hilfstransportes für Flüchtlinge mitgekommen, heißt es darin. Man dreht und wendet das Schreiben, holt weitere Soldaten, telefoniert per Handy, schüttelt die Köpfe, blättert minutenlang in meinem Paß mit dem Visum. Wir müssen zurück zum Auto, alles wird durchsucht (später erfahre ich, daß man mich für einen illegal eingereisten Journalisten hält und Tonbandgeräte bzw. Profi-Kameras bei mir vermutet). Man läßt uns laufen, aber fotografieren wird mir streng verboten.

Gegen acht Uhr abends haben die NATO-Kampfjets die neue "Freiheits-Brücke" zerstört und die vierspurige Betonbahn in die Donau katapultiert, in weitem Umkreis gingen die Fensterscheiben zu Bruch. Viele Fußgänger und Autos hatten gerade passiert. Die Mitglieder eines nahegelegenen Tauchklubs hätten die meisten Opfer geborgen, aber noch sind Menschen vermißt, wird mir berichtet.

Zurück in Wien, werde ich von meinen Freunden zeitig am Morgen angerufen: Die letzte Brücke ist diese Nacht komplett zerschossen worden, damit gibt es keine Verbindung mehr von Novi Sad über die Donau. Ob Menschen auf der Brücke waren, ob es Opfer gibt, das wisse man nicht, es werde aber befürchtet. Wenig später folgt auch die Kurzmeldung auf Ö1.

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