Vom Limbo-Tanzen müde

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Die Unsicherheit in der Statusfrage hat die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung im Kosovo gebremst. 2006 soll deswegen eine Lösung für die Unabhängigkeitsstreitereien gefunden und das Kosovo zu einem "positiven Frieden" geführt werden.

Die Lunte zwischen Den Haag und dem Kosovo war am Mittwoch vergangener Woche gelegt; eine Zündung durch das un-Kriegsverbrechertribunal und darauf folgende Explosionen in PrisÇtina oder Mitrovica schien nur mehr eine Frage der Zeit. Doch mit zwei Freisprüchen und einer Verurteilung von drei ehemaligen Kämpfern der kosvovarischen Befreiungsarmee uck blieb der erwartete Funke aus und der Deckel auf dem Pulverfass. Glück gehabt - diesmal.

UNMIK hat dazugelernt

Die Anweisung für un-Personal, sich in diesen Tagen nicht auf den Straßen der Hauptstadt zu zeigen, sowie verstärkte Polizeiaufgebote in den von Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben bewohnten Gebieten zeigt aber auch, dass die Vertreter der internationalen Staatengemeinschaft (unmik) im Kosovo dazugelernt haben und das nach wie vor hohe Risiko für eine Eskalation der Gewalt heute besser einschätzen als noch im Frühjahr letzten Jahres. 50.000 Kosovo-Albaner beteiligten sich an den Gewaltexzessen im März 2004, 19 Menschen kamen zu Tode, 700 Häuser von Serben und 36 orthodoxe Klöster wurden niedergebrannt. Mit einem Schlag seien damit die mühsam erreichten kleinen Fortschritte der letzten fünf Jahre bei der Flüchtlingsrückkehr zunichte gemacht worden, schreiben Helmut Kramer und Vedran DzÇihic´ in ihrer Analyse "Die Kosovo Bilanz". Besonders bitter, so die Wiener Politikwissenschafter, ist für die Sicherheitseinheiten kfor und unmik "das weitgehende Versagen der aufwändig aufgebauten militärischen und polizeilichen Sicherheitsstrukturen bei der Verhinderung und Eindämmung der Gewaltakte gegen die Minderheiten" gewesen. Die Bilanz von Kramer und DzÇihic´, die in ihrem Buch allen relevanten Entwicklungen im Kosovo seit Ende des Krieges im Juni 1999 nachgehen, wird im Gespräch mit der Furche auf ein Wort zusammengefasst: "Halbscheitern."

Ganzes "Halbscheitern"

Umfang, Struktur und Seriosität der un-Mission im Kosovo sind für Kramer/DzÇihic´ "in vieler Hinsicht einzigartig" und die Kosovo-Mission übertrifft durch ihre "substanziell neue Qualität" bisherige un-Unternehmungen in Afghanistan, Haiti oder anderswo bei weitem: "Die unmik ist der erste systematische Versuch in der Geschichte der uno, den Prozess der Friedenskonsolidierung und der Rekonstruktion einer Gesellschaft zu einem Prozess des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Aufbaus eines neuen Gemeinswesens auszuweiten."

Ohne Standards kein Status

Die Vereinten Nationen haben das Mandat und bisher auch "fast unbeschränkte Mittel", die Bedingungen für eine substanzielle Autonomie des Volkes des Kosovo zu schaffen". Und daran machen Kramer/DzÇihic´ das "Halbscheitern" der Kosovo-Mission fest: "Trotzdem ist in den letzten sechs Jahren sehr wenig weitergegangen."

Ein entscheidender Grund für die Stagnation der demokratiepolitischen und für den Rückgang der wirtschaftlichen Entwicklung im Kosovo sehen nicht nur Kramer/DzÇihic´ in der 2002 von der Staatengemeinschaft dekretierten Formel: "Standards vor Status" - damit wurde der Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen, Minderheitenrechte, Rückkehr der Flüchtlinge, Dialog mit Belgrad vor etwaige Verhandlungen zur Statusfrage gestellt. Für die Kosovo-Albaner ist aber die Unabhängigkeit des Kosovo das oberste politische Ziel und die Ungewissheit über den künftigen Status hat sich "immer mehr zu einem Hindernis im Normalisierungsprozess entwickelt". Bei seinem Amtsantritt im Sommer letzten Jahres hat der bislang effizienteste Spezielle Beauftragte des un-Generalsekretärs für den Kosovo, Soren Jessen-Petersen, deswegen die neue Losung ausgegeben: "Standards und Status" - denn "ich denke", so Jessen-Petersen, "es gibt Grenzen dafür, wie lange man eine Region im Limbo lassen darf". Limbo ist der akrobatische Tanz, bei dem sich die Tänzer rückwärts beugen und mit schiebenden Tanzschritten unter einer Querstange hindurchbewegen. Nach jedem gelungen Durchgang wird die Stange niedriger gestellt.

Einmalige Chance in 2006

Der Vergleich zwischen dem Limbo-Tanz und dem Kosovo hatscht zwar ein bisschen, nichtsdestotrotz ist er zum gängigen Motiv in der Kosovo-Diskussion geworden. Auch Albert Rohan, vormaliger Generalsekretär im österreichischen Außenministerium und kürzlich ernannter stellvertretender un-Chefverhandler für das Kosovo, greift bei einer Pressekonferenz im Wiener Presseclub Concordia auf dieses Bild zurück: "Kosovos Limbo-Zustand wird zum Faktor der Instabilität für die ganze Region." 2006 ist das "Jahr des Balkans", sagt Rohan, eine "neue Dynamik hat eingesetzt", es biete sich "die einmalige Chance, den Balkan mit soft power zu stabilisieren". Und dieses Mal, spielt Rohan auf das Krisenmanagement der Europäischen Union während der Balkankriege an, "dürfen wir nicht versagen".

Keine Halbherzigkeiten

Weg mit den Halbherzigkeiten und weiteres Engagement der Staatengemeinschaft und der eu für den Kosovo fordern auch Kramer/DzÇihic´: Bislang habe man sich zu sehr auf die "institutionelle Dynamik" verlassen, beklagen die beiden. Doch es reiche nicht aus, formal Wahlen abzuhalten oder Richter zu ernennen und dann überhastet die Kompetenzen an die Kosovaren abzugeben und sich aus dem Staub zu machen. Was jetzt not tue, so das Autorenduo, ist vielmehr die Bereitschaft zu einem langfristigen und seriösen Mitteleinsatz - "damit die letzte Phase der Kriegsperiode am Balkan mit einem positiven Frieden abgeschlossen werden kann".

Buchtipp:

DIE KOSOVO BILANZ

Scheitert die internationale

Gemeinschaft?

Von Helmut Kramer und Vedran DzÇihic´ LIT Verlag, Wien 2005

274 Seiten, brosch., e 18,90

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