Montenegro: die Wahl vor der Wahl

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Bereits die Mehrheit im Land wünscht ein unabhängiges Montenegro. Allein die Angst vor einem gewaltsamen Eingriff Serbiens lässt noch zögern.

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Bereits die Mehrheit im Land wünscht ein unabhängiges Montenegro. Allein die Angst vor einem gewaltsamen Eingriff Serbiens lässt noch zögern.

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Schon bald könnte auch Restjugoslawien (Serbien und Montenegro) zerfallen, das 1991 aus den Trümmern Tito-Jugoslawiens hervorging. Wenn nach den Sommerferien der Termin für die Wahl zum förderalen Parlament festgelegt werden wird, ist für das prowestliche Regime Djukanovic's der Tag der Entscheidung: Denn welchen Sinn machte es noch, an Bundeswahlen teilzunehmen, wenn man doch vorhat, die Föderation zu verlassen?

Montenegro hat nur vor der Wahl die Wahl zwischen Unabhängigkeit oder Unterwerfung. Milo Djukanovic' muss angesichts der zerstrittenen und hilflosen Opposition in Serbien damit rechnen, dass das Milosevic'-Regime auch nach dem nächsten Wahlgang an der Macht bleiben wird. Der Traum vom eigenen Staat wäre wohl für längere Zeit ausgeträumt, würde er die jetzige Chance verpassen. In einem Interview mit dem Magazin "Nin" erklärte Djukanovic': Eine Teilnahme bei den Herbstwahlen wäre "unter den gegebenen Umständen politisch naiv und verantwortungslos".

Seit zwei Jahren setzt Djukanovic' eindeutige Schritte in Richtung Unabhängigkeit; aber erst jetzt glaubt er, eine Mehrheit dafür hinter sich zu haben. Laut Umfragen sei die Zahl der "Los-von-Belgrad"-Anhänger, innerhalb von zwei Jahren von 12 auf bis zu 40 Prozent gestiegen, rund 25 Prozent wären lediglich für eine lose Verbindung mit Serbien, sagte er in dem gleichen Interview. Montenegros Mehrheit stehe daher der Unabhängigkeit näher als dem Verbleib im Bundesstaat.

Praktisch hat Djukanovic' seine Zwergrepublik vom Bundesstaat schon losgelöst. Er betreibt eine eigene Wirtschafts- und Außenpolitik und bittet den Westen um Hilfe, weil Belgrad auf seine Vorschläge für eine Verfassungsreform nicht einmal geantwortet hat. Vorigen November hat er die deutsche Mark als Hauptwährung eingeführt, um Montenegro vom inflationären Dinar abzukoppeln. Vor wenigen Tagen ließ der einstige Milosevic'-Günstling die UNO wissen, dass Montenegro nicht mehr von Belgrader Diplomaten vertreten werden wolle, weil sie ein "autokratisches und destruktives Regime" vertreten.

Kommt der Umsturz?

Eine offene Provokation ist für Milosevic' die Zusammenarbeit mit dem Haager UN-Tribunal, führt doch er die Kriegsverbrecherliste an. Dessen Chefanklägerin, die Schweizer Juristin Carla del Ponte, hatte Djukanovic' in Podgorica trotz Sperrfeuer aus Belgrad empfangen. Und jüngst söhnte er sich mit dem einstigen Todfeind Kroatien aus (siehe den Beitrag unten).

Nur ein von Belgrad gewaltsam herbeigeführter Umsturz und die Installierung eines Marionettenregimes könnte den Unabhängigkeitsprozess noch stoppen. Bisher feuert das Zentralregime nur aus allen Propagandakanonen. Djukanovic' wird offen als Hochverräter gebrandmarkt, weil er Montenegro dem Todfeind Nato ausliefere. Seit Monaten bestraft man deshalb den kleinen, unbotmässigen Bruder mit einer Wirtschaftsblockade, die Kontrollen an der föderalen Grenze ähneln schon jenen zwischen unabhängigen Nachbarstaaten. Allerdings schreckt bislang selbst Milosevic' vor der Gefahr eines Bruderkriegs zwischen der regimetreuen Armee und der Djukanovic' ergebenen Polizei zurück.

Der Westen hat der Bergrepublik an der Südadria, die sich vorwiegend mit Schmuggel- und Schwarzmarktgeschäften über Wasser hält, Beistand zugesichert. Aber die Staats- und Regierungschefs namentlich der EU wollen nicht für den Zerfall Restjugoslawiens verantwortlich gemacht werden. Lieber wäre es ihnen, wenn Montenegro im Bundesstaat verbliebe - als Speerspitze einer demokratischen Bewegung gegen das Milosevic'-Regime. Aber dies bleibt Wunschdenken, solange die Oppositon in Serbien selbst nicht auf die Beine kommt.

Der Autor ist Korrespondent für Ost- und Südosteuropa.

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