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Der Pleitegeier uber dem Adlernest

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Die Überraschungen sind ausgeblieben. Der siebentägige Parteikongreß des kommunistischen Albanien hat zwar das angeschlagene Verhältnis zwischen Peking und Tirana — es ist seit Chinas Ausgleich mit den USA bedenklich abgekühlt — mit wohlbedachten Phrasen und Regiefinessen gerade noch kaschieren können, doch haben Enver Hoxha und sein Clan es nicht gewagt, sich von der neuen Führungsgarnitur in Peking, von Hua Kuo-feng und seiner eher doch pragmatischen als revolutionären Politik zu distanzieren.

Es wäre den Albanern auch nicht gut bekommen. Allein die Wirtschaft hat im letzten Planjahrfünftel soviel an strukturellen Mängeln, an Pro-duktivitäts- und Leistungsschwund gezeigt, daß ohne die — seit 1971 reduzierte — Unterstützung Chinas ein nicht mehr zu verschleiernder Bankrott als Folge hätte hingenommen werden müssen. Das hat Hoxha nicht riskieren wollen.

Dennoch, daran hat auch der VII. Parteikongreß nichts ändern können: die ideologische Verschiedenheiten sind geblieben. Der doktrinäre Enver Hoxha, Führer der Partei — er ist am 16. Oktober 68 Jahre alt geworden — entbehrt nicht nur aus Überzeugung, sondern zwangsweise jedweder Möglichkeit der Flexibli-tät. Er hat Albanien um der eigenen Machtbehauptung willen in ein steriles stalinistisches System gepreßt, aus dem es, will er sich bestätigt sehen, für ihn und mehr als zwei Millionen Menschen keinen Ausweg gibt — und Hoxha braucht Bestätigung. Der Pragmatismus, wie ihn China praktiziert — wenngleich zaghaft und mit Vorbehalt —, die Offenheit nach außen und zum Westen hin, die auch ein Hua Kuo-feng nicht ändern will, bedeuteten für Hoxha, wollte 'er sie nach vollziehen, Verleugnung aller Thesen und Prinzipien, „Verrat“ und letztlich Selbstaufgabe.

Das eigene Dilemma jalso ist es.welches das Verhältnis auch zu China eingetrübt und Hoxha lediglich die Möglichkeit gelassen hat, verbal und für den Hausgebrauch (Parteikongresse eingeschlossen) den aufgezäumten Eindruck zu erwecken, die Freundschaft zwischen Peking und Tirana habe keinen Bruch erlitten. Das eigene Dilemma ist es auch, das ihn bemüht sein läßt, mit letzter Härte und Verbissenheit — er ist, wie Shehu, krank — Pragmatiker im eigenen Land aus ihren Positionen zu entfernen und Funktionäre einzusetzen, von denen er der Meinung ist, daß sie sich seinem Kurs, wie immer auch, verschworen hätten. Auch nach dem VII. Parteikön-greß sind Verwirrung, Stagnation und Aussichtslosigkeit Charakteristika und Zwänge, die das Handeln Hoxhas prägen. Das kommunistische Albanien steuert mehr denn je durch die bewegteste und krisenreichste Phase seiner 35jährigen Existenz, der Fortbestand des stalinistischen Regimes scheint nicht mehr ohne Risiko zu sein.

Bezeichnend für die innere Labilität sind die in letzter Zeit — und nicht erst während des Parteikongresses — durchgeführten personalpolitischen Gewaltmaßnahmen. Hoxha, und mit ihm dem „zweiten Mann“, dem 64jährigen Ministerpräsidenten Mohammed Shehu, hat es gefallen, die gesamte Staatsregierung auszuwechseln und fast ein Drittel der Politbüromitglieder zu erneuern. Im Kabinett sind lediglich noch Kadri Hazbiu, der Minister für das Innere (zugleich Verwandter von Shehu) und Nesti Nase, der Minister für das Äußere, verblieben. Das allein schon ist ungewöhnlich, zumal die meisten Altgedienten durch weithin unbekannte Leute ausgewechselt worden sind; zwei Ministerien wurden Frauen zugeteilt, die bisher nur im dörflichen Parteibereich Bedeutung hatten. Doch abgesehen davon, daß auch noch hunderte von mittleren und kleinen Funktionären abgehalftert worden und daß noch weitere Wechsel zu erwarten sind, wobei als künftiger starker Mann von Hoxhas Gnaden das neue Mitglied des Politbüros und des ZK, Hekuran Isai, an Gewicht gewinnt — was sich bisher ereignet hat und was noch immer läuft, ist eine stalinistisch ordinäre „Säuberung“.

Sie dient, laut Hoxha, dem erklärten Ziel, den weitverzweigten Ansatz einer „pro-sowjetischen Verschwörung“ auszumerzen und die Verbundenheit mit China neu zu festigen ... Das freilich ist so unglaubwürdig, wie es unglaubwürdig wäre, wenn man Albanien attestieren wollte, daß es demokratisch sei. Die Männer nämlich, die der „Säuberung“ geopfert worden sind, verfügen über eine unumstößliche Gemeinsamkeit: sie waren Exponenten jener Freundschaftspolitik mit China, die heute nur noch angedeutet wird, ihr Aufstieg war identisch mit den Höhepunkten dieser Politik, sie hatten hunderte Beweise für ihre unzweideutig oppositionelle Haltung gegenüber Moskau in der Hand. Abdyl Kellezi, Koco Theodosi, Piro Dodbiba oder wie sie alle heißen; das waren keine „pro-sowjetischen Verschwörer“, zumal es unwahrscheinlich ist, daß oppositionelle Zellen, welcher Art auch immer, sich überhaupt entfalten oder auch nur lockere Kontakte gar ins Ausland unterhalten könnten. Albanien ist nach außen hin abgeriegelt und innerhalb der eigenen Grenzen derart überwacht, daß nichts geschehen kann, was nicht gebilligt ist.

. Tatsache also bleibt auch nach dem VII. Parteikongreß, daß Säuberungen stattgefunden haben und daß sie offenbar noch nicht beendet sind, sonst hätte man nicht während des Parteikongresses auch im ZK fast 40 Positionen neubesetzt. Tatsache aber ist nicht weniger, daß das Motiv für diese Kursverfestigung zumindest offiziell verschleiert wird. Die „prosowjetische Verschwörung“, wie sie Hoxha glauben machen will scheint nur ein Vorwand, nur Beschönigung zu sein. In Wirklichkeit — und das ist nachgerade kein Geheimnis mehr — geht es um Hoxhas eigene Konfusion, um seinen Selbstbehauptungsdrang und um die Differenzen zwischen Peking und Tirana. Denn Peking folgt den Eigenwilligkeiten dieses Hoxha nur noch sehr bedingt. In China sähe man es weitaus lieber, wenn sich Albanien auf dem Feld der Außenpolitik bei aller Eigenwilligkeit zumindest mit den Briten, den Franzosen und mit der Europäischen Gemeinschaft arrangierte ... Und China hatte auch für diese Intentionen bei eben jenen Funktionären Resonanz gefunden, die Hoxha seither abgehalftert hat.

Was also in Tirana ausgeschaltet worden ist, scheint eher eine prochinesische als pro-sowjetische „Konspiration“, Übereinkunft in Meinung und Absicht, gewesen zu sein. Natürlich, Hoxha kann es sich mit China nicht verderben. Wenn er es tut, so hat er keinen Rückhalt mehr, und das vermeintlich renitente Land der Adlersöhne muß über Nacht zum Spielball wirklich fremder, sprich: sowjetischer Interessen werden. Das weiß er auch. Doch ebenso auch weiß er, daß er seine Politik verleugnen, daß er sich als Häretiker entlarven müßte, wenn er der Linie Pekings folgen und sich zum Exekutor gleichsam dessen machen wollte, was er in seinem Starrsinn und in seiner ideologischen Beschränktheit bisher angeprangert hat. Er kann es nicht, er ist Gefangener seiner selbst.

Das mag verwirrend sein, undefinierbar ist es nicht. Die Zeit des 68jährigen Enver Hoxha läuft nämlich langsam ab; ideologisch wie politisch. So mancher Widerspruch und so manche Widersinnigkeit erklären sich aus diesem Tatbestand. Das übrige erhellt aus den Gegebenheiten. Die Krise jedenfalls — vielleicht nicht heute, aber morgen — ist schon bei aller Vorsicht abzusehen. Sie zu verhindern, wäre eine neue Führungsgarnitur vonnöten. Bald.

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