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Im Angesicht des Gipfels

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Jugoslawien hat während zweier Lustren zu den Hauptnutznießern der Spannung zwischen Ost und West gezählt. Drohte ihm der Zorn Stalins, so war es sicher, im Westen bei den Angelsachsen Schutz, Rückhalt, Kredite und Waffenlieferungen zu bekommen. Wurden die amerikanischen Protektoren lästig, dann öffnete Chruschtschow breit die Arme, um den reuigen, verlorenen Sohn ans Herz zu drücken. Während die Großen Zwei sich stritten, war Tito der lachende Dritte. Mit dieser günstigen Konjunktur mußte es ein Ende haben, sobald USA und UdSSR miteinander ins Gespräch kamen. Jugoslawien war im Falle eines Aufhörens des kalten Kriegeis und schon gar in dem eines friedensähnlichen Waffenstillstandes zwischen Moskau und Washington nicht mehr ein begehrenswerter Verbündeter an strategisch wichtigem Ort; es blieb neben zwei Lagern ein Dritter, doch mit der Kraft, die es aus sich selbst besaß, war nicht viel Staat zu machen. Weder die Einwohnerzahl noch die Rüstung, weder die wirtschaftliche Situation, die trotz unleugbarer Fortschritte noch immer kümmerlich war, verliehen einem Lande, das, weltpolitisch betrachtet, eine kleine Mittelmacht war, eigenständige Geltung.

Dazu gesellte sich, daß dem Regime Titos allenthalben hartnäckige Feindschaften gesichert waren. Bei grundsätzlichen Gegnern des Kommunismus jeder Art, bei Katholiken, die sich der Kirchenverfolgung entsannen, bei linientreuen Stalinisten, außerdem bei den traditionellen Widersachern der Südslawen: bei Italienern, Albanern, Bulgaren und Madjaren. Tito hatte anfangs mit großem Eifer die internationale Entspannung gepriesen. Zum Teil aufrichtig, denn er und sein Land hatten wirklich von einem dritten Weltkrieg alles zu verlieren, von einem langwierigen kalten Krieg nichts, außer einer vorteilhaften diplomatischen Stellung, zu gewinnen. Zum Teil aber war in diesen Versöhnungspredigten nach bekanntem politischem Rezept ein Erkleckliches an Unaufrichtigkeit enthalten. Als“ es: im vorigen Herbst darnach auszusehen b<>?gm -Wi> echtef 'TrftrltP^6nntr*isteclielir stieg in den Belgrader Staatslenkern die begründete Besorgnis auf, daß sie mit zu den Kostenträgern der Koexistenz gehören würden.

Sofort entwickelten sie eine, in ihrer Art bewunderungswürdige Betriebsamkeit um für eine sich am Horizont abzeichnende neue Sachlage zu rüsten. In jenem Zeitpunkt war, abgesehen von den guten Beziehungen zu Indien, Ägypten, Äthiopien, nirgends eine überströmende Sympathie für das Belgrader Regime zu verzeichnen. Mit der Sowjetunion stand Tito wieder einmal weniger schlecht als zumeist während der letzten zwei Jahre. Doch die im November 1959 anläßlich des Budapester Besuchs Chruschtschows gehaltenen Reden, vor allem Kädars, und die von Moskau her nicht gebremsten Angriffe Enver Hoxhas und der anderen albanischen Führer zeugten nicht gerade von überquellendem Wohlwollen des Kremls. De Gaulle war über die häufige Förderung der algerischen Unabhängigkeitsbewegung durch Jugoslawien erzürnt und gab dem in einer historisch gewordenen Pressekonferenz Ausdruck; worauf man in Belgrad sauer reagierte. Dafür bot die, nach zehnjähriger Unterbrechnung erstmalige Anwesenheit Thorez' bei einem aus Anlaß des jugoslawische Nationalfeiertags auf der Pariser Botschaft veranstalteten Empfang geringen Trost. Das Verhältnis zu den USA hatte sich gegenüber dem Zeitpunkt, da Tito sehr unzweideutig ausgeladen worden war, als er sich um eine Amerikafahrt bemühte, kaum verbessert. Zum Überdruß entwickelte sich noch ein Konflikt mit Polen, das den jugoslawischen Militärattache auswies, die schon grundsätzlich beschlossene Absicht, in Belgrad ein Informationszentrum zu errichten, widerrief und später die, trotzdem geplante, Gründung eines jugoslawischen Kulturinstituts in Warschau verweigerte. China, der Heilige Stuhl blieben Dauergegner von Einfluß. Mit Österreich, Bulgarien traten immer wieder Reibungen auf, die gegenüber Albanien den Charakter eines gefährlich an Hitze steigenden kalten Krieges annahmen. Die Allianz mit der Türkei und mit Griechenland war toter Buchstabe geworden. Durch das alles weder eingeschüchtert noch abgeschreckt, schritten Tito und die Seinen zu einer vielfältigen Offensive des Werbens um Freundschaft oder mindestens um Entspannung.

Anfang Dezember wurde de Gaulle eine Botschaft des jugoslawischen Präsidenten überreicht, die das dringende Verlangen nach Erneuerung der guten Beziehungen zu Frankreich enthielt. Um den guten Willen zu bekunden, konfiszierten die jugoslawischen Behörden die Karikatur de Gaulles im verbreitetsten Witzblatt ihres Landes; Der italienische Unterstaatssekretär des Äußeren, Folchi, wurde bei einem Besuch in Belgrad mit Aufmerksamkeiten überschüttet. Hauptsächlich im Hinblick auf die Angelsachsen vollzog Tito einige Gnadenakte gegenüber im Westen bekannten politischen „Verbrechern“. Dedijer, sein als Freund Djilas' verfemter einstiger Intimus und Biograph, bekam die Erlaubnis, auf ein Jahr nach Großbritannien zu reisen. Ende Februar 1960 wurden zwei frühere Sozialistenleader, die beim Labour hoch angesehen sind, und zwei mit ihnen zugleich zu längeren Kerkerstrafen verurteilte Universitätsprofessoren, einer davon ein Theologe, aus der Haft entlassen. Am meisten Aufsehen weckten aber die anfangs schüchternen, dann sich mehrenden Symptome des Strebens, sich mit der katholischen Kirche auf leidlichen Fuß zu stellen.

Selbstverständlich dürfen wir nicht etwa an ein plötzliches Damaskus Titos glauben. Er meint vielmehr, daß seine Bemühungen um eine Wiederannäherung an Frankreich, um gutnachbarliche Beziehungen zu Italien, um bessere Stimmung in den USA, um Generalbereinigung des Verhältnisses zu Österreich, aber auch um die neuerdings sehr in den Vordergrund geratenen Kontakte mit Südamerika ohne einen leidlichen Modus vivendi mit dem Vatikan und der katholischen Kirche keinen Erfolg versprechen.

Dieses Hinübergreifen nach Lateinamerika hat mehrfache Aspekte: Es soll die Dritte Kraft — mit Indien, den arabischen Staaten und Jugoslawien als Kern — ausdehnen und stärken; es ist als Pressionsmittel auf die USA zu bewerten, unv diese auch bei einem Gelingen der- GipfeU konferenz zur ..Rücksieht .auf Jugoslawien zu bewegen; es hat außerdem unmittelbaren politischen und wirtschaftlichen Zweck. Die jugoslawischen Würdenträger Außenminister Koca Popovic, Vukmanovic — Titos bevorzugter Sonderemissär in schwierigen Angelegenheiten — und der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der SkupStina Bebler haben Reisen nach Südamerika gemacht. Besonders enge Fühlung wurde mit Kuba hergestellt.

In seiner Sorge um allseitige Rückendeckung hat Tito auch nicht auf Griechenland vergessen* mit dem Jugoslawien theoretisch noch immer durch die Balkanallianz verbündet ist. Allerlei Versuche, wenigstens die Freundschaft zwischen Belgrad und Athen wieder herzlicher zu gestalten, gipfelten zuletzt in einem Besuch des jugoslawischen Vizepräsidenten Todorovic bei der hellenischen Regierung, wobei es immerhin zu wirtschaftlichen Abkommen gedieh und dem politischen Werben des deutschen Verteidigungsministers Strauß durch den Hinweis auf die jugoslawische Neutralität entgegengewirkt werden sollte.

Neutralität und das Venneiden formeller Bindungen an eine größere Staatengemeinschaft waren es auch, die beim Aufenthalt des öster* reichischen Außenministers Kreisky, vom 16. zum 19. März, in die Erscheinung traten. Ob-zwar die Entschärfung der zeitweise sehr schroffen Gegensätze zu Österreich, gemäß dem beherrschenden Trend der neuesten jugoslawischen Außenpolitik, sichtbar wurde, wies der Belgrader Außenminister den Gedanken einer losen Anlehnung an die EFTA ab, sprach sich jedoch nachdrücklich und in Einklang mit dem Wiener Kollegen für Abrüstung, friedliches Miteinander (und nicht bloße Koexistenz) und für Verbot der Atomversuche aus.

So hat sich Tito nach allen Richtungen auf die Entwicklungen und auf die Ereignisse des kommenden Frühjahrs und des Sommers vorbereitet, auf die Frankreichreise Chruschtschows und auf die Gipfelkonferenz, auf Eisenhowers Rußlandfahrt und auf das, was nachher kommen wird. Leitmotiv dieser sehr wendigen Politik bleibt das Bemühen, nicht unter die Räder zu geraten, wenn die „Lokomotivführer der Weltgeschichte“ den Zug der Zeit in zeitgemäß schnelle Bewegung setzen.

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