Im Land der Barrikaden

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Die ungelösten Konflikte im Kosovo verdunkeln Serbiens EU-Perspektive. Doch auch die EU hat in ihrem Verhältnis zu Belgrad Fehler gemacht.

"EU und Kosovo“, lautete noch bis vor wenigen Wochen das Schlagwort prowestlicher Politiker in Belgrad. Nun könnte Serbien vorläufig ohne weitere EU-Annäherung und ohne Kosovo dastehen. Grund dafür ist die Krise im Nordkosovo, die weit davon entfernt ist, bereinigt zu sein. Daher konnten sich die EU-Außenminister bei ihrem Treffen am Montag nicht darüber einigen, ob Serbien nun der Status eines Beitrittskandidaten zu gewähren sei oder nicht. Vor allem Deutschland war dagegen, Österreich trat für einen Kandidatenstatus "auf Probe“ (Außenminister Michael Spindelegger) ein, fand mit dieser Idee aber keinen Anklang. Entscheiden soll über diese Frage nun der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Ende der Woche. Angesichts der enormen Last der Probleme wird bei diesem Treffen Serbien wohl nur ein Randthema sein, ein Umstand, der Belgrads Chancen nicht unbedingt erhöhen dürfte. Doch an dem Dilemma im Kosovo ist nicht nur die serbische Seite alleine Schuld. Genährt könnte die serbischen Illusionen der Umstand haben, dass die EU-Mitglieder gegenüber dem Kosovo-Problem schon vor dem Montag keine einheitliche Linie gefunden haben. Fünf EU-Staaten (Spanien, Rumänien, Griechenland, die Slowakei und Zypern) erkennen die Unabhängigkeit des Kosovo bisher nicht an, und das machte es Belgrad natürlich nicht gerade leichter, päpstlicher zu sein als der Papst.

Eine Anerkennung des Verlusts der Provinz hat der Westen Serbien noch dadurch weiter erschwert, dass die NATO um den Kosovo nie offiziell Krieg geführt hat ("humanitäre Intervention“) und nach der Niederlage Belgrads im Sommer 1999 und dem Abzug von serbischer Polizei und jugoslawischen Streitkräften statt einer Kapitulation eine militärtechnische Vereinbarung (Kumanovo) und die UNO-Resolution 1244 verabschiedet wurden.

Miloˇsevi´c konnte seiner Bevölkerung, die nun eine prowestliche Regierung eines sich demokratisierenden Serbien anerkennen sollte, somit einreden, gesiegt zu haben, denn Territorien gehen in der Regel nur nach Kriegen und Kapitulationen verloren.

Historische Brüche

Hinzu kommt, dass Vorurteile zwischen Serben und Albanern enorm stark sind, die Geschichte des Konflikts weit hinter Slobodan Miloˇsevi´c zurückreicht und auf serbischer Seiten kein Bewusstsein dafür besteht, welche Verbrechen in serbischem Namen vor und im Kosovo-Krieg begangen wurden. Die albanische Seite hat es dagegen verabsäumt, den Serben zu zeigen, dass sie tatsächlich gewollte Staatsbürger des Kosovo sind. Traumatisch wirken noch immer die massiven Ausschreitungen gegen die Volksgruppe aus dem Jahre 2004 nach, und auch der Vorwurf, nach dem NATO-Krieg im Jahre 1999 seien gefangene Serben als Organspender missbraucht und dann ermordetet worden, belastet das Klima.

Für serbische (Regierungs-) Politiker war es somit innenpolitisch weit sicherer, die Illusion zu nähren, der Kosovo sei haltbar, als bittere Wahrheiten zu verkünden, die Provinz sei verloren, und eine Anerkennung werde den Weg Richtung EU beschleunigen. Um diesen Weg nicht zu gefährden, stimmte Belgrad auf Druck aus Brüssel einem Dialog über technische Fragen mit der Regierung in Priˇstina zu.

Dabei ging und geht es um die Teilnahme des Kosovo an internationalen und regionalen Konferenzen, die Anerkennung von Universitätsdiplomen, Reiseerleichterungen, die Rückgabe von Katasterbüchern, den Warenverkehr und Grenzregelungen. All diese Themen berühren natürlich die Staatlichkeit des Kosovo, die Belgrad nicht anerkennen kann und will. Geführt wurde der Kampf unter Präsident Boris Tadi´c aber nicht mehr um den ganzen Kosovo, sondern nur mehr um den serbisch dominierten Nordteil der Provinz mit seinen vier serbischen Gemeinden.

Dieser Kampf erlitt im Frühsommer einen massiven Rückschlag, als Priˇstina albanische Zöllner und Grenzpolizisten an den beiden Grenzübergängen (Brnjak und Jarinje) im Norden zu Serbien stationierte. Belgrad protestierte scharf und die Kosovo-Serben im Norden errichteten Straßenblockaden, und fackelten einen Grenzübergang ab. Ende November erreichten dann die Zusammenstöße zwischen den Serben und der Friedenstruppe KFOR an den Barrikaden bei Zubin Potok eine neue Eskalationsstufe. Zum ersten Mal wurden KFOR-Soldaten gezielt beschossen und auch mit Sprengfallen angegriffen. Es gab 21 verletzte Soldaten. Zwei Deutsche wurden durch Schüsse am Arm und am Bein und ein österreichischer KFOR-Soldaten durch Splitter im Brustbereich verletzt. Das Katz-und-Maus-Spiel um die Zugangswege zu den beiden Grenzübergängen zu Serbien durch das Errichten, Räumen und Wiedererrichten von Barrikaden droht somit völlig außer Kontrolle zu geraten. Aktiv sind dabei auf serbischer Seite keineswegs nur Hooligans und Söldner, die von der lokalen organisierten Kriminalität finanziert werden, der jede Form von Ordnung ein Dorn im Auge ist.

Vielmehr ist es für die Kosovo-Serben im Norden unvorstellbar unter albanischer Hoheit, von Priˇstina aus regiert, zu leben. Dabei rächt sich nun, dass der Norden von der internationalen Gemeinschaft viel zu lang als rechtlose Zone akzeptiert wurde. So inakzeptabel die Übergriffe auf KFOR-Soldaten auch sein mögen, so muss doch klar sein, dass die Serben wohl nicht ganz zu Unrecht fragen, warum sie das einzige Volk sind, dem das Selbstbestimmungsrecht beim Zerfall Jugoslawiens nicht gewährt wurde.

Druck aus Belgrad

Den Kosovo-Serben im Norden bedeutet jedenfalls die EU-Perspektive nichts, und drei der vier Gemeinden im Norden sind politisch in der Hand von nationalistischen Parteien, die in Belgrad in der Opposition sind, und der Regierung unter Präsident Boris Tadi´c keinen Erfolg gönnen: Belgrads einziger wirklicher Hebel ist das Geld und das Wissen der lokalen Serben, dass sie auf die Schutzmacht Belgrad angewiesen sind. Der Druck aus Belgrad dürfte jedenfalls gewirkt haben, denn wenigstens bei Zubin Potok begann die Räumung der Straßensperren, wobei lokale Serben und die KFOR zusammenarbeiteten. Zuvor hatten Belgrad und Priˇstina beim technischen Dialog in Brüssel eine Einigung über ein Grenzregime erzielt. All diese Schritte kommen sehr spät, vielleicht zu spät, um beim kommenden EU-Gipfel noch den Kandidatenstatus zu retten. Serbien hat jedenfalls bei Deutschland (und Österreich) viel an Vertrauen und Wohlwollen verspielt, das das Land durch dem Abschluss der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal gewonnen hatte. Die Rechnung dafür und für seine jahrelange Schaukelpolitik zwischen EU und Kosovo könnte Boris Tadi´c zahlen müssen.

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