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Kein Wandel im Kommunismus

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Unter dem Titel „Wandel im Kommunismus?" ist als Band 114 in der Broschürenreihe Texte -f Thesen der Edition Interfrom 1979 in Zürich eine Sammlung von fünf Situationsberichten erschienen, die Beachtung verdient. Mit dem Kurztitel sind beobachtbare Veränderungen in der Sowjetunion, in ihrem Herrschaftsbereich und in China gemeint; die Überlegungen der Autoren zielen auch auf die Konsequenzen solcher Veränderungen für die Politik der übrigen Staaten, insbesondere innerhalb der westlichen Allianz.

Hans-Joachim Veen, Poütologe in Bonn, hat sich den Titel der Reihe sehr zu eigen gemacht und präsentiert seine nüchterne Einschätzung des „Euro"-Kommunismus in meist knapp gehaltenen Feststellungen: „Eurokommunismus - Auswirkungen in Westeuropa und Folgen für den Ostblock: 20 Thesen."

Veen legt zunächst wesentliche Einwände gegen die Eigenwerbung der „Euro"-Kommunisten dar. Die von den Medien seit Sommer 1979 suggerierte Geringschätzung der „Euro"-Kommunisten macht er nicht mit; er stellt sich deshalb aber nicht zu jenen, die auf ihre Wirkung im Machtbereich der KPdSU setzen, sondern verweist vielmehr auf die bedenkliche Bereitschaft gerade außerhalb der „Euro"-KP, auch außerhalb der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften, an sie positive Erwartungen zu knüpfen (aus der 8. These):

„Als .Bewegung von Ideen', wie Berlinguer ihn einmal umschrieb, hat der Eurokommunismus nachhaltige Wirkung in den Köpfen entfaltet, ein Effekt, der sich inzwischen sogar jenseits der realen Gestalt eurokommunistischer Parteien zu einer mehr oder minder konkreten Utopie verselbständigt hat. Folglich ist heute davon auszugehen, daß im politischen Denken weiter Bevölkerungsschichten der Eurokommunismus, sicherlich unreflektiert und diffus, relativ positiv assoziiert wird ..."

Ein geraffter Uberblick über die Sowjetunion und ihren Hegemonial-und Einflußbereich war Boris Meissners Intention. Er vermittelt sozusagen in Stichworten die Hauptprobleme der sowjetischen Innen- und Außenpolitik seit Chruschtschows Sturz, legt aber mit der thesenhaften Verallgemeinerung von Einzelphänomenen eine" allzu positive Gesamtwertung der Gegebenheiten im sowjetischen Herrschaftsbereich nahe. 1979 läßt sich zum Beispiel schwerlich bloß die „abnehmende Attraktivität der marxistisch-leninistischen Ideologie" konstatieren.

Das Bestreben, den Ereignissen der siebziger Jahre Positives abzugewinnen und daraus Ersprießliches für die Zukunft abzuleiten, kennzeichnet ebenso die Beiträge von Jürgen Domes und Ernst Kux über China.

Domes kommt - wie Kux - ohne Pekings Beteiligung an den kriegerischen Auseinandersetzungen des letzten Jahres in Indochina aus; er steht auch noch unter dem Eindruck des „immer lauter werdenden Rufes vor allem der chinesischen Massen" (!) „in den Städten nach Menschenrechten und demokratischen Freiheiten". Also: „Die ostasiatische Regionalmacht scheint ein ganz neues Gesicht zu bekommen..."

Kux ergänzt seine Blitzaufnahihe von „Chinas Sprung in die Weltpolitik" mit Schlaglichtern auf Chinas Geschichte; das hindert ihn jedoch nicht, zu spekulieren: „Nicht weniger beruhigend" (für Moskau, K. M.) „ist angesichts der Stagnation der Sowjetwirtschaft die Aussicht, daß

China mit kapitalistischer Hilfe ein größeres Wachstumstempo erreichen und vielleicht sogar früher Amerika einholen könnte als Breschnjews .realer Sozialismus', womit China auch für andere kommunistische Länder und für die Dritte Welt attraktiver würde als die Sowjetunion".

Domes und Kux äußem zwar Vorbehalte gegenüber dem Andauern von Pekings Westkurs, plädieren aber für Zusammenarbeit und Förderung der Annäherung.

Alois Mertes, der Autor des Schlußbeitrags, ehemaliger Diplomat und jetzt aktiver Politiker, Mitglied des Deutschen Bundestages, ist auch da um Grade vorsichtiger. Vielleicht erstaunt nicht, daß sich seine Gedanken über die „Konsequenzen für die deutsche und europäische Politik" - der „Wandlungen im Kommunismus" - vorteilhaft von den analytischen und prognostischen Auslassungen der politologischen Großproduzenten unterscheidet.

Mertes' Klarheit und Festigkeit verdient, hervorgehoben zu werden. Beziehungsvoll zitiert er, was das „sehr starke Empfinden der Russen für die geistigen Kräfte" angeht, „die die politischen Fundamente der sowjetischen Herrschaft in Osteuropa bedrohen", Samuel Johnson: JVo-thing clears the mind linke the pro-spect of hanging tomorrow." Welcher Wissenschafter, der Kontakte bedürftig und auf Reisen erpicht, würde das je und gar so sagen?

Wenn Mertes zur Begründung der Konflikt- und Risikoscheu der Russen angibt, sie hätten „seit 1917 nur zwei militärische Abenteuer gewagt: den Winterkrieg 1939/40 gegen die Finnen und 1962 das Kuba-Abenteuer gegen die USA", so werden nicht nur ein schändlicher Uberfall und ein politisches Erpressungsmanöver gleichgesetzt, sind nicht nur die Aktivmittel Moskaus mit den beiden Beispielen allzusehr eingeschränkt, die Stellvertreterkriege beiseite geschoben, es stimmt einfach nicht.

Weshalb denn doch auf den Bürgerkrieg zu verweisen ist, auf die Unterwerfung der Ukraine, auf den vor Warschau 1920 gestoppten Durchbruchsversuch in den Westen, auf die gewaltsamen Annexionen in Trans-kaukasien, in Zentralasien sowie der baltischen Staaten, der Bukowina, Bessarabiens, der Karpatoukraine und der Kurilen, auf die Teilung Polens mit Hitler, die Abtrennung finnischer, polnischer und deutscher Ge-beite, auf die Kämpfe mit den Japanern 1939, auf die Satellisierung der Mongolei sowie Ostmitteleuropas und die entsprechenden Versuche gegenüber Jugoslawien und China, auf die Panzer-Interventionen in Ost-Berlin und der DDR, in Ungarn, in der Tschechoslowakei, auf die permanente Interventionsdrohung gegenüber Polen und Rumänien.

Konflikt- und risikoscheu - angesichts des mittlerweile globalen Ausgreifens des Kremls? Wandlungen (Veränderungen, ungewollte, unbeherrschte Vorgänge) sind kein Wandel, keine Verwandlung.

Den Herausgebern (Geleitwort: Bruno Heck) und dem Verlag ist zu sagen, daß vermeidbar sein sollte, die falsche Terminangabe Veens und die richtige Meissners zum 25. Parteitag der KPdSU mit nur vier Seiten dazwischen durchgehen zu lassen.

WANDEL IM KOMMUNISMUS? Von Hans-Joachim Veeri, Boris Meissner, Jürgen Domes, Ernst Kux, Alois Mertes. Edition Interform, Zürich 1979, 114 Seiten, öS 70,20.

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