Mit Kriminellen spricht man nicht

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Mazedonien hofft auf Frieden, stellt sich aber auf einen langen Konflikt ein. Ohne große Begeisterung und von Gewalt überschattet haben Albaner und Slawo-Mazedonier einen zweiten Anlauf für eine politische Lösung genommen. Doch der Allparteienregierung wird wenig zugetraut. Sie gilt als vom Ausland verordnete Konstruktion.

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Mazedonien hofft auf Frieden, stellt sich aber auf einen langen Konflikt ein. Ohne große Begeisterung und von Gewalt überschattet haben Albaner und Slawo-Mazedonier einen zweiten Anlauf für eine politische Lösung genommen. Doch der Allparteienregierung wird wenig zugetraut. Sie gilt als vom Ausland verordnete Konstruktion.

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Was sich derzeit in Mazedonien abspielt, ist weit mehr als eine politische Krise. Der junge, erst seit zehn Jahren bestehende unabhängige Staat befindet sich in einer Existenzkrise. Oder wie es Nato-Generalsekretär George Robertson ausdrückt: "Mazedonien steht am Rande des Abgrundes." Das ist weniger auf die neuerlichen Kämpfe zwischen der mazedonischen Armee und die in den Norden des Landes eingedrungene albanische Befreiungsarmee UCK zurückzuführen, als auf die Versäumnisse der Regierung in Skopje, nach den Kämpfen mit der UCK im März in der Umgebung von Tetovo energisch auf ein politisches Reformprogramm hinzusteuern.

Skopje blieb politisch passiv und noch viel schlimmer: An Stelle der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen im Verhältnis zu der albanischen Bevölkerung überließ sie den Umgang mit dieser der Polizei. Und das ist das Verhängnisvollste, was man auf dem Balkan tun kann. Nach dem Verschwinden der UCK-Kämpfer aus den Dörfern nördlich von Tetovo machte sich die Polizei auf die Suche nach versteckten Waffen und untergetauchten Kämpfern der Rebellen-Streitkräfte, von denen sie annahmen, dass sie ihre Uniformen abgelegt und jetzt als harmlose junge Leute in Blue Jeans und Pullovern vor den Dorfcafes saßen. Denn Arbeit haben diese jungen Leute sowieso nicht.

Isolierte Mazedonier Und die Polizei - oder besser gesagt ihr slawisch-mazedonischer Teil, den albanischen hatte man ausgeschaltet - tat das, was sie auf dem Balkan in solchen Fällen immer tut: Sie bricht in die Häuser unter dem Vorwand der Suche nach Waffen ein, verwüstet das Mobiliar und verprügelt die Bewohner. Ähnlich verfährt sie auch, wenn ihr ein Auto verdächtig vorkommt und sich herausstellt, dass die Insassen Albaner sind. Dann werden diese vor aller Augen in der Straße aus dem Wagen gezerrt und verprügelt, und von der Bevölkerung, ob mazedonisch oder albanisch, wagt es niemand, einzugreifen. Von den Mazedoniern slawischer Herkunft ist das sowieso nicht zu erwarten, denn nach den Kämpfen zwischen Armee, Polizei und der UCK sind sie der Auffassung, dass alle Albaner nur danach trachten, den Staat Mazedonien zu zerstören.

Aus dieser Stimmungslage heraus war es nur ein kleiner Schritt zu dem Aufruhr in Bitola. In dieser traditionsreichen Universitätsstadt im Süden des Landes lebten Mazedonier und Albaner, die nur einen geringen Bevölkerungsanteil bilden, bisher friedlich neben einander. Ende April aber, nach dem Begräbnis von vier aus der Stadt stammenden und von der UCK an der Grenze zum Kosovo erschossenen Soldaten, stürmte eine Menge slawischer Mazedonier albanische Geschäfte und schlug alles kurz und klein. Das wiederholte sich an zwei Abenden. Personen kamen nicht zu Schaden, da die Albaner rechtzeitig die Flucht ergriffen.

In der Hauptstadt Skopje ist es bisher noch zu keinen Ausschreitungen dieser Art gekommen, aber die Lage ist dort sehr gespannt, da die Stadt einen hohen albanischen Bevölkerungsanteil hat. Bezeichnend für die Stimmung in der Stadt ist die Tatsache, dass schon seit Wochen Mazedonier, die bisher im albanischen Stadtteil wohnten, sich Wohnungen im mazedonischen Teil suchen. Einer von ihnen erklärte in einem Interview, er gehe nicht weg, weil er sich von den Albanern bedroht fühle, aber er sei dort völlig isoliert, seine Freunde und Bekannten in anderen Stadtteilen hätten Angst, ihn zu besuchen.

Den ganzen Monat April hatte die Regierung nichts unternommen, um dieser wachsenden feindseligen Stimmung zwischen den beiden Bevölkerungsteilen entgegenzuwirken. Schließlich drangen wieder UCK-Kämpfer in Dörfer im nördlichen Grenzbereich ein, beziehungsweise sie setzten sich dort fest, griffen Armee- und Polizeieinheiten an und brachten ihnen erhebliche Verluste bei. Die Armee antwortete mit einem massiven Beschuss dieser Dörfer, durch den unweigerlich auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurde. So entwickelte sich ein regelrechter Krieg.

Die Regierung in Skopje wollte sogar für das ganze Land den Kriegszustand ausrufen. Daran haben sie aber der EU-Beauftragte Javier Solana und NATO-Generalsekretär George Robertson, die nach Skopje geeilt waren, gehindert. Es war auch nicht einzusehen, was das hätte bringen sollen, außer dass das Verhältnis zwischen dem slawischen und dem albanischen Bevölkerungsteil - durch die damit verbundenen Freiheitsbeschränkungen - sich weiter verschlechtert hätte.

Am vergangenen Wochenende gelang dem mazedonischen Parlament nach mühsamen, immer wieder stockenden Verhandlungen die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Hauptaufgabe des neuen Kabinetts, bestehend aus sechs Parteien unter Einschluss von zwei Gruppierungen der albanischen Minderheit, sei es, den Aufstand der albanischen Rebellen niederzuschlagen, sagte der alte und neue Ministerpräsident Ljubco Georgievski nach der Abstimmung im Parlament am Sonntagabend. "Wir haben keine Alternative, als heftig auf diese Angriffe zu reagieren. Wir werden so umfassende politische und militärische Vorbereitungen wie möglich treffen, um den Gegner zu vernichten", sagte Georgievski. Nato und EU zeigten sich erleichtert und nannten die Regierung der nationalen Einheit als besten Weg, um einen Bürgerkrieg in Mazedonien und eine neuerliche Eskalation auf dem Balkan zu verhindern.

Diese Regierung soll nun den Forderungen der Albaner entgegenkommen, vor allem was die Verfassungsänderung, die Einführung des Albanischen als zweiter Amtssprache und die Erfüllung albanischer Forderungen im Bildungswesen betrifft. Der kritische Punkt dabei ist, ob die Umwandlung des mazedonischen Nationalstaates mit einer albanischen Minderheit in einen Zwei-Nationenstaat mit den Albanern als konstitutivem Staatsvolk gelingt.

Die Frage ist nun: Wird die neue Allparteien-Regierung zu einem Dialog in Richtung auf eine solche Lösung hin fähig sein und noch wichtiger: Werden beide Bevölkerungsteile nach all dem, was in den letzten Wochen geschehen ist und was derzeit militärisch geschieht, bereit sein, eine politische Lösung, so weit sie übehaupt gefunden wird, mitzutragen? Diese Frage stellt sich vor allem für den slawisch-mazedonische Teil, der seinen erst vor zehn Jahren errungenen Nationalstaat, dahinschwinden sieht?

Was fehlt sind Panzer!

Im Übrigen scheint der mazedonischen Armee dieser politische Friede nicht geheuer zu sein. Inmitten des Ringens um die Bildung der Regierung bombardierte sie im nördlichen Kampfgebiet zwei Kolonnen der albanischen Guerilla. Auch bei Tetovo, der überwiegend von Albanern bewohnten zweitgrößten Stadt des Landes, gab es Schießereien. Die Bilanz der Sicherheitskräfte: mehr als dreißig getötete Rebellen. Die Albaner dementierten dies: "Wir haben keinen Kratzer abbekommen", betonte ein Untergrundkämpfer. Die Angaben der Regierung seien Lüge. "Wir geben ihnen nicht die Gelegenheit, uns so hohe Verluste zuzufügen. Unsere Moral ist sehr hoch. Das Einzige, was uns fehlt, sind Panzer und Hubschrauber", sagte er.

Für die politische Zusammenarbeit von Slawo-Mazedoniern und Albanern sind solche Nachrichten Gift. Die Aufständischen haben unterdessen ihre Forderungen noch ausgeweitet: Sie wollen als Militärkraft der Albaner in Mazedonien legalisiert werden, um nach "internationalen Standards" zu arbeiten. "Die Bildung der neuen Regierung, die als Hauptziel eine Isolation der UCK hat, hilft einer Lösung des Problems nicht". erklärte der politische Führer der Rebellen, Ali Ahmeti. So könnten nicht die Bedingungen für einen offenen und ehrlichen Dialog geschaffen werden. Die Erklärung der politischen Parteien lassen bisher keinen Weg erkennen, der das Zusammenleben in Mazedonien mit einem großen politischen Sprung auf eine neue Grundlage stellen könnte. "Wird Mazedonien gerettet?" fragte die Tageszeitung Makedonija Denes am Wochenende und fügte in der Überschrift gleich hinzu: "Neue Regierung - na und?"

Mordende Kriminelle Sollte der Dialog scheitern oder sein Ergebnis von der einen wie der anderen Ethnie abgelehnt werden, dann steht die Existenz Mazedoniens auf dem Spiel. Die UCK würde politischen Aufwind erhalten, der sie letztlich militärisch stärkt, und die Regierung würde einen Ausweg nur im militärischen Niederkämpfen der Rebellen sehen. Denn Verhandlungen mit einer "Bande mordender Krimineller", wie NATO-Generalsekretär Robertson die albanischen Guerrillas bezeichnet hat, werden sowohl von der Regierung in Skopje wie von ihren europäischen und atlantischen Mentoren abgelehnt.

Verspricht aber eine rein militärische Auseinandersetzung mit der UCK einen Erfolg? Bisher hatte sie das Gesetz des Handelns in ihrer Hand, indem sie Ort und Zeit wählte, wo sie zuschlug und sich wieder zurückzog, wenn sie es für zweckmäßig hielt. Ihre Kämpfer können sowohl über die Grenze in den Kosovo und nach Südserbien verschwinden oder in den Bergdörfern untertauchen. Daran würde auch eine Zusammenarbeit der mazedonischen Armee mit den serbischen Streitkräften nichts ändern, wie sie die Armeeführung in Skopje schon vorgeschlagen und der serbische Regierungschef Zoran Djindji'c grundsätzlich akzeptiert hat. Vielmehr würde sie, eingedenk der Erfahrungen der Kosovo-Albaner mit den Serben, der UCK nur neue Kräfte zutreiben.

Die Bildung der Allparteienregierung ist nur ein erster Schritt. Folgt keine nationale Anstrengung zur Versöhnung beider Bevölkerungsgruppen, brennt die Lunte zu einem neuerlichen Pulverfass auf dem Balkan weiter.

Der Autor war langjähriger Südosteuropa-Korrespondent und ist derzeit freier Publizist.

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