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Der Präsident aus dem Pulverfaß

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Die fehlende Solidarität der internationalen Gemeinschaft und die verstärkte serbische Repression machten es den Albanern im Kosovo immer schwerer, ihren friedlichen Widerstand gegen Belgrad fortzusetzen. Eine Eskalation des Konfliktes hätte ein „ungeheures Gemetzel" zur Folge. Das befürchtete Präsident Ibrahim Rugova auf einem vom Forum Schwarzenberg veranstalteten Vortragsabend in Wien.

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Die fehlende Solidarität der internationalen Gemeinschaft und die verstärkte serbische Repression machten es den Albanern im Kosovo immer schwerer, ihren friedlichen Widerstand gegen Belgrad fortzusetzen. Eine Eskalation des Konfliktes hätte ein „ungeheures Gemetzel" zur Folge. Das befürchtete Präsident Ibrahim Rugova auf einem vom Forum Schwarzenberg veranstalteten Vortragsabend in Wien.

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„Wir haben absolut keine Unter-stützung,wir haben nur unsere Solidarität." Selbst bei den Friedensgesprächen in Genf und London würden die Albaner nur als Beobachter akzeptiert, seien sie „nur eine Minderheit".

In seinem Vortrag ließ der von den Serben gefeuerte Professor für albanische Literatur keinen Zweifel an der Explosivität der Lage im Kosovo. Die serbische Repression habe heute ein für die Albaner unerträgliches Maß erreicht.

Tausende seien seit 1981 zu schweren Gefängnisstrafen verurteilt, Zehntausende mißhandelt und Hunderte ermordet oder zu Tode gefoltert worden. Es werde immer schwerer, den Weg des friedlichen, politischen Widerstandes weiterzugehen, der „die einzige Chance" für die Albaner sei, analysierte der Präsident.

Eine Revolte mit Mitteln der Gewalt würde das Pulverfaß Kosovo zur Explosion bringen und Staaten wie Albanien, Griechenland und Bulgarien in den Konflikt hineinziehen.Ein Balkankrieg, schlimmer als jetzt in Bosnien, wäre die Folge.

Rugova mit Außenminister Alois

In ruhigen Worten schilderte Rugova, der am 24. Mai dieses Jahres von der albanischen Bevölkerung mit großer Mehrheit zum Präsidenten der „Republik Kosovo", gewählt wurde, die Exzesse in seinem Land.

Das Bildungs- und Gesundheitssystem im Kosovo hätten die Serben ebenso zerstört wie das Kultur- und Wirtschaftsleben. Mehr als 100.000 Albaner seien von ihren Arbeitsplätzen vertrieben, die Schulen und Universitäten der Albaner geschlossen worden. „Die Gewalt macht uns Albaner zu Flüchtlingen."

Auf die seit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo 1989 noch verstärkte Repression reagierten die Albaner mit der Schaffung demokratischer Strukturen: Ausrufung der Unabhängigkeit und Verabschiedung einer Verfassung im Parlament 1990; Referendum über die Neutralität des Kosovo 1991 und schließlich die von den Serben als illegal angesehenen Präsidenten- und Parlamentswahlen im Mai dieses Jahres, bei denen Rugovas „Demokratische Liga" (LDK) mehr als 80 Prozent der Stimmen erhielt.

Moderat und bar schriller nationalistischer Töne, wie sie sonst im ehemaligen Jugoslawien üblich geworden sind, klingen die Vorstellungen Rugovas zur Zukunft des Kosovo. Trotz der „immer schwieriger werdenden Situation" wollen die Albaner ein unabhängiges Kosovo in den international anerkannten Grenzen: neutral, entmilitarisiert und an der Marktwirtschaft orientiert. Sollte dieses Ziel unerreichbar sein, würden sich die Albaner des Kosovo „so schnell wie möglich" mit Albanien vereinigen. Nachsatz: „Wenn es nicht anders geht."

Status von Sklaven

Einer serbischen Minderheit im Kosovo will Rugova die vollen Bürgerrechte zuerkennen. „Wir wissen, was es heißt, Minderheit zu sein." Die Albaner hätten lange genug den „Status von Sklaven" erdulden müssen.

„Deshalb wollen wir die Serben anders behandeln", so der zurückhaltend wirkende Rugova. Er akzeptiere die Kultur und Lebensweise der Serben. Vielleicht ein Grund, (APA) warum Rugova noch nichts Schlimmeres passiert ist.

Sorgen bereitet dem 47jährigen Rugova der kommende Winter. Unter den internationalen Sanktionen gegen Serbien würden die mehr als zwei Millionen Einwohner des elftausend Quadratkilometer großen Kosovo besonders leiden.

„Wir bezahlen für Serbien", weil der Kosovo nach der Verfassungsänderung des Belgrader Parlaments als Teil Serbiens gelte. Die Albaner befürworten zwar die Sanktionen, brauchten aber jetzt die Hilfe der internationalen Gemeinschaft.Er wisse, so Präsident Rugova, es sei schwierig, jedem etwas zu geben. Aber: „Wir wollen nur eine Chance und die sollte man uns geben."

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