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Im gelbenTirana

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Große Beben lassen sich noch am kleinsten Seismographen ablesen. In diesem Sinne war der Parteitag der albanischen Kommunisten in Tirana mehr als die lokale Veranstaltung des chinesischen Zwergablegers in Europa.

Sogar in Albanien selbst hatten die Nachrichten aus Peking die Saat des Zweifels sprießen lassen. Der offizielle Applaus Tiranas für die Kulturrevolution ließ lange auf sich warten und war kühl. Die Säuberungswelle, die Parteichef Enver Hodscha nach bewährten Vorbildern im Frühjahr gestartet hatte, erfaßte „feindliche Elemente innerhalb der Partei“, die nicht näher definiert wurden. Das theoretische Organ der albanischen Partei, „Rruga e Par- tise“, setzte Sich ziemlich überraschend im Oktober für wirtschaftliche Reformen und gegen „übertriebenen bürokratischen Zentralismus in der Planung“ ein; materielle Anreize und Marktbedürfnisse dürften nicht verachtet werden. Das waren Töne, die sich schwerlich mit der „chinesischen Linie“ vertrugen.

Die heutige Moskauer Führung sei schlimmer als Chruschtschow — mit dieser These entrichtete Hodscha denn auch den fälligen Tribut für Peking. Ohne chinesische Hilfe, so gab er zu, könne Albanien kaum mehr existieren — allein in diesem Jahr sind es 24 Industrie-Komplexe, die mit Pekings Unterstützung erstehen, zehn Tage vor dem Parteitag gab es noch eine chinesische Kreditzusage für Albaniens Ölindustrie und schließlich erschien einer der Hauptverantwortlichen der „Kulturrevolution“, Keng- Scheng, selbst als Abgesandter Maos beim Parteitag in Tirana.

Die Heersdhar der Verbündeten, die er bei dieser Gelegenheit um sich versammeln konnte, war scheinbar ganz beachtlich: außer den ohinafreundlidhen Nordvietnamesen und Nordkoreanern, sowie den „neutralen“ Rumänen, erschienen Delegationen von 27 „marxistisch- leninistischen“ Splittergruppen aus aller Welt, davon freilich nur eine aus einem kommunistisch regierten Land: aus Polen. Die Grußbotschaft dieser stalinistisohen, gegen Gomulka agitierenden Gruppe verlas freilich nicht deren (vor Monaten nach Albanien geflüchteter) Chef Mijal, sondern der Ideologe der belgischen China-Kommunisten, Jacques Grippa, — offenkundig ein Rest von Rücksicht auf die formal noch bestehenden staatlichen Beziehungen zwischen Warschau und Tirana. Unkomplizierter konnte man gegenüber Moskau verfahren: Das Gebäude der ehemaligen sowjetischen Botschaft in Tirana wird als „Internationales Zentrum des Marxismus-Leninismus“ eröffnet, als eine Herberge der stalinistischen Internationale. Wer und wie viele stehen aber hinter dieser neuen „Komintern“? Ihre Versammlung in Tirana konnte nicht darüber hin- wegtäuseben, daß es sich bei den siebenundzwanzig um winzige Gruppen von Sektierern handelt, deren Reihen sich in den letzten Monaten überdies ziemlich gelichtet haben.

Dennoch, bedenkt man, daß vor fünf Jahren noch beim letzten albanischen Kongreß die sowjetischen Parteiführer Andropow und Pospe- low auftraten, obwohl wenige Monate vorher bei der Bukarester Konferenz der Parteien schon offen der Streit zwischen Moskau und Tirana (Peking) ausgebrochen war, so wird deutlich, wie tief und unheilbar der Riß im Weltkommunismus seitdem geworden ist.

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