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„Aber auf einmal sind wir alle Ausländer"

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Mazedoniens Staatschef Kiro Gligorov plädierte vor exakt einem Jahr (FURCHE 47/1991) für die Beteiligung aller nationalen Minderheiten an Polit-Institutionen seines Landes. Eine Reportage schildert, wie es diesbezüglich wirklich in der noch nicht anerkannten Republik ausschaut.

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Mazedoniens Staatschef Kiro Gligorov plädierte vor exakt einem Jahr (FURCHE 47/1991) für die Beteiligung aller nationalen Minderheiten an Polit-Institutionen seines Landes. Eine Reportage schildert, wie es diesbezüglich wirklich in der noch nicht anerkannten Republik ausschaut.

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Drei Busse werden ins Dorf eskortiert. Mit Blaulicht fährt das Polizeiauto voraus. Frauen, Kinder und alte Männer steigen am Dorfplatz aus. Der Muezzin ruft zum Gebet. Mütter weinen. Die Mehmed Alieva-Moschee füllt sich mit Menschen. Der Beg, der Geistliche, begrüßt die Neuankömmlinge. Alija, gerade 19 Jahre alt, wendet sich ab, rennt aus dem Gebetshaus. Er schreit es heraus: „Das ist nicht meine Welt!". Er erzählt: „Im Morgengrauen kam die Polizei und erklärte meinem Vater: Hören Sie, Sie können hier in Ljubl-jana weiterarbeiten, aber Ihre Familie, die muß gehen. Sie verstehen, Ihre Heimat ist doch der Balkan." Der junge Mann kann nicht weitersprechen. Tränen rollen ihm über die Wangen.

Alija kam in Slowenien zur Welt, besuchte in Slowenien die Schule, hatte slowenische Freunde, ist mit einem slowenischen Mädchen verlobt. Kurz, er fühlt sich als Slowene. Jeder Moslem war und ist ihm fremd. Und doch ist sein „Makel" sein Schicksal: Seine Eltern stammten aus dieser kleinen islamischen Enklave zwischenOhridsee und Albanien. Vor

23 Jahren waren sie, Angehörige der kleinen türkischen Minderheit, zusammen mit anderen Familien, aus diesem Dorf, aus Labunista, Verwaltungsbezirk Struga, südjugoslawische Republik Mazedonien, in die nordjugoslawische Republik Slowenien übersiedelt. Sie lebten unter Slowenen, bauten sich ein Einfamilienhaus und sie wurden im Alpenvorland heimisch. „Aber auf einmal sind wir Ausländer", klagt der junge Mann auf slowenisch. Denn mazedonisch geht ihm nicht von den Lippen. Er fühlt sich verloren. Und die Bürger von Labunista verstehen sein Klagen nicht. Sie haben andere Probleme.

In Labunista wächst die Repression nämlich buchstäblich in den Himmel. 7.000 Menschen leben hier auf engstem Raum. Nicht selten schießen die Gebäude zwischen sieben und neun Stockwerke in die Höhe. Häuser, deren Grundriß einfachen Einfamilienhäusern gleichen und auch in diesem Sinne errichtet wurden. Da die staatlichen Behörden es den Bauern aber seit Jahrzehnten nicht erlauben, neues Bauland zu erschließen, gingen diese dazu über, ihre Höfe auf den alten Grundstücken auszubauen - in die Höhe. Ein grotesker Anblick, denn unweit des Dorfkerns reihen sich kilometerlang Felder an Felder, Wiesen an Wälder.

Ein Blick auf die Statistik verrät: Von zwei Millionen Einwohnern der Republik bekannten sich 1991 offiziell 64 Prozent als Mazedonier, der Rest als Albaner (21 Prozent), Türken, Serben, Roma (jeweils vier Prozent) und in kleinerer Zahl als Rumänen, Moslems, Griechen und Bulgaren. Soziologen schätzen jedoch das wahre Nationalitätenverhältnis noch mehr zu Ungunsten der mazedonischen Nation. Da von sehen der Minderheitenvölker die letzte Volkszählung boykottiert wurde, um so gegen die zunehmende Diskriminierung zu protestieren, beruhen die Angaben insgesamt mehr auf staatlichen Schätzungen als auf tatsächlichen Befragungsergebnissen. Eine Tendenz zeigt sich jedoch: Die Landkreise, in denen das „Staatsvolk" der Mazedonier weniger als zwanzig Prozent der Bevölkerung stellt, sind gleichzeitig jene mit der größten Bevölkerungsdichte.

Buranedin Ademi ist Jugoslawe albanischer Abstammung. Das sagt er von sich. Er spricht serbisch, die Sprache seiner Eltern, Großeltern und Urgroßeltern. Von wo seine Vorfahren stammen, weiß der Konditormeister nicht. Es hat ihn nie interessiert. Er weiß nur, seit Generationen wohnten die Ademi in Paracin, einer kleinen serbischen Stadt. Sie waren angesehene Leute im Städtchen. Buranedin führte ein Kaffeehaus, ein Vetter machte sich als Goldschmied einen Namen. Doch nun leben die Ademi in Velesta, dem Nachbardorf von Labunista. Denn auch sie mußten gehen. Ihr albanischer Name und ihre ursprünglich albanische Herkunft stempelte sie Anfang des Jahres zu Ausländern. Der Konditormeister erzählt: „Geh' zum Albanerpack, Dich können wir nicht mehr brauchen." Das schmierten ihm eines Tages Unbekannte an die Fensterscheiben des Kaffeehauses. Als dann wenige Tage später die Polizei vorbeikam und ihm sagte, sie hätten eine Gemeinde gefunden, in der man einen Konditorenmeister suchte, die liege aber in Mazedonien.. . - da sei ihm alles klar gewesen. Der kleine dunkelhaarige Mann, der sich noch immer den traditionellen serbischen Schnurrbart wachsen läßt, lacht unter diesem hervor: „Ja, so ist es eben auf dem Balkan, wer den falschen Namen trägt, wird „ethnisch weggesäubert" - und nicht immer so „fein" wie in meinem Fall.

Im idyllischen Ferienort Ohrid wohnt Risto Poposki. Auf dem aus dem Ohridsee ragenden Felssporn lebt er in einer alten, großbürgerlichen

Wohnung. Der angesehene mazedonische Schriftsteller gibt sich belesen und zeigt sich als Liebhaber von Satiren und Grotesken. Nur so habe man in den vergangenen Jahrzehnten den „sozialistischen Despotismus" überleben können. Und heute? Die Geschichten aus dem nahegelegenen Labunista und Velesta findet der Intellektuelle jedenfalls überhaupt nicht komisch. Er wird fast wütend, als er sie zu hören bekommt: „Jeden, den sie nicht mögen, schieben sie zu uns ab. Da sind sich die slowenischen, kroatischen und serbischen Politiker einig: Albaner, Moslems und Roma, die gehören nach Mazedonien."

In Bitola, der zweitgrößten mazedonischen Stadt, erließ der Stadtrat einen Erlaß, nach dem „mazedonienfremde Zeichen und Symbole" aus dem Stadtbild zu verschwinden hätten. Stein des Anstoßes waren im Zentrum die beiden Moscheen aus dem 16. Jahrhundert. Nicht ins Stadtbild paßten nach Ansicht der Stadtväter die kupfernen Halbmonde an der Spitze der Minaretten der Jeni- und Kadi-Dja-mia. So holte man sie per Kran herunter und setzte auf die Spitzen das christliche Kreuz. Nicht genug: Schon diskutieren die Stadtväter, auch die Freitagsgebete zu verbieten und beide Moscheen als Gotteshäuser zu schließen. Sie sollen zu Museumsstätten umgewandelt werden.

Tance Geskovski hat allen Grund verbittert zu sein. Der Schock steht ihm noch ins Gesicht geschrieben.

Am 6. November erschoß ein mazedonischer Polizist seine Frau. Von der Straße aus schwenkte er die Maschinenpistole auf das kleine Wohnhaus der Geskovski. Eine ganze Salve verfeuerte er, die Einschüsse an der Fassade, über dreißig an der Zahl, sprechen für sich. „Aus Versehen habe sich ein Schuß gelöst", hieß es offiziell. „Mit Absicht" erklärt der Mazedonier, der sich noch rechtzeitig auf den Boden werfen konnte: „Sie glaubten, wir seien Albaner, deshalb feuerten sie auf unser Haus."

Sein Verhängnis: Die Geskovski leben seit Jahrzehnten im „Bit-Ba-zar", im Albaner- und Romaviertel der Hauptstadt Skopje. Sie hatten den Rat ihrer Nachbarn nicht befolgt, wie die meisten Mazedonier wegzuziehen. „Warum sollten wir auch", erzählt Tance, „niemand hat gefragt, welcher Nation jemand angehört, ob er Albaner, Türke oder wie wir Mazedonier ist." Das habe sich erst geändert, seitdem das Kriegsrad vom Norden des ehemaligen Jugoslawien unaufhaltsam nach Süden rolle, auch Skopje einen ersten Vorgeschmack von zukünftigen Konflikten erlebte.

Man spaßte bisher in Skopje über die Gefahr blutiger Auseinandersetzungen. Dann geschah der 6. November. Die Polizei verprügelte im Bazar einen 15jährigen Albaner, der angeblich geschmuggelte Zigaretten an den Mann bringen wollte. Es kam zum Tumult. Oder kam es zur gezielten Provokation? Schossen als erste fanatische Mazedonier? Oder waren es radikale Albaner? Man weiß es noch immer nicht.

Die Bilanz jedoch: Zwischen vier (offiziell) und acht Tote, dreißig Schwerverletzte, Hunderte Verwundete. Ein verwüstetes Viertel, geplünderte Geschäfte, Menschen die einander nun aus dem Weg gehen und fragen, welcher Nation der Nachbar angehört.

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