Franziskus reist ins Land der Skipetaren

Werbung
Werbung
Werbung

In Albanien trifft Franziskus auf eine Märtyrerkirche." - "Der staatliche Atheismus hat ein Vakuum hinterlassen." - "Der Papst will mit den Armen zusammentreffen." Solche Aussagen aus dem Munde albanischer Kirchenführer bergen eine klare Botschaft. Das Oberhaupt der Katholiken betritt am Sonntag ein besonderes Terrain. Nach der KP-Ära erstand in Albanien christliches Leben praktisch aus dem Nichts.

Das Balkan-Land vollzog unter dem kommunistischen Regime von Enver Hoxha mehrere Richtungswechsel. 1960 kam es zum Bruch mit der UdSSR, 1978 zum Bruch mit China. Die abgeschottete Diktatur kultivierte das Religionsverbot wie eine Staatsdoktrin. Gläubige und Geistliche wurden mit brutaler Härte verfolgt wie in keinem anderen Land hinter dem Eisernen Vorhang.

40 katholische Märtyrer-Priester

Shkodra ist das Zentrum der Katholiken. Ein Rundgang im Franziskanerkloster belegt die Leidensgeschichte der Kirche. Provinzial Gazmend führt uns zum Seitenschiff, zum Kreuzweg der gefolterten und getöteten Patres. Gemälde legen Zeugnis vom Martyrium der Franziskaner ab. Aber auch die erste Messe nach dem Fall der Diktatur ist im Bild festgehalten.

Der Franziskaner-Orden zählte 1967 in Albanien 70 Patres. Lediglich 19 von ihnen überlebten das Schreckensregime. Viele katholische und orthodoxe Priester wurden umgebracht, starben in Haft oder Arbeitslagern. Ein Baumstumpf im Klostergarten ist ein Mahnmal -an jenem Baum waren Patres aufgehängt worden.

Ein Kreuz mit Fotos der 40 katholischen Märtyrer-Priester steht im Büro des Erzbischofs von Shkodra, Angelo Massafra. 1967-90 kam das religiöse Leben zum Erliegen. "Keine Messen, kein Kreuzzeichen. Einige Geheimtaufen, Hostien und Wein wurden ins Gefängnis geschmuggelt." Gazmend erzählt, dass in seiner Familie heimlich Rosenkranz gebetet wurde. Einige seiner Verwandten starben in der Haft.

Das Gotteshaus der Franziskaner diente in der Hoxha-Zeit als "Kino des Volkes". Andere Kirchen wurden zu Depots, Theatern, Werkstätten, sofern sie nicht zerstört waren. Eine Kirche wurde in ein Gefängnis umgewandelt - auch für Geistliche, merkt der junge Provinzial an.

Katholiken gerieten besonders ins Visier. Sie galten als "geistige Bedrohung", die Elite des Volkes besuchte christliche Schulen. Auch dass sie sich nicht vom Vatikan lossagten, schürte den Hass des Regimes. Die erste albanische Grammatik wurde von den Franziskanern publiziert. Derzeit werden die Schriften der früheren Patres aufgearbeitet. 38 von etwa 120 Bänden sind schon fertig.

Den Neubeginn nach dem Sturz der Diktatur 1991 markierte eine Jubelmesse auf dem Friedhof von Shkodra. 50.000 Menschen nahmen daran teil. 1993 reiste Johannes Paul II. als erster Papst nach Albanien. Er weihte vier Bischöfe, der jüngste von ihnen war Rok Kola Mirdita, der heutige Erzbischof von Tirana.

Geistiges Vakuum und Neubeginn

Moderne Kathedralen entstanden. 2002 wurde in Tirana die neue Pauluskathedrale geweiht. Der Stephansdom von Shkodra ist die größte Kirche des Balkan. Erzbischof Massafra ist dankbar, dass der Papst "unsere Märtyrerkirche besucht". Von den Priestern, die die Haft überstanden, leben noch drei. Der 88-jährige Don Ernesto wird von Franziskus geehrt. Eine Nonne wird dem Papst von ihrer Verfolgung berichten.

Der Kommunismus hinterließ ein geistiges Vakuum. "Die früheren Generationen wuchsen unter harter atheistischer Propaganda auf", analysiert Erzbischof Mirdita. "Die Jüngeren interessieren sich mehr für Religion, sind eher bereit, sich aktiver am Kirchenleben zu beteiligen." Laien sollen sich mehr einbringen. "Die Kirche muss jetzt auf die Kinder atheistischer Eltern zugehen", sagt auch Nuntius Ramiro Moliner Ingles. In der Hoxha-Zeit war eine Weitergabe des Glaubens praktisch unmöglich.

In Albanien leben etwa 450.000 Katholiken, das sind 15 Prozent einer Bevölkerung mit 60 Prozent Muslimen (Sunniten, Bektashi). Es gibt fünf Diözesen und die Apostolische Nuntiatur. 1993 beauftragte der Vatikan Jesuiten mit der Errichtung des Priesterseminars in Shkodra. Heuer werden vier Priester geweiht. 34 von 200 Priestern sind Albaner. Die meisten kommen aus Italien.

Religionsunterricht wird in Pfarren erteilt. Die katholischen Schulen haben Zulauf, auch die Katholische Universität in Tirana. In Sozialprojekten werden bedürftige Familien versorgt. Viele Albaner leben in Armut. Pater Gazmend: "Wichtig ist das Essen, doch Erziehung und Hilfe bei der Arbeitssuche sind genau so wichtig."

Der Papst komme in ein Land, wo das Zusammenleben der Ethnien und Religionen funktioniert, lautet der Tenor. Bischof Andon von der autokephalen orthodoxen Kirche unterstreicht, man werde Zeugnis von der "Brüderlichkeit" ablegen. Interkonfessionelle Mischehen zwischen Christen seien häufig. Die Orthodoxen finden sich als Teil der Gesellschaft akzeptiert.

Am Treffen des Papstes mit den Religionsführern nehmen höchste Vertreter der Orthodoxen, sunnitischen Muslime und Bektashi (schiitische Sufi) teil. Im Rahmen eines von der Regierung eingesetzten Interreligiösen Rates, dem auch die Evangelikalen angehören, werden Probleme erörtert und gemeinsame Erklärungen erarbeitet, wie zu den IS-Extremisten im Irak.

Integrationsfigur Mutter Teresa

Neben Nationalheld Skanderbeg ist Mutter Teresa die wichtigste Integrationsfigur der Albaner. Ihr Vorbild motiviere immer wieder zu Erwachsenentaufen. Andere entsinnen sich der christlichen Wurzeln ihrer im Osmanen-Reich zum Islam konvertierten Familien. Zu Ostern ließen sich 104 Albaner taufen. Der Süden ist laut Nuntius "Missionierungsland". Dort sind auch US-Evangelikale aktiv.

Auf Franziskus freuen sich nicht nur die Spitzen der Kirchen, sondern auch der Politik. Im Frühjahr ging es Schlag auf Schlag. Regierungschef Edi Rama überbrachte im April eine Einladung im Vatikan. Mitte Mai verkündete Franziskus, er wolle "das Land kennenlernen, dessen Volk so viel für den Glauben gelitten hat". Ende Juni erhielt Albanien von der EU den Status eines Beitrittskandidaten.

Wenig Freude bereitet den Kirchen, dass das multireligiöse Albanien 1992 der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) beitrat. Bischof Andon: "Wir können hier nicht von einem islamischen Staat sprechen." Im Vergleich zu Bosnien oder Kosovo zeige die Jugend kaum Tendenzen radikaler Islamisierung. Unisono kritisiert wird der Zensus von 2011, der den Christenanteil von 31 auf 17 Prozent reduzierte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung