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„Das Volk des Himmels”

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Die Serben gewinnen ihre Kriege, verlieren aber immer wieder den Frieden”, schrieb Dob-rica Cosic, heute Serbiens populärster Schriftsteller und lange Zeit enger Mitarbeiter von Slobodan Milosevic. Das erträumte Großserbien ist nicht erreicht worden: Die Krajina, ihr altes Siedlungsgebiet, haben die Serben nach der kroatischen Rückeroberung verloren, die serbische Republik von Pale wird den Anschluß an das serbische Mutterland schon wegen der internationalen Bedingungen derzeit kaum erlangen können. Zudem ist Serbien wirtschaftlich völlig am Boden. „Die Serben sind am Ende des 20. Jahrhunderts an dessen Anfang, das heißt in die Zeit der Balkankriege, zurückgeworfen worden”, schreibt der Balkan-Experte Wolfgang Libal in seinem neuen, objektiv, flüssig und über weite Passagen geradezu spannend geschriebenen Buch.

Die Schlacht auf dem Amselfelde von 1389 beherrscht seit über 600 Jah -ren das Denken und Hoffen der Serben. Damals unterlag das „Volk des I Iimmels”, wie es sich seither gern bezeichnen läßt, den Türken. Die von unrichtigen und verschönten Darstellungen verbrämte Erinnerung daran wird jedoch als ein Opfergang gesehen, dem die Auferstehung folgen muß. „Die Legende ist in Serbien glaubwürdiger als die Tatsachen”, bestätigt ein Schriftsteller unserer Tage.

Der bosnische Krieg wurde seit April 1992 von Belgrad vorbereitet, mit Hilfe der Armee. Unter Tito waren die Bosnier zu einer „Nation” erklärt und das Land war zu einer der sechs Teilrepubliken gemacht worden. Doch in den Augen der Serben sind die Bewohner des Landes nur is-lamisierte Slawen.

Slobodan Milosevic, der den Krieg und die „ethnische Säuberung” ausgelöst hat, wird von Kennern der Szene und von seinen Mitarbeitern als kühler Machtmensch und bedenkenloser Politiker geschildert. Er bediente sich des aus den USA heimgekehrten und kurze Zeit zum Ministerpräsidenten gemachten Milan Panic, solange ihm dieser nützlich erschien. Er veranlaßte auch den Sturz jenes Dob-rica Cosic, den er zuvor zum Präsidenten der aus Serbien und Montenegro gebildeten neuen „Bundesrepublik Jugoslawien” gemacht hatte.

Daß keineswegs alle Ziele des groß-serbischen Traumes erreicht werden konnten, wirft Belgrad in der Propaganda den USA und vor allem auch Deutschland, Österreich und Italien vor. Von einer Vergangenheitsbewältigung, von einer Selbstprüfung sind zumindest die Machthaber in Belgrad noch nicht durchdrungen. Auch ist nicht zu vergessen, daß ihnen ein großer Teil der serbischen Intelligenz, der Studenten, wohl auch der Landbevölkerung im nationalistischen Vorgehen durchaus gefolgt ist. Von den Bewohnern der Pale-Bepublik in Bosnien ganz zu schweigen.

Der Autor des neuen Buches ist als Journalist rund dreißig Jahre lang Beobachter der südosteuropäischen Szene gewesen, davon jahrelang in Belgrad. Er geht auf die geschichtlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge dieses vitalen Volkes ein, dessen Vorzüge und Begabungen ebenso ausgeprägt sind wie seine befremdenden Eigenschaften, wie er sagt. Das Buch ist stets fair, stellenweise sogar fast anerkennend geschrieben.

Dobrica Cosic forderte 1989, daß die Bepublik Jugoslawien ein Staat freier Bürger sein müsse, ein Bechts-staat, in dem alle menschlich-individuellen Werte über die nationale Zugehörigkeit zu stellen seien. Ob das in dem auf Serbien und Montenegro reduzierten Beststaat möglich und erreichbar sein wird, bleibt abzuwarten.

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