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Qual der Wahl - und das Chaos

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„Nichts wird sich ändern, alles könnte sich ändern", prophezeit das Belgrader Wochenblatt „Vreme" (Zeit). Genauer und dabei unpräziser könnten die Erwartungen vor den Wahlen in Serbien am 20. Dezember nicht beschrieben werden.

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„Nichts wird sich ändern, alles könnte sich ändern", prophezeit das Belgrader Wochenblatt „Vreme" (Zeit). Genauer und dabei unpräziser könnten die Erwartungen vor den Wahlen in Serbien am 20. Dezember nicht beschrieben werden.

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Vor und in dieser Wahl stehen einander als Gegner gegenüber: Der Milosevic-Block und ein Sammelsurium von untereinander zerstrittenen, rivalisierenden, sich an programmloser Konfusion überbietende Parteien, die monarchistische, demokratische, christlich-demokratische, auch sozialdemokratische Strömungen repräsentieren.

„Wenn die herrschende Partei, die gewiß kein Risiko eingeht, das ihre Macht schmälern könnte, vor dieser Wahl Angst hätte, dann hätte sie nicht auf ihr bestanden", sinniert ein Kommentator der zweiten Belgrader Wochenzeitung „NIN", „einen beträchtlichen Teil dieser Macht verdankt sie ja den Wirrnissen in den Reihen der Opposition."

Wirrnisse allerdings gibt es, wohin auch immer der Beobachter dieses „Wahlkampfes" schaut. Erstens hat der eigentliche Wahlkampf noch nicht richtig beginnen können, weil erst in den letzten Tagen die Namen der Kandidaten - in neun Wahlkreisen bewerben sich mindestens zwölf Parteien - bekannt wurden.

Zweitens konnten sich die Oppositionsparteien lange nicht, und dann doch auf eine gemeinsame, oder zumindest teilweise Plattform einigen. Drittens waren auch bis zuletzt gewisse Themen der Wahl nicht restlos geklärt. Zum Beispiel: Würde sich Dobrica Cosic, der Bundespräsident der neuen Föderation Serbien-Montenegro, als Kandidat für die Präsidentschaft Serbiens aufstellen lassen? Das würde bedeuten, daß er der Herausforderer von Slobodan Milosevic, dem allmächtigen und derzeitigen Präsidenten Serbiens, wäre. Diesen Vorschlag einer Koalition von Oppositionsparteien lehnte Cosic ab, mit der Begründung, er wolle Präsident des neuen Bundes bleiben. Für diesen Posten ist er auf vier Jahre gewählt. Eine andere Frage, die diskutiert wurde: Soll es überhaupt Republikspräsidenten geben, wenn ja, wer wählt sie? Zur Zeit gilt, daß der Präsident Serbiens, also wiederum Slobodan Milosevic, vom Volk direkt gewählt wird. In Montenegro hingegen wird das neu zu wählende Parlament diese Aufgabe haben.

Als Gegenkandidat zu Milosevic in Serbien gelang es in letzter Minute den jetzigen Ministerpräsidenten der Bundesregierung, Milan Panic aufzustellen, den Mirakelmann aus den USA. Parteiunabhängige Kreise der Belgrader Studentenschaft konnten in Windeseile 10.000 Unterschriften für diese Kandidatur sammeln und gerade noch rechtzeitig einreichen. Panic, der Mann ohne politische Rückendeckung, ist wohl nicht direkt eine „Hoffnung" für die Opposition gegen Milosevic und seine Regierung, sondern eher symbolisiert er den letzten Strohhalm, an den sich diejenigen klammern, die wissen, daß Serbien am Rande der totalen Isolation steht.

Besonders eigenartig in diesem ungewöhnlichen Wahlkampf aber ist die Rolle von Dobrica Cosic, dem berühmten und volkstümlichen Schriftsteller, der schon zu Titos Zeiten als ZK-Mitglied Macht besaß. Er wird allgemein als der geistige Vater der Politik von Slobodan Milosevic bezeichnet, noch bevor dieser sich an die Spitze Serbiens katapultierte, hatte Cosic im Rahmen der Akademie der Wissenschaften in Serbien, einen radikalen und aggressiven Nationalismus artikuliert, den Milosevic skrupellos in die Tat umsetzte. Cosic ist außerdem der „Erfinder" des Milan Panic.

Milosevic kannte den patriotischen Emigranten schon, er hatte ihm geholfen, die pharmazeutische Firma „Galenika" sehr, sehr preiswert zu erwerben, zum Nutzen aller Beteiligten. Was zuerst ein gemeinsamer Plan zu dritt sein sollte, entwickelte sich jedoch bald zu einem Duett Panic-Cosie gegenüber Milosevic - heute gibt es kaum mehr irgendeine Gemeinsamkeit zwischen diesen ungleichen Partnern. Das geht mit besonderer und erstaunlicher Offenheit aus einem Interview hervor, das der schwer erkrankte Dobrica Cosic vorige Woche der Belgrader Tageszeitung „Politika" gewährte.

„Wenn in die neuen Parlamente nicht neue, fähige Menschen einziehen, die imstande sind, radikale, demokratische Reformen durchzuführen, werde ich als Präsident zurücktreten", lautet einer der Kernsätze. Dann weist er darauf hin, daß Republikspräsidenten (also auch Slobodan Milosevic) unnötig sind, denn kein Staat in der Welt habe mehr als einen Präsidenten. Zusammenarbeit mit Milosevic, so liest der verdutzte serbische Leser, sei für ihn, Cosic, nicht möglich. Zu weit seien ihre Vorstellungen von politischem Verhalten, vom Umgang mit dem Ausland, von der Einschätzung der Lage Serbiens heute und morgen auseinander. Zu Milan Panic sagt sein Erfinder, er sei zwar ein ehrlicher und fähiger Mann mit den besten Absichten, auch hätte er das Maximale erreicht unter den gegebenen Umständen, aber nicht die lebensnotwendige Aufhebung der Sanktionen -außerdem verwechsle er in seinen politischen Methoden ein geschäftliches Unternehmen und einen Staat. Äußerungen, die nicht als Wahlempfehlung für den Kandidaten Panic wirken dürften. Cosic wünscht sich, daß das künftige politische Leben in Serbien geprägt werde von dem Engagement parteiunabhängiger Bürger, die sich für eine „politische, wirtschaftliche und kulturelle Erneuerung Serbiens" und für ein „rationaleres Bewußtsein des Volkes" einsetzen würden.

Fast klingen solche Worte aus dem Mund von Dobrica Cosic wie ein Testament, mit dem er seine eigenen realen politischen Möglichkeiten preisgibt und gleichzeitig der Wählerschaft einen Spiegel ihrer Realität vorhält. Vielleicht hofft er, damit eine Wende herbeiführen zu können angesichts des eigenartigen Zustandes, daß niemand heute vor den Wahlen in Serbien glaubt, daß Milosevic gestürzt werden könnte, obwohl viele bereits wissen, daß er den Krieg Serbiens verloren hat.

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