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Isolationskurs oder „Drittes Zentrum“ ?

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Kann ein Volk von zweieinhalb Millionen Menschen, angesiedelt in einem der unwirtlichsten Gebiete Europas, belastet von jahrhundertelanger Besetzung durch Fremdmächte, bar jeder dem europäischen Standard vergleichbaren Infrastruktur, auf sich allein gestellt überleben?

Westliche Beobachter der wahrhaft undurchsichtigen politischen Szenerie Albaniens reduzieren ihre Überlegungen in Bezug auf die Zukunft des Zwergstaates an der Adria derzeit auf diese eine Frage. Denn Enver Hodscha - so scheint es auf den ersten Blick - hat durch seinen Bruch mit Peking offenbar alle Brücken zu seinem letzten Verbündeten verbrannt und verkünden lassen, Albanien werde sich durch die Vorgänge in Peking nicht in seinem Kurs, hin zum wahren Sozialismus, beirren lassen. Angriffe auf die „Vierer-Bande“ und die Rehabilitierung des „Revisionisten“ Teng Hsiao Ping lieferten für Hodscha den Beweis dafür, daß Chinas neuer Parteichef Hua endgültig vom Kurs Maos abgekommen ist und damit den Führungsanspruch als Zentralfigur des „wahren Marxismus“ verloren hat.

Die Rückberufung albanischer Studenten aus Peking und die Ausweisung der rund fünftausend chinesischen Berater, ist allerdings nur der vorläufige Höhepunkt eines Gärungsprozesses, dessen Wurzeln mehrere Jahre zurückliegen: Schon die These Tschu En Lais, der Feind des gemeinsamen Gegners Sowjetunion, also die USA, seien eigentlich als Partner in weltpolitischen Fragen zu betrachten, stieß in Tirana auf Widerspruch, Mißtrauen und Ablehnung. Gefühle, die durch Besuche Nixons und Kissingers in Peking weitere Nahrung fanden. Chinas Kritik am mangelnden Arbeitsfortschritt wichtiger albanischer Industrialisierungsprojekte schuf weiteres Unbehagen. Die Empfehlung Pekings, Albanien möge als europäischer Staat Kontakte zur EG pflegen, beantwortete Hodscha mit einer phantastischen Reparationsforderung an die Bundesrepublik Deutschland. Minister und Parteifunktionäre, die diese Linie zu kritisieren wagten, wurden vor Jahresfrist „gefeuert“. So kompromißlos ging es - auf Kosten des ohnedies bescheidenen Lebensstandards der Bevölkerung - weiter. Die Toleranzgrenze scheint noch weiter gezogen zu sein: Die Autarkiebestrebung führte zu einer grotesken Isolation des Landes.

Aber nur scheinbar, denn obwohl Albanien die Teünahme an der von Athen inszenierten Balkan-Konferenz ablehnte, verbesserte es auf bilateraler Basis in den letzten beiden Jahren seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Griechenland und Jugoslawien, in der Folge auch zur DDR, der Tschechoslowakei und Ungarn. Als Brücke zu Titos Staat dienen die 1,3 Millionen Albaner der autonomen Region Kosovo. An der Universität der Regionsmetropole Pristina lehren ständig etwa drei Dutzend Gast-Professoren aus Tirana. In diesem Zusammenhang muß man sich auch der Worte Enver Hodschas nach dem Einmarsch der Sowjet- Truppen in der CSSR im August 1968 erinnern, als er sinngemäß erklärte, im Falle einer sowjetischen Intervention gegen Jugoslawien werde Albanien die Partisanentradition und Waffenbrüderschaft aus dem Zweiten Weltkrieg wieder aufleben lassen.

Aber nicht nur bessere bilaterale Kontakte stärken gegenwärtig Hodschas Rücken, Sukkurs kommt auch aus Westeuropa, nämlich von den „Marxistisch-Leninistischen“ Splitterparteien, die man bisher unter der Bezeichnung „Maoisten“ kannte.

Bei einem mit wenig Publizität versehenen europäischen Kongreß dieser Parteien, der im Frühjahr in Rom stattfand - dem im Herbst angeblich ein „Weltkongreß“ in Tirana folgen soll - nahmen die meisten Redner mehr oder weniger direkt gegen die neue Pekinger Führungsgarnitur Stellung und hoben die Leistungen Hodschas in den Himmel. Man kann dies, zusammen mit der Abkehr von Peking, durchaus als ernstgemeinten Versuch werten, Tirana zu einem „dritten Zentrum“, vielleicht sogar zum „wahren Zentrum“ des Kommunismus erklären.

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