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Den Derwisch abschaffen

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Das Augenmerk der Partei ist nicht nur auf Ausbildung und Einsatz der Intelligenz konzentriert, sondern ebenso auf die gesamte organisierte Jugendarbeit gerichtet. Man ist sich bewußt, daß bei diesem Bevölkerungsteil, welcher einst die Zukunft des Landes und die Ideologie bestimmen wird, noch viel empfindlichere Maßstäbe anzulegen sind als bei der Intelligenz. Die albanische Jugend in ihrer Gesamtheit soll durch Schule und Erziehung die Ideologie des Marxismus-Leninismus ganz in sich aufnehmen und diese unverfälscht weitertragen. Hierzu ist jedoch nötig, daß man die äußeren Umstände, welche diese Jugend beeinflussen können, möglichst günstig für den Erziehungsgang gestaltet. Aktionen, die in den letzten Jahren in Albanien durchgeführt wurden, boten in ihrer Gesamtheit eine erbitterte Kampfansage an die Rückständigkeit, gegen Brauchtum und Traditionalismus. Die wichtigste Kampfansage galt dabei der in Albanien vorhandenen Mischung von Aberglauben und Glauben. Der Albaner ist gelegentlich, wie erfahrene Theologen aus ihren Reihen selbst zugeben, weniger dem religiösen Leben als dem zum Teil im Formalismus erstarrten Brauchtum, das sich um den Glauben rankt, verhaftet; daher gilt auch der Kampf der albanischen Partei vor allem diesem Brauchtum und dessen Auswüchsen. Genannt werden diesbezüglich das Feiern von Ostern, des Bajram-Festes, das Fasten im mohammedanischen Monat Ramadan, die Enthaltung vom Genuß des Schweinefleisches. Man zog zu Felde gegen die Namensgebung der Kinder nach Heiligen, gegen die Verehrung von Ikonen im Familienkreise, gegen den Verkauf von Amuletten für verschiedene Krankheiten. Die nächste Etappe war, daß man die Geistlichen, den Hodscha, den Derwisch des Bektaschiordens, wenn sie noch amtierten, „abschaffte“ oder versprach, nach deren Abgang keinen neuen wählen zu lassen. Ferner, daß man daranging, die Kirche, die Moschee, das Tekke (Bektaschi- kloster) in ein Kulturhaus, Spital oder eine Bibliothek umzuwandeln. Sobald dieses geschehen, setzte man im November 1967 als Schlußstrich alle gesetzlichen Bestimmungen, die die Glaubensgemeinschaften betrafen, einfach außer Kraft.

Pausenlose Revolution

Neben diesem „grundsätzlichen“ Kampf will die kommunistische Kulturrevolution hunderte in dem albanischen Dorf noch lebende Sitten und Gepflogenheiten, die vielfach mit den heutigen Lebensgewohnheiten nicht mehr im Einklang stehen, zum Verschwinden bringen; angefangen von Kleidung, Lebensgewohnheiten, Wohnung bis zur Anlage der Dörfer, Felderbestellung und zum Lebensrhythmus der Bewohner. Ein wirksames Mittel, die Jugend aus diesem Traditionalismus herauszureißen, ist ihre Betätigung im Rahmen der Jugendverbände. So allein finden wir 1968 bei der Jugend Tiranas 14.000 Teilnehmer an diversen „Aktionen“, 8236 Jugendliche wurden aufs Dorf geschickt, um dort fortschrittlichen Arbeitsmethoden zum Durchbruch zu verhelfen. Umgekehrt haben fast alle ländlichen Gebiete Albaniens Vertreter aller Altersgruppen in die fortschrittlichen Gebiete des Landes entsandt, wo sie erzogen und umerzogen werden sollten. Auch hinsichtlich der Jugend hat man erkannt, daß trotz aller Aktionen und Maßnahmen in Bildung und Erziehung manches zu ändern sei. Die Selbstkritik der Pädagogen besagt, daß man in der Jugend noch viel zu sehr das Objekt erblickt, das man heranbilden und umerziehen soll. Diese Erziehungsmethode wurzle in der patriarchalischen Haltung der älteren Generation selbst, in der Sucht, diese zu bevormunden und sie alles lehren zu wollen, was irgend möglich ist. Eine Initiative der Jugendorganisation werde kaum entfaltet.

Die Jugend selbst weiß nichts mehr vom Klassenkampf, sie ist auch nach Meinung der politischen Kreise Albaniens über politische Ereignisse zu wenig informiert. Auch die Freizeitgestaltung für die Jugend, die sie zu technischer und wissenschaftlicher Arbeit anleiten soll, ist noch zuwenig entwickelt. Albanien hat sich viel vorgenommen, um rasch und gründlich den Anschluß an die moderne Gegenwart zu finden. Soweit diese Absicht veraltete Einrichtungen betrifft, die sich auch nach 1945 mit seltener Zähigkeit behaupten, soweit kann man diese Reformen wohl nur begrüßen. Einen Erfolg innerhalb kurzer Zeit und ohne schwere Rückschläge erwartet sich die heutige Führung Albaniens nicht. Auffallend ist die gegenwärtige Sucht, im pausenlosen revolutionären Schwung ja nicht zu erlahmen, weil die ideologische Pause einem Rückschritt gleichkäme. Das zweite grundsätzliche Beginnen der heutigen Führung bezweckt die Weiterentwick- I lung der marxistisch-leninistischen Ideologie, um einer Annäherung an westliche Anschauungen zuvorzukommen. Diese Abwehrhaltung wird in Albanien so lange erfolgreich bleiben, als es mit den Mitteln des Staatsapparates möglich ist, eine Isolierung ! des Landes aufrechtzuerhalten und I Versuche zur Öffnung und „Liberalisierung“ im Keime zu ersticken. Auf die Dauer gesehen dürfte diese forcierte Indoktrinierung durch die KP-Führung dennoch aussichtslos sein. Dagegen kündigen sich im Pro- i gramm, das albanische Volk auf moderne Lebens- und Produktionsverhältnisse umzustellen, schon die ersten Erfolge an. Die Industrialisierung der kleinen Volksrepublik an : der Adria entspricht zweifellos dem Fortschritt und dem Zug der Zeit, während die ideologische „Kulturrevolution“ den Neigungen und ’ Erwartungen der Jugend vielfach l( entgegen wirkt.

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