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Albaniens 100 Prozent

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Die verhältnismäßig junge kommunistische Führungsgruppe in Partei und Staatsverwaltung der Volksrepublik Albanien steht heute bereits vor der Notwendigkeit, die technischen und „schöpferischen" Nachwuchskader in den „Apparat" einzubauen. „Der Generationswechsel macht sich in diesem Falle besonders bemerkbar: Einerseits der Typ des Partisanen, der oft aus grenzenloser Armut, Halbbildung und Treue gegenüber der Parteiführung zu Führungsposten berufen worden ist, auf denen er nicht oder nicht mehr entspricht, anderseits der Nachwuchs der .Ordensburgen', die in Moskau, Prag oder Ost-Berlin und Peking erzogene neue Elite mit ihrer höheren fachlichen Befähigung und mit dem Anspruch auf die Übernahme der Führung in Partei, Planapparat, Bildung und Erziehung. Der Stil der neuen Führung wird dabei noch einige Zeit keineswegs endgültig geklärt sein." („Albanien zwischen Ost und West” von Otto Rudolf Ließ. Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, Seite 36.

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Die verhältnismäßig junge kommunistische Führungsgruppe in Partei und Staatsverwaltung der Volksrepublik Albanien steht heute bereits vor der Notwendigkeit, die technischen und „schöpferischen" Nachwuchskader in den „Apparat" einzubauen. „Der Generationswechsel macht sich in diesem Falle besonders bemerkbar: Einerseits der Typ des Partisanen, der oft aus grenzenloser Armut, Halbbildung und Treue gegenüber der Parteiführung zu Führungsposten berufen worden ist, auf denen er nicht oder nicht mehr entspricht, anderseits der Nachwuchs der .Ordensburgen', die in Moskau, Prag oder Ost-Berlin und Peking erzogene neue Elite mit ihrer höheren fachlichen Befähigung und mit dem Anspruch auf die Übernahme der Führung in Partei, Planapparat, Bildung und Erziehung. Der Stil der neuen Führung wird dabei noch einige Zeit keineswegs endgültig geklärt sein." („Albanien zwischen Ost und West” von Otto Rudolf Ließ. Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, Seite 36.

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Albanien ist nicht ganz das gegenüber der Außenwelt abgeriegelte Land, wie mancher annehmen könnte. Fremdes Gedankengut dringt in der verschiedensten Weise in das Land ein. Premierminister Mehmet Shehu klagt im April 1968, daß zum Beispiel auf einer Varietė- bühne in Saranda Bauernmädchen Volkslieder vortragen, gekleidet in Atlasseide mit Dekolletė und kniefrei, daß die Künstler lange Haare wie Mädchen tragen, daß die Programme nicht, wie man erwartet, dem sozialistischen Realismus huldigen, sondern Geschichten aus der Feudalzeit, Lieder mit Worten ohne Bedeutung oder Liebeslieder, abgesehen von den banalen westlichen Modegesängen, widerspiegeln. Aber nicht bloß diesen Mini-Erscheinungen, die rund um den ganzen Erdball zu verzeichnen sind, kann sich Albanien nur mit Mühe verschließen. Noch schwerer wiegt der Kampf, die eigene Tradition mit dem gegenwärtigen Staatsaufbau in Einklang zu bringen. So erklärte Parteichef Enver Hoxha in einer programmatischen Rede am 7. März 1968, Albanien sei ein Land, das sich bemühe, die Ideologie hundertprozentig ernstzunehmen und das ganze Leben nach ihr auszurichten.

Schwer fügt sich in dieses Erfordernis vor allem der Unterricht in den Fächern Literaturgeschichte und Geschichte. Aus dem feudalmittelalterlichen Gebilde, welches Albanien in seiner seltsamen Erstarrung durch Jahrhunderte danstellte, einem Gebilde ohne ein breiteres bodenständiges Bürgertum und noch weniger eine Industriearbeiterschaft, ragen einsame Männer empor, die, von einer nationalen Geschichtsschreibung nicht umgangen, „ausgeklammert“ werden können. Ganz im Gegensatz zu der Kampfansage des heutigen Regimes an die christliche Philosophie, an den Glauben, den Kirchenbesuch, an die Geistlichen aller Bekenntnisse ist man zum Beispiel gezwungen, die Persönlichkeit von Naim Frasheri zu loben, der die mohammedanische Philosophie des Bektasčhiordens vertrat, ferner eine Reihe von katholischen Priestern zu verehren — angefangen von Barletius, dem Sänger des Nationalhelden Skanderbeg, bis zu Don Ndre Mjeda, dem überzeugten Katholiken, zu einem Dichter Cajupi, der von dem mit Wolken umringten Berge Tomor als dem Thron der Götter sprach. Ähnlich, wie man es seinerzeit bei der unerläßlichen Einfuhr von Filmen beziehungsweise bei der Übersetzung von Theaterstücken sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten tun mußte, ist man auch hier gezwungen, der breiten Masse zu zeigen, daß „die dargebotenen Kunstwerke nicht mit der herrschenden Ideologie übereinstimmen und Auswüchse der westlichen Ideologie beziehungsweise der östlichen revisionistischen Ideologie“ oder gar noch früherer bürgerlicher beziehungsweise feudaler Weltanschauungen darstellen.

… Gefühlsduselei überwinden

Die Anfänge der Struktur eines modernen Industriestaates wurden in Albanien erst in den letzten Jahren gelegt. Von den knapp zwei Millionen Albanern leben gegenwärtig bereits 33,2 Prozent in der Stadt. Neben dem weiterhin größten Bevölkerungsanteil der Bauern (zirka 950.000) treten bereits in beachtlicher Zahl Arbeiter (400.000), Angestellte (200.000) und Handwerker (70.000). Auch die Zahl der Hochschul- und Mittelschulintelligenz hat bereits 25.000 überschritten. Die albanische Kommunistische Partei kann mit vollem Recht es als ihr Verdienst bezeichnen, daß sie die heutige Intelligenz des Landes zum größten Teil selbst geschaffen und erzogen hat. Man fühlt sich dieser Jugend auch insofern sicher, da sie, weiterhin eng an die Partei gebunden, offiziell alles tut, was die Partei wünscht. Die bange Frage bleibt jedoch, wieweit diese Jugend gegenüber auswärtigen Einflußnahmen, die man einheitlich mit dem Schlagwort „Überreste bürgerlicher und kleinbürgerlicher Einflüsse“ bezeichnet, immun ist und immun bleiben kann. Man hat diesbezüglich alles getan, um keine Überraschungen zu erleben.

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