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Geduld statt blutiger Rache

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Kosovo kommt in unseren Medien nicht mehr vor. In den (erfolglosen) Bosnien-Friedensverhandlungen der UN, EU, Kon-tak- und anderen internationalen Gruppen ist von Kosovos-Zukunft keine Rede mehr.

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Kosovo kommt in unseren Medien nicht mehr vor. In den (erfolglosen) Bosnien-Friedensverhandlungen der UN, EU, Kon-tak- und anderen internationalen Gruppen ist von Kosovos-Zukunft keine Rede mehr.

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Im Kosovo werden die Menschenrechtsverletzungen durch die Serben - von den nicht mehr existenten Bürgerrechten ganz zu schweigen - immer brutaler. Die innenpolitische Front der Albaner wird immer differenzierter, die Stimmung ist einerseits durch Ungeduld radika-lisiert, andererseits angesichts der alltäglichen Wirklichkeit immer mehr geprägt von Apathie der erschöpften Bevölkerung. In Serbien mehren sich jedoch die Stimmen einer außerparlamentarischen Opposition, die ein Ende des Konfliktes fordern. Daß sich darin eine antinationalistische Kritik an der großserbischen Aggressionspolitik eines Slobodan Milosevic und seiner bunten Schar von Anhängern -von christlich-sozialer bis hin zu monarchistischer Färbung - manifestiert, sollte auch im Ausland zur Kenntnis genommen werden.

Hatte es in den vergangenen Jahren immer wieder zaghafte Ansätze zu einem albanisch-serbischen Dialog von mutigen Einzelgängern gegeben, die prompt harsche Kritik aus ihren jeweiligen eigenen Reihen einstecken mußten, so mehren sich nun die Initiativen serbischer Intellektueller.

Bevor Milosevic die einigermaßen unabhängigen Medien, wie „Borba”, „Studio B” und „Badio 92” endgültig abwürgte, wurden prominente Koso-varen zu öffentlichen Diskussionen eingeladen, auch vom „Belgrader Kreis” der unabhängigen Intellektuellen, wobei es enormes Publikumsinteresse und sehr unorthodoxe Meinungen gab.

Internationalisierung des Problems

Jetzt ist nur mehr die Wochenzeitschrift „Vreme” vom politischen Einfluß der Machthaber frei geblieben -die Redaktion lud Ende März zu einem serbisch-albanischen Dialog ein. Die Teilnehmer waren prominente Politiker, Diplomaten und Journalisten. Interessant waren vor allem die Diskussionsbeiträge der Serben.

So gut wie einstimmig war die Meinung, daß nur eine Internationalisierung des Problems zu einer friedlichen Lösung führen könnte. Das entspricht dem Konzept der kosovo-alba-nischen politischen Führung unter Ibrahim Rugova, und es widerspricht radikal dem offiziellen serbischen Standpunkt: „Kosovo ist eine innerserbische Angelegenheit.” Einstimmigkeit herrschte auch in der Verurteilung der serbischen Unterdrückungsmethoden gegenüber der albanischen Bevölkerung und darin, daß das „heutige” Serbien nicht in der l^age sein würde, zur Lösung beizutragen, sondern nur ein „demokratischeres”, ein anderes Serbien. Auch das sollten politische Kreise im Westen zur Kenntnis nehmen.

Kein I^nd habe in der heutigen „realen Welt” mehr seine „inneren Angelegenheiten”, hieß es unter anderem, es seien neue allgemeingültige Normen geschaffen worden, denen auch „wir uns anpassen müssen”, denn es könnte nicht erwartet werden, daß sich die Welt „nach uns” richten würde. Es sei leichter, wo auch immer im ehemaligen Jugoslawien, sich trotz des furchtbaren Krieges ein künftiges Zusammenleben vorzustellen, als eine friedliche und demokra-

tische Reintegration des Kosovo in Serbien.

Die wenigen albanischen Teilnehmer an diesem Runden Tisch hatten wenig Originelles beizutragen. Ihre Position ist logischerweise nicht zu trennen von der täglichen Erfahrung des serbischen Terrors. Sie müssen geradezu auf Unabhängigkeit von Serbien bestehen - auch wenn die vernünftigen unter ihnen das wissen, was heute auch von vernünftigen Serben ausgesprochen wird: Wir müssen miteinander leben.

Seit 1989 hatten die offiziellen Vertreter des Kosovo wiederholt ihre Bereitschaft zum Dialog mit offiziellen Serben erklärt, in den letzten Jahren

mit dem Zusatz: „Nur in Anwesenheit von Vertretern der internationalen Gemeinschaften”. Und stets kam die zynische serbische Antwort: „Natürlich sind auch wir zu jedem Dialog bereit - aber nicht über Kosovo. Darüber gibt es nichts zu diskutieren, Kosovo war immer serbisch und ward es immer bleiben.”

Heute aber stellt sich die Frage: Wann und wie wird sich die internationale Seite dazu entschließen, den lebensnotwendigen albanisch-serbischen Dialog möglich zu machen? Wenn Milosevic als „Friedensstifter” aus den Wirren des Bosnien- und Kroatienkrieges hervorgegangen ist und auf Belohnung vielfacher Art

hoffen kann? Oder zu einem Zeitpunkt, wenn Milosevic in Schwierigkeiten innerhalb seines eigenen Landes ist, wie in diesem Augenblick? Die Kriegs- und Nationalismusgegner in Serbien sind lauter geworden — aber auch diejenigen Badikalisten, die es Milosevic vorwerfen, daß er Karadzic fallen läßt, daß er damit Groß-Serbi-en verrät und noch immer keine End-lösung im Kosovo herbeigeführt hat. Die Geduld und die Selbstdisziplin der albanischen Bevölkerung im Kosovo hat bisher die große und blutige Abrechnung mit den serbischen Okkupanten verhindert. Aber wie lange noch wird der Westen solche Opfer von den Kosovaren verlangen?

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