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Großes Volk mit kleiner Heimat

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Als einziges europäisches Land beteiligt sich Albanien nicht am KSZE-Pro- zeß. Die Situation der Albaner im Kosovo und ein historischer Anlaß - vor 600 Jahren wurden die Serben auf dem Amselfeld (Kosovo polje) von den Türken geschlagen - lenken die Aufmerksamkeit auch auf die Volksrepublik, die langsam ihre Fenster öffnet.

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Als einziges europäisches Land beteiligt sich Albanien nicht am KSZE-Pro- zeß. Die Situation der Albaner im Kosovo und ein historischer Anlaß - vor 600 Jahren wurden die Serben auf dem Amselfeld (Kosovo polje) von den Türken geschlagen - lenken die Aufmerksamkeit auch auf die Volksrepublik, die langsam ihre Fenster öffnet.

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Karl May hat wahrscheinlich nie Albaner in seinem Leben getroffen. Aber er wußte dennoch, was er von ihnen zu halten hatte. „Ein tapferes Kriegervolk, schwer zu besiegen, voller Stolz und Würde“, erklärt der Held im „Land der Skipetaren“.

Ein Abenteuerroman, den der „eiserne deutsche Kanzler“ Otto von Bismarck wohl nicht lesen wollte. Denn auf dem Berliner Kongreß 1878, auf dem die Grenzen der Balkanstaaten neu gezogen wurden, blieben die Interessen der Skipetaren unberücksichtigt.

Bismarck weigerte sich sogar hartnäckig, eine Delegation aus Prizren zu empfangen. „Eine albanische Nation, die existiert nicht“, soll er gesagt haben, „das sind doch alles Bergtürken.“

So fiel denn auch der Großteil des albanischen Siedlungsgebietes an das Königreich Serbien, und der Rest wurde dem osmanischen Reich zugeteilt.

Erst 1912 erfüllte sich der Traum vom ersten albanischen National-

Staat, ein „Rumpfstaat“, der nur ein kleines Siedlungsgebiet umfaßte.

Die heutige Situation: Ein Drittel nur, etwas mehr als drei Millionen Albaner, lebt in der Sozialistischen Volksrepublik Albanien, zwei Millionen im benachbarten Jugoslawien und über eine Million in der Türkei, in der sie sich nach außen hin als (Berg-) Türken bezeichnen, um sich der Repression zu entziehen und nicht wie die Kurden und Armenier verfolgt zu werden. Zehntausende Albaner leben in West- und Osteuropa und rund 1,5 Millionen in Ubersee.

Ein „großes“ Volk mit einem kleinen Vaterland — das schafft ein ungewöhnliches Nationalbewußtsein; verstärkt noch dadurch, daß das Regime in Tirana offen und hemmungslos Stalin als den größten Erbauer des Sozialismus hochleben läßt, wo anderswo dessen Terror Schritt für Schritt beim Namen genannt wird.

In Albanien werden keine Opfer des Stalinismus rehabilitiert, kaum Priester oder Muftis aus der Gefangenschaft entlassen. Die Herrschenden verkünden dagegen voller Stolz, den „ersten atheistischen Staat der Welt“ errichtet zu haben (siehe Kasten Seite 14).

Für kaum jemanden gilt das Land an der Adria daher als seine Heimat, auch nicht für die Kosovo-Albaner (siehe Seite 15) im benachbarten Jugoslawien, die über Unterdrückung und Not Klagelieder zu singen wissen.

So klammert man sich denn eben dort - in der Tür kei, in Ubersee, aber auch in Albanien selbst - an die Geschichte, an Skander-

beg und die unzähligen Auf stände gegen Konstantinopel und Rom.

Und vor allem klammert man sich an die Herkunft: Skipetaren sind die direkten Nachfahren der alten Illyrer, die tausend vor Christus als die Herren des Balkan galten, eine Hochkultur besaßen und anderen Völkern Fortschritt und Zivilisation nahebrachten. Zahlreiche ausländische Wissenschafter bestreiten zwar diese Theorie, da nicht einmal Legenden existieren, die über die Abstammung der Albaner vom Volke der Illyrer berichten. Aber je mehr sie im Ausland bestritten wurde, umso mehr klammern sich die Skipetaren daran.

Uber ihre heroische Geschichte lassen sie nichts kommen. 373 nach Christus bereits christianisiert, entwickelte sich ein relativ freies Gemeinwesen, das erst im Zuge der Völkerwanderung und des Vordringens der Slawen auf albanisches Siedlungsgebiet eingeschränkt wurde.

„ Bis zum 14. Jahrhundert fiel dann Albanien abwechselnd unter serbische, normannische oder venezianische Herrschaft. Doch dann sollten die Türken die gebirgigen Landstriche an der Adria auf mehr als 500 Jahre fest im Griff behalten — was blieb, waren Auf stände, „ruhmreich“ geführt, doch immer wieder gebrochen durch die überwältigende Macht des osmanischen Heeres.

Und dieser Einfluß ist bis heute spürbar. Zwar gibt es auch albanische Katholiken — man denke nur an Mutter Teresa, gebürtig aus Skopje — und griechisch-orthodoxe Albaner, doch die Mehrheit bekennt sich fast ausschließlich (außerhalb des Mutterlandes) zum islamischen Glauben — und der prägte ihre neuzeitliche Kultur.

Es entstand nie ansatzweise ei-

ne Bourgeoisie im französischen Sinne, von mitteleuropäischen Kulturströmungen blieb man verschont - dagegen prägten „balkanische“ Herrschaftsformen die Gesellschaft. Es sind selbst in neuester Zeit stets Großfamilien gewesen, sogenannte Gtehen, die die Politik bestimmten.

Enver Hodscha, der Staatsgründer des sozialistischen Albanien, ein Stalinverehrer der ersten Stunde, herrschte fast absolutistisch über seine Landsleute. Ramiz Alia, seit 1984 sein Nachfolger, soll dem um nichts nachstehen.

Mehr als zaghaft öffnet er sein Land, fürchtet sich dabei vor jeder Erneuerung und beschimpft Michail Gorbatschow als einen „Verräter an der sozialistischen Weltrevolution“. Diplomatische Beziehungen mit diesem Feind will man ebensowenig wie mit der Großmacht USA. Man will isoliert bleiben — und unverstanden.

Wovon die Albaner wirklich träumen, was sie denken, das werden sie uns wohl zu einem späteren Zeitpunkt verraten, wenn man auf den Spuren Karl Mays das Land der Skipetaren wirklich frei bereisen darf. Bisher läßt Tirana dies nicht zu, und Belgrad schockt jeden Touristen mit dem Ausnahmezustand im Kosovo.

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